zum Hauptinhalt

Jurjews KLASSIKER: Frische Metaphern im Angebot

Ende der 50er Jahre, Moskau. Ein grimmiger alter Mann sitzt im Café National, fast jeden Abend, und wartet, dass ihn jemand zu einem Cognac einlädt.

Ende der 50er Jahre, Moskau. Ein grimmiger alter Mann sitzt im Café National, fast jeden Abend, und wartet, dass ihn jemand zu einem Cognac einlädt. Der Mann heißt Juri Olescha. Er ist ein berühmter Schriftsteller. Er war ein berühmter Schriftsteller, in den 30ern. Deshalb findet sich immer jemand, der ihn einlädt und seinen Anekdoten zuhört. Zum Beispiel dieser: Olescha fragte einen Schriftstellerfunktionär, ob es stimme, dass für Schriftsteller unterschiedlicher Güte auch Begräbnisse unterschiedlicher Güte vorgesehen seien. Der Funktionär bejahte dies. Und was für eins kriege ich, wenn ich einst sterbe? Der Funktionär versprach ein Begräbnis erster Kategorie. Könnte ich mich mit dem billigsten einverstanden erklären? Und die Differenz bar auf die Hand bekommen? Das ging natürlich nicht. Das Begräbnis erster Kategorie wurde auch nur aus Höflichkeit versprochen. Als Olescha am 10. Mai 1960 starb, setzte man ihn im Grab seines Schwagers, des Lyrikers Eduard Bagrizky, bei.

Geboren 1899 in Südrussland, wuchs Olescha in Odessa auf. Zu Hause sprach man Polnisch: Der Familienvater war ein verarmter polnischer Adliger und spielsüchtiger Kleinbeamter. Nach der Revolution optierte die Familie für die polnische Staatsbürgerschaft und reiste aus. Der Sohn blieb zurück, denn seine Heimat war die russische Literatur geworden. Er gehörte der „südrussischen Schule“ an, die auch Babel, Bagrizky oder Ilf und Petrow hervorbrachte. Revolutionsbegeistert, ruhmes-, erfolgs- und oft auch einfach hungrig, verstanden diese jungen Provinzgenies die Umwälzung Russlands als ihre persönliche Chance. Um sie zu nutzen, gingen sie nach Moskau, ins Macht- und Kulturzentrum des neuen Staates. Unter ihnen Olescha. Fünf Jahre Zeitungsmaloche, dann der Erfolg: Nach der Veröffentlichung seines Romans „Neid“ (1927) wurde er zum Star.

Im Fokus von „Neid“, das man noch antiquarisch in der Suhrkamp-Übersetzung von Gisela Drohla bekommt, steht Kawalerow, ein „Mensch von früher“, ein Intelligenzler, der mit all seiner „alten Kultur“ für die muntere, utopiebauende Menschengattung überflüssig ist. Der Roman schmeichelte dem „neuen Menschen“ und entsprach dem Selbstmitleid des „alten“. Und war mit einer Virtuosität geschrieben, die in der russischen Prosa ihresgleichen sucht. Besonders in Sachen Metaphorik. Oleschas Metapherngabe war legendär. Halb scherzend erzählte er von seiner „Geschäftsidee“: einen Metaphernladen aufzumachen, um überflüssige Metaphern an (be)dürftige Literaten abzusetzen. Er hatte tatsächlich viel zu bieten: Bei ihm knirscht frischgewaschenes Haar wie ein Krautkopf, sausen Frauen vorbei wie Zweige voller Blumen und Blätter und laufen kleine geduckte Knaben zwischen den eigenen Ohren.

Ein gefragter Redner und Interviewpartner, beherrschte Olescha perfekt die Hauptübung der „nichtproletarischen Schriftsteller“ der 30er Jahre: die Pose des reuigen Intelligenzlers. Er wurde nicht müde zu erklären, wie leid es ihm tue, ein Mensch zu sein, der mit der alten Kultur verseucht sei, und wie sehr er sich bemühe, Schritt mit dem neuen Leben zu halten. Witzig, aufrichtig, einnehmend. Und metaphernreich. Eine dieser Metaphern machte große Karriere: „Schriftsteller sind Ingenieure der Menschenseelen, wie Genosse Olescha so trefflich formulierte“, pflegte kein Geringerer zu sagen als Iossif Stalin. Das Problem war nur, dass die ganze sowjetische Literatur von Olescha (und er von sich) ein neues, von ihm so oft versprochenes Werk erwartete, in dem die glückliche Vereinigung der verlorenen Intelligenzlerseele mit dem Sozialismus geschildert werden würde.

Es entstand nie. Von Mitte der 30er Jahre an brachte Olescha nichts Fertiges mehr hervor. Im Nachlass fand man nichts außer Notizen. Aus ihnen kollagierte sein Jugendfreund Walentin Katajew ein Buch, das den jungen Autoren der 60er einen Weg zum Unfertigen, Tagebuchartigen zeigte. Und zu Metaphern. Freilich war das nicht Oleschas Anliegen: Er wollte einen Roman schreiben – und konnte es nicht. So blieb er im Café National vor einem leeren Glas sitzen – in seinem traurigen Metaphernladen ohne Umsatz. Bis der Laden schloss.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false