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Kultur: Junge Liebe

OPER KONZERTANT

Am Ende: Jubel, Ovationen – und ein selig schwitzender Christian Thielemann . Und das, pardon, war keineswegs von vorneherein klar. Wie würde Thielemanns erste Begegnung mit seinem Opernrepertoire der Zukunft ausfallen, so fragte man sich. Was hat er, der Überzeugungswagnerianer, der Meister diverser musikalischer Kraftsportarten, wohl zu Puccini zu sagen, dem Melancholiker mit Hang zum allzu Direkten und/oder Trivialen, dem Gratwandler zwischen Wirkung und Empfindung? Zunächst einmal – und das war eigentlich schon das Wichtigste! – glaubt Thielemann an diesen Komponisten. Was Giacomo Puccini 1918 in seinem Einakter „Suor Angelica“ mit gewaltigem Glocken- und Orgeldröhnen, mit Diskant-Chören und expressiver Chromatik an quasi-religiöser Atmosphäre schafft (die Oper schildert die Seelennöte einer jungen Nonne, die sich umbringt, als sie erfährt, dass ihr uneheliches Kind seit zwei Jahren tot ist), das nimmt Thielemann ganz einfach ernst. Gestattet sich nicht das kleinste Augenzwinkern, wenn es denn doch einmal sentimental werden sollte, in Angelicas Arie „Senza Mamma“ etwa, und versucht erst gar nicht, mehr Struktur, mehr Machartlichkeit in der Partitur zu ahnden als vorhanden.

Und so stellt sich ein Effekt ein, der gelegentlich auch bei seinen Strauss-Interpretationen zu beobachten ist: Je „schwächer“ (nämlich: eindeutiger) die Musik, desto stärker wird Thielemann. Weil er nicht grübelt und nicht klügelt, sondern die Flucht nach vorn antritt. Ganz oder gar nicht, jetzt oder nie – und schon kann man sich dem gähnenden Gefühlsschlund dieser Musik kaum mehr entwinden. Gewiss, manches wirkte an diesem Abend in der Deutschen Oper noch ungelenk und buchstabiert, auch ist Puccini in diesem Stück wohl gewitzter, differenzierter, vor allem: dekadenter, als man denkt. Seine Art, sich in den großen Ausbrüchen immer wieder selbst ins Wort zu fallen, die letzte Entblößung zu meiden und doch zu meinen - sie mochte bei Thielemann und dem bisweilen etwas befangen agierenden Orchester der Deutschen Oper (ein Lob auf den Gesang des Solo-Cellos!) eher in Brucknersche Blockhaftigkeit und Wucht münden denn in ein mystisches Sichverströmen.

Mit seiner Sängerbesetzung jedenfalls tat Thielemann mehr als einen Glücksgriff. Schwer zu sagen, wem die Krone des Abends gebührte: den Kräften des Hauses, die ein funkelndes, hinreißend stilsicheres Nonnenensemble gaben (allen voran Michaela Kaune, Kari Hamnoy und Andion Fernandez)? Cristina Gallardo-Domas in der Titelpartie, die mit geradezu blasphemischer Sinnlichkeit im Sopran (und etlichen chargenhaften Gesten zu viel) mehr die Physiognomie eines kämpferischen Frauenherzens zeichnete als die eines gebrochenen Klosterfräuleins? Oder vielleicht doch der grandiosen Felicity Palmer als Fürstin, die nicht nur aussah, als wäre sie dem House of Usher entsprungen, sondern auch so sang, mit frisch geschmiedetem Erz in der Kehle und unverrückbar bös’, bitter und bigott? Und dann wäre da ja auch noch Ann Murray , die Solistin in Chaussons „Poème de l’amour et de la Mer“ vor der Pause: sehr sauber, sehr ehrlich – und ein kleines bisschen langweilig. Aber noch befinden wir uns ja, wie gesagt, in der Phase des Kennenlernens. Mögen stürmische Liebesaffären folgen.

Christine Lemke-Matwey

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