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Umschwärmt: Popsänger Justin Bieber (Archivbild)

© dpa/EPA/Daniel Dal Zennar

Justin Bieber in Berlin: Man kann ihm nicht einmal böse sein

In der Mercedes-Benz-Arena wirkt Justin Bieber irgendwie abwesend. Aber echte Fans verzeihen alles. Und die Show hat auch schöne Momente.

So sieht eine Ton-Bild-Schere aus. Ton: Ich liebe dich, ich brauche dich, ich laufe zu dir, oh Baby. Bild: Hängende Schultern, Is-mir-doch-egal-Jogginghosen, Kaugummikauen, einem den Rücken zudrehen. Bemerkenswert, wie eindeutig Justin Biebers Körpersprache bei seinem Konzert in der ausverkauften Halle am Ostbahnhof den Abstand zwischen ihm und dem Publikum zu vergrößern suchte.

Angefangen mit der Bühnenshow: Erst schwebt der musikalisch hochbegabte Skandaltwen in einem baumelnden Plexiglaskäfig auf die Bühne, als hätte man ihn gerade in einem Wet-Teenage-Dream-Dschungel eingefangen.

Wenige Songs und 3000 Dezibel Gekreische später springt der 22-Jährige schon wieder freiwillig in einen Käfig mit echten Gitterstäben, um von dort aus als untouchable Anschmachtbild die Fantasien der Mädchen zu beflügeln. Und sich gleichzeitig vor dem Kontakt zu jenen Fans zu schützen.

Der Gesang kommt aus der Konserve

Und diese U22-Bieberettes, aus denen das Publikum bis auf wenige Journalisten und Eltern besteht, scheint solcherlei Behandlung gewohnt zu sein: Je desinteressierter Bieber sich gibt, je lustloser er seine Moves kickt, desto ekstatischer schreien sie. Hingegen kaum kommentiert wird, dass er sich bei drei Viertel der Songs nicht mal mehr prophylaktisch das Mikro vor den Mund hält, um wenigstens so zu tun, als sänge er. Stattdessen lauscht er trotzig seiner Konservenstimme und macht dazu ein paar Bewegungen.

Dabei kann der junge Mann unbenommen Tanzen, Singen und ist ein leidenschaftlicher Instrumentalist. Doch Bieber, der einst als Babyschlagzeuger mit ehrgeiziger und zum Platzen stolzer Mutter das Internet sprengte, schafft es bei seiner Tour zum Album „Purpose“ sogar das Schlagzeug, die Wurzel einer jeden Band, zum isolierten Soloinstrument zu morphen und sich damit wiederum zu vereinsamen: Sein obligatorisches Drumsolo, das er seit Jahren bei jeder Tour spielt, findet auf einem hochfahrbaren Podest statt, hoch über und getrennt von Band und Menschen.

Beim Trampolinspringen hat er ein bisschen Spaß

Er muss die Welt wirklich hassen, der arme Justin Bieber. Dem man noch nicht mal böse sein kann, denn erstens sind die Songs, auch die vom aktuellen, vierten Album teilweise wirklich schön, groovy, spannungsvoll. Und zweitens ist er irgendwie auch ein Opfer – zu früh berühmt, zu begabt, um One-Hit-Wonder zu bleiben, zu verlässlich als Provokationsschleuder, um ihn zu vergessen.

Also reißt er, Profi der er ist, die Show ab, den ersten von fünf Deutschland- Gigs, auf einer gigantischen Tour, die Anfang März begonnen hat und noch bis Ende November gehen wird. Und die tatsächlich auch viele schöne Momente hat: Die Lightshow ist grandios und führt einen von der Halfpipe über Sternenhimmel und Feuerwerk bis hin zu kraftwerkartig kantigen computerschriftgrünen Visuals. Es gibt sogar ein paar Momente, in denen die Stimmung des irgendwie absenten jungen Mannes sich leicht hebt, er ein bisschen leuchtet, Spaß zu haben scheint: Als ein mobiler Boxring von der Decke herunterschwebt, dessen Boden ein Trampolin ist, auf dem Bieber und seine Tänzer herumspringen und Salti schlagen – das scheint ihm Freude zu machen, allerdings kann ihn dabei kaum einer sehen. Das Schlagzeugsolo, das zwar – im Vergleich zur letzten Tour vor drei Jahren – weniger timingfest daherkam, scheint er ebenfalls zu genießen.

Das erste Lächeln auf dem kaugummikauenden, abweisenden Gesicht zeigt sich jedoch erst, als eine Gruppe Kinder mit ihm auf der Bühne tanzt und danach ein bisschen quatschen darf. Jetzt will man die Küchenpsychologin ja nicht ganz so laut stellen, aber: Sehe ich da die Sehnsucht nach der eigenen, verlorenen Kindheit, Herr Bieber? Hallo, sind Sie auf dem Sofa eingeschlafen?! Na ja, vermutlich haben Sie einiges nachzuholen.

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