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Kultur: Jurtenpendel

SCHREIBWAREN Steffen Richter über zehn Tage einer durstigen Frau Zwei Wochen ist es her, da wurde an dieser Stelle das Lob des Nichtstuns gesungen. Gerade noch Wein gepredigt – und schon geht es ans Wassertrinken.

SCHREIBWAREN

Steffen Richter über

zehn Tage einer durstigen Frau

Zwei Wochen ist es her, da wurde an dieser Stelle das Lob des Nichtstuns gesungen. Gerade noch Wein gepredigt – und schon geht es ans Wassertrinken. Es beginnt mit einer jungen Frau, die ihr vermeintlich ödes Dasein hinter sich lassen will. Sie möchte sehen, „ob es sich lohnt, ein anderes Leben, ob es das gibt“. Weit kommt sie nicht. Sie geht nur um ein paar Ecken. Und es sind auch bloß zehn Tage, in denen sie Alkoholexzesse, freudlosen Sex und Depressionen erlebt. In der Zwischenzeit bleiben ihre beiden kleinen Kinder allein in der Wohnung zurück. Verproviantiert mit ein paar Tetrapacks Getränken. „Durst“ (Kiepenheuer & Witsch) heißt der Roman, aus dem Michael Kumpfmüller heute im Brecht-Haus liest (20 Uhr). Seine Geschichte beruht auf einem authentischen Fall. Und sie nimmt den schlimmstmöglichen Ausgang.

Wenn der lakonische Stil bei Kumpfmüller das Skandalöse eines unerhörten Vorgangs unterstreicht, hat er bei Catalin Dorian Florescu eher satirische Wirkung (21. Januar, 20 Uhr, Lehmanns Fachbuchhandlung , Hardenbergstraße 5). Der Anna-Seghers-Preisträger des letzten Jahres stammt aus Rumänien und lebt seit 1982 in Zürich. In seinem zweiten Roman „Der kurze Weg nach Hause“ (Pendo) kehrt der Protagonist Ovidiu in seine Heimatstadt Timisoara zurück. Aber ihn treibt die Frage um, was das sei: Zuhause. Heimat bekommt interessanterweise meist dann Konturen, wenn der „Kinojunkie“ Ovidiu Filmszenen über seine Wahrnehmungen blendet. Das macht Florescus Buch zu einem mal skurrilen, dann wieder melancholischen Roadmovie über hochaktuelle Migrantenschicksale.

Alles andere als sesshaft ist auch der nach Frankfurt am Main übersiedelte Russe Oleg Jurjew . Gemeinsam mit seiner Übersetzerin, der Lyrikerin Elke Erb, stellt er am 23. Januar im Literaturhaus (20 Uhr) sein literarisches Hasardstück „Der neue Golem oder Der Krieg der Kinder und Greise“ (Suhrkamp) vor. Jurjew jagt seinen Jurik Goldstein nach Prag, Petersburg, New York und vor allem in das fiktive Städtchen Judenschlucht an der deutsch-tschechischen Grenze. Dort will er einen Roman über den jüdischen Stamm der Chasaren und den Verbleib des Golems verfassen. In diesem hybriden Sprachkunstwerk, das Kriminal-, Liebes- und historischer Roman zugleich ist, werden ständig Demarkationslinien durchlöchert. Goldstein reist als Frau verkleidet, weil die Gleichstellungsbeauftragten seines Stipendiengebers die Frauenquote erfüllen müssen. Alle 13 Sekunden springt das Programm eines alten ostdeutschen Fernsehers von selbst um. Und im Gästehaus der russischen Botschaft in Prag wird jeder Anruf mit der mongolischen Landesvertretung in Buenos Aires verbunden.

Wem Telefonieren nicht liegt, der kann sich ein Stück mongolischer Kultur auch in den Jurten am Potsdamer Platz ansehen. Zum 3. Berliner Wintersalon (22. bis 25. Januar) geben sich 30 nomadisierende Schriftsteller im Sony-Center ein Stelldichein. In einem Marathon mit 100 Lesungen werden immer zur vollen Stunde (Do/Fr 9-21 Uhr, Sa 11-23 Uhr und So 11-21 Uhr) renommierte Autoren wie Michael Lentz, Ulrike Draesner, Georg M. Oswald und Claudia Rusch auftreten (Infos unter: programm@wintersalon.de).

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