zum Hauptinhalt
Ekel und Ewigkeit. Isabella Rossellini in einem ihrer „Green Pornos“, die 2008 im Kunstfilmprogramm der Berlinale liefen.

© defd

Jury-Vorsitzende Isabella Rossellini: Die Liebe der Schnecken

Isabella Rossellini war schon immer eine Künstlerin mit eigenwilligen Vorlieben: Als Leiterin der Wettbewerbsjury bekundete sie bereits im Vorfeld eine Vorliebe für extreme und außergewöhnliche Filme.

Im Sommer 2010 wurde New York von einer Wanzenplage heimgesucht. Passenderweise hatte Isabella Rossellini, die sich seit einiger Zeit in Kurzfilmen mit dem Sexualleben von Tieren beschäftigte, kurz zuvor einen Film über die Wanze gedreht, gehalten im Stil eines Aufklärungsfilms. Da ist von den dolchartigen Sexualorganen der männlichen Wanzen die Rede, und man sieht Isabella im roten Catsuit mit Kappe, wie sie dem Dolch lustvoll entgegenläuft: „Seduce me“, ruft sie, und nachdem sie durchbohrt worden ist, folgt der Triumphschrei: „Er hat in meine Wunden ejakuliert!“ Fernsehcomedian Jon Stewart kommentierte, das sei die seltsamste Werbung, die er je gesehen hätte. Das Filmchen avancierte in kürzester Zeit zum Youtube-Favoriten.

Eine Jurypräsidentin, die sich selbst als Delphin, Ente oder Wanze zeigt und als Regisseurin obskurer Tiersexfilmchen auftritt? Jahr für Jahr klarer zeichnet sich ein System ab, nach dem die Berlinale ihre Juryvorsitzenden wählt: Es sind große Künstler mit eigenwilligen Vorlieben. Tilda Swinton war so ein Fall, vor allem in Kombination mit Christoph Schlingensief, mit dem sie 2009 in der Jury saß. Auch Werner Herzog, der letztjährige Jurypräsident, hat seine Dosis Schrägheit ins Weltkino gebracht, mit tanzenden Alligatoren und Wetten um gekochte Schuhe und deren Verzehr.

Nun also Isabella Rossellini. Sie hat ihren großen Berlinale-Auftritt 2007 in der Deutschen Oper gehabt, und noch einmal 2008 im Rahmen von Forum Expanded in der Akademie der Künste, also immer an Nebenschauplätzen. Und auch sie hat in diesem Jahr einen guten Freund in der Jury, ein Duo amicale, wie es Swinton und Schlingensief waren: nämlich den kanadischen Regisseur Guy Maddin, ebenfalls Berlinale-Dauergast und zuletzt mit seiner Heimathommage „My Winnipeg“ im Kino. Was von den beiden zu erwarten ist, hat Isabella Rossellini gerade der „Frankfurter Allgemeinen“ verraten: „Guy Maddin und ich mögen extreme Filme, sie müssen nicht kommerziell sein nach dem Motto ,Anfang, Mitte, Ende‘. Wenn sie außergewöhnlich sind und der Rest der Jury unsere Meinung nachvollziehen kann, würden wir in Erwägung ziehen, einen derartigen Film auszuzeichnen.“

Außergewöhnlich war zum Beispiel der Stummfilm „Brand Upon the Brain“, den Guy Maddin 2007 im Forum zeigte, mit Isabella als charismatischer Livesprecherin und Zeremonienmeisterin, die durch ein wildes, irgendwo zwischen Freud, Dalí und Edgar Allen Poe angesiedeltes Bilderuniversum führt: Für manche war es das Berlinale-Ereignis des Jahres. Schon in „The Saddest Music in the World“, Maddins Komödie über einen Musikwettbewerb im Jahr 1933, hatte Isabella Rossellini mitgespielt, blonde Perücke, Plastikkrönchen, eine Paraderolle als Baronin, die bei einem Unfall ihre Beine verloren hat und ihre Liebe dazu. Dass Maddin nun seine neuesten Filme im Forum Expanded, der Kunstfilmsparte der Berlinale, zeigt – auch das ist mehr als eine Koinzidenz. Waren im Forum Expanded 2008 doch auch Isabella Rossellinis „Green Pornos“ zu sehen, ihre Kurzfilme über das Liebesleben der Regenwürmer, Schnecken und Spinnen.

Es war ein weiter Weg vom weltberühmten Lancôme-Gesicht und der Prominententochter zur eigenwilligen Tierfilmregisseurin. Aber Isabella Rossellini, die von der Mutter die Schönheit, vom Vater den Witz geerbt hat, ist nie um Erklärungen verlegen gewesen, warum gerade die Umwege das Leben lebenswert machen. So lässt sie in ihrer Autobiografie „Some of Me“ Roberto Rossellini und Ingrid Bergman darüber diskutieren, ob sich ihre Tochter als Model für eine Kosmetikfirma hergeben und damit sehr, sehr viel Geld verdienen dürfe. Während der Vater Reichtum für ein Verbrechen hält und die Modelkarriere der Tochter als Verrat geißelt, sieht Ingrid Bergman das deutlich entspannter: Auch leichte Unterhaltung könne großes Vergnügen machen, der Rest der Welt habe durchaus Freude an dem, was Roberto als albern bezeichne. Dessen Replik: „Dummheit finde ich nicht unterhaltsam.“

Das würde auch Isabella unterschreiben. In diesem fiktiven Dialog steckt das Credo ihrer Kunst. Sie verehrt ihren Vater, um dessen Nachruhm sie sich sorgt und dem sie 2006 mit dem Buch „Im Namen des Vaters, der Tochter und der heiligen Geister“ ein weiteres anrührendes Denkmal setzte – im begleitenden Film von Guy Maddin spielt Isabella alle Rollen selbst, Chaplin, Hitchcock, Fellini und, mit Stoffwülsten ausgepolstert, den großen, warmen, nackten Bauch des Vaters. Gleichzeitig steckt im Vater-Mutter-Dialog auch eine erstaunliche Uneitelkeit und die Fähigkeit der Schauspielerin, jederzeit auch die Außensicht auf sich mitzubedenken. Und es steckt darin der alte Streit des Kinos zwischen Anspruch und Unterhaltung, der auch Isabella Rossellinis Filmkarriere prägt.

In ihrem Filmen oszilliert Isabella, wie ihre Mutter Ingrid Bergman, stets zwischen Avantgarde und Hollywood. Ihre erste Rolle spielt sie 1979 für die Brüder Taviani in „Il Prato“ und wird als blasse Kopie ihrer Mutter kritisiert. Neben dem russischen Tänzer Michail Baryschnikow kehrt sie 1985 in „White Nights“ auf die Leinwand zurück. Zweimal steht sie für David Lynch vor der Kamera, in Berlin dreht sie 1993 mit John Schlesinger das Kalter-Kriegs-Drama „The Innocent“, sie tritt aber auch für die Fernsehserie „Napoleon“ auf und in Peter Weirs Katastrophenfilm „Fearless“ (1993). Zuletzt war sie als krebskranke Mutter in der Bestseller-Verfilmung „Die Einsamkeit der Primzahlen“ zu sehen, und in Julie Gavras’ romantischer Ehekomödie „Late Bloomers“, die zu Ehren der Jurypräsidentin am 18. Februar im Gala-Special-Programm der Berlinale gezeigt wird.

Unsterblich geworden aber ist Isabella Rossellini 1986 als Nachtclubsängerin Dorothy Vallens in David Lynchs „Blue Velvet“: Da ist sie so sexy, so abgründig, so ikonisch, wie man es lange nicht gesehen hat im Kino, weder davor noch danach: eine Rolle für die Ewigkeit. Doch um die Haltbarkeit des Ruhms macht sich die heute 58-Jährige wenig Illusionen: Wer kenne in 30 Jahren noch die Meisterwerke ihrer Eltern, „Casablanca“ und „Rom, offene Stadt“, hat Isabella einmal im „Zeit“-Interview gefragt. Schon bei „Blue Velvet“ müsse sie feststellen, dass der Filmtitel heutigen Jugendlichen nichts mehr sage. Ihr Fazit lautet daher: „Die Ewigkeit, das sind höchstens zwanzig Jahre“. Dann doch lieber etwas Spaß mit dem Liebesleben der Regenwürmer.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false