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Naturbursche mit Baumarktflair. Justin Timberlake.

© Charles Baus/dpa

Justin Timberlake in Berlin: Wie viele Bäume sind ein Wald?

Bei seinem Konzert in der Arena am Berliner Ostbahnhof inszeniert sich Justin Timberlake als Naturbursche.

Von Jörg Wunder

Okay, wir müssen über die Klamotten reden. Für einen Pop-Superstar, der bis vor Kurzem als best dressed man in showbiz durchging und auf dessen vorletztem Album sich mit „Suit & Tie“ (Anzug & Krawatte) eine Hymne auf die Segnungen distinguierter Herrengarderobe befindet, ist Justin Timberlake beim ersten von zwei Auftritten in der Mehrzweckarena am Ostbahnhof erschütternd casual angezogen. Vermutlich sind die orangefarbenen Sneakers, die mausgraue Stoffhose und die Jeansjacke mit neongelbem Kragen sündteure Markenartikel, aber in seiner Heimat Tennessee würde der 37-Jährige damit in keinem Baumarkt auffallen. Abgerundet wird das legere Outfit durch ein Schlabber-T-Shirt, das JT am Merch- Stand erworben haben könnte, wirbt es doch für seine eigene Konzerttournee.

Natürlich kommt der Style nicht von ungefähr. Auf Promofotos zum aktuellen Album „Man of the Woods“ ist Timberlake mit Vollbart und raspelkurzer Nichtfrisur vor Bergpanoramen oder in verschneiten Nadelgehölzen zu sehen. Die Inszenierung des in Los Angeles lebenden Multimillionärs als kerniger Naturbursche entbehrt nicht der unfreiwilligen Komik, hat aber für die Tour logistische Vorzüge: Als Mann aus den Wäldern kann man nicht nur die Kleidervorschriften lockern, sondern sich auch aus der Materialschlacht bei Konzerten der Über- 10 000-Zuschauer-Kategorie herausnehmen. Dennoch ist der Auftritt kein Versuch in Minimalismus. Schon die Stärke des Bühnenpersonals – elfköpfige Band, vier Backgroundsängerinnen und -sänger , sechs Tänzerinnen und Tänzer – macht klar, dass Timberlake seinen Auftrag der Fanbeglückung ernst nimmt. Die Nähe zu den Zuschauern wird durch eine amorphe Laufsteglandschaft ermöglicht, sie lässt ekstatischen Jubel aufbranden, sobald der Star irgendwo ihm schmachtend entgegen gestreckte Hände berührt. Zugleich ist das Bühnendesign, das durch sechs nicht sehr beeindruckende Plastikbäume wohl die Assoziation „Wald“ hervorrufen soll, ideales Spielfeld für den Bewegungsdrang des begnadeten Tänzers Timberlake, der, hier muss man so hoch greifen, vielleicht der einzige ist, der den energetischen Tanzstil von Michael Jackson in die Gegenwart überführt hat.

Am Rande der Kitschklippe

Musikalisch kann Timberlake aus dem Vollen schöpfen: Dominiert wird die Setlist von jüngeren Tracks, aber er weiß, dass er Monsterhits wie „Cry Me A River“, „My Love“ oder „SexyBack“, alle von seinen ersten beiden, bis heute erfolgreichsten Alben, nicht auslassen kann. Nicht alles gelingt so gut wie das funky groovende „Señorita“, bei dem Timberlake selbst das Intro orgelt und durch den Wechselgesang mit dem Publikum aufleben lässt. Zu „Cry Me A River“ etwa wabert zwar effektvoll Bodennebel über die Bühne, doch das rocklastige Arrangement und ein fieses Gitarrensolo kippen die majestätische Ballade fast über die Kitschklippe. Besser gelingt die opulente Schmachtnummer „Mirrors“ von dem mit nur zwei gespielten Songs (der andere ist „Suit & Tie“ mit fantastischer Solo-Tanzeinlage) unterrepräsentierten 2013er Album „The 20/20 Experience“, bei der sich Timberlake als astreiner R’n’B-Crooner präsentiert.

Nach einer Stunde Druckbetankung ist es Zeit für einen atmosphärischen Break: Die Bühnentechnik entfacht ein Lagerfeuer, um das sich Band und Tänzer locker gruppieren. Timberlake, nun stilecht im Holzfällerhemd, klampft auf der Akustischen „Until The End Of Time“ und „What Goes Around… Comes Around“, doch trotz der optischen Unterstützung durch Tausende aufleuchtende Handy-Displays wirkt diese vermeintliche (weil die kaum sichtbar auf der Hauptbühne verbliebene Rhythmussektion weiter am Werk ist) Unplugged-Einlage latent fake. Schön ist indes, dass der Chor Gelegenheit bekommt, sich durch je eine Coverversion vorzustellen, wobei vor allem Nicole Hurst mit einer leidenschaftlichen Interpretation von Lauryn Hills „Ex-Factor“ begeistert.

Quervermarktung mit Hollywood

Gegen Ende gibt es noch mal die volle Hitdröhnung: „Rock Your Body“ wird nur angespielt, aber „Summer Love“ und „Like I Love You“ erstrahlen in ihrer ganzen Tanzflächenpracht. Irgendwie passt es zur konzertanten Neubewertung des Künstlers und seines Werks, dass der am vehementesten bejubelte Track noch ziemlich frisch ist: „Can’t Stop The Feeling!“, Timberlakes größter Single-Erfolg der letzten zwölf Jahre, stammt aus dem Animationsfilm „Trolls“ von 2016, für den er auch eine der Hauptfiguren synchronisiert hat. Der Quervermarktung mit Hollywood können sich eben auch die Großen der Popbranche nicht entziehen. Macht aber nichts, denn mit seinem unwiderstehlichen Gutelaune-Imperativ ist der Song ein optimales Konzertfinale.

Die Fans sind nach 120 Minuten werbeunterbrechungsfreiem Rundum-Entertainment aus dem Häuschen. Mission erfüllt. Darf wiederkommen, der Mann. Gern in Suit & Tie.

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