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Die Schriftstellerin Petra Morsbach.

© imago/Manfred Segerer

"Justizpalast" von Petra Morsbach: Nur unglückliche Menschen ziehen vor Gericht

Petra Morsbach hat mit „Justizpalast“ einen beeindruckenden Roman über das Kunstwerk der Rechtsprechung geschrieben.

Bevor Petra Morsbach 1995 ihren Debütroman „Plötzlich ist es Abend“ veröffentlichte, der die Geschichte einer Leningraderin von 1950 bis zum Ende der Sowjetunion erzählt, hatte sie zehn Jahre lang als Regisseurin und Dramaturgin an unterschiedlichen Theatern gearbeitet. In Freiburg, Ulm, Leipzig, Oberhausen, Bruchsal und Bonn, in der westdeutschen Bühnenprovinz also, die der Morsbach zwar keine künstlerische Perspektive eröffnen konnte, die jedoch ihr literarisches Werk prägen sollte. Thematisch, aber auch in Hinblick auf Dramaturgie und Sprache erinnern ihre Romane bis heute an die szenische Darstellung von Stoffen auf den Brettern, die dann doch nicht immer die Welt bedeuten.

Petra Morsbach bearbeitet in ihrer Prosa nämlich existenzielle, man könnte sagen: bühnentaugliche Konflikte in sehr unterschiedlichen Milieus, in denen die Autorin oft längere Zeit recherchiert hat. Die projektbezogene Fokussierung gehört denn auch zu ihren großen literarischen Stärken: Sie schrieb ihren „Opernroman“ über den Wahnwitz der deutschen Theaterszene, veröffentlichte eine „Geschichte mit Pferden“, in dem es um eine unterbezahlte und einsame Köchin auf einem Reiterhof geht, tauchte dann im Roman „Gottesdiener“ in den priesterlichen Alltag eines im ländlichen Niederbayern angesiedelten Pfarrers ein.

Schließlich folgte eine neunjährige Recherche im Richterstand, und herauskommen ist mit „Justizpalast“ ein derart beeindruckender Roman über den Aufstieg von Thirza Zorniger zur Vorsitzenden Richterin am Münchner Landgericht, dass der Jurist Heribert Prantl in seiner Laudatio auf die diesjährige Wilhelm-Raabe-Preisträgerin und Nichtjuristin Petra Morsbach sagte, er habe „nie einen literarischen Text gelesen, in dem über die Justiz und ihren Alltag, über ihre Protagonisten, über ihr Wesen und Walten, über Sein und Schein, Anspruch und Wirklichkeit so umfassend erfassend und so packend geschrieben wurde.“

"Leben ist Chaos"

Tatsächlich bietet Petra Morsbachs Roman nicht nur einen lohnenden Einblick in die Welt der Rechtsprechung, sondern er schafft es überdies, die juristische Sprache in Literatur zu überführen. Zu erwarten war selbstverständlich, dass die Reaktion der Juristen auf den Justizroman keineswegs einhellig sein würde, so urteilte dann auch der nicht gerade für seine Literaturkompetenz bekannte, aber zu allem eine Meinung habende und absondernde ehemalige Bundesrichter Thomas Fischer auf entlarvende Weise, die Autorin verstehe die juristische Sprache nicht, versuche nur, sie „unbeholfen nachzuahmen“. Doch das ist ein Fehlurteil. Petra Morsbach ahmt nichts nach. Sie erfindet neu, nämlich dem Sujet entsprechend eine – so paradox es klingen mag – juristische Literatursprache.

Richter und Anwälte werden gewiss aufhorchen, aber wohl eher mit dem Kopf nicken, wenn sie „Justizpalast“ lesen und Zorniger nach vielen Dienstjahren resümiert: „Glückliche Menschen ziehen nicht vor Gericht. Die, die zu uns kommen, sind unglücklich, unzufrieden, oder sie werden von unglücklichen, unzufriedenen Menschen vor Gericht gezerrt und werden dadurch ebenso unglücklich.“ Der Roman liefert eine Vielzahl von Rechtsfällen, bei denen nicht nur die Entscheidungsnöte der Richterin Zorniger, sondern auch die Unfähigkeit der Menschen erzählt wird, sich außergerichtlich zu einigen. „Leben ist Chaos“ heißt einer der vielen prägnanten Sätze in „Justizpalast“, und den kann nur formulieren, wer nach Ordnung strebt, wie etwa Richterin Zorniger, die in ihrem Leben durchaus chaotische Verhältnisse erlebt hat.

In eine auseinanderbrechende Schauspielfamilie hineingeboren, aufgewachsen bei zwei Tanten und beim autoritären Großvater, einem pensionierten Strafrichter, versucht Thirza immer wieder mit den Zumutungen und Grausamkeiten auch und vor allem in ihrem privaten Umfeld klarzukommen. So ist es kein Wunder, dass sie nach einem Jurastudium sich nicht als Anwalt verdingen, sondern Recht sprechen und Gerechtigkeit schaffen möchte. Mit diesem Anspruch kommt sie an ihre psychischen und physischen Grenzen. Aber da sie nicht zur Zynikerin wird, ihre ursprünglichen Ziele nie aufgibt, wird sie zu einer juristischen, aber auch moralischen Instanz im legendären Justizpalast, einem neobarocken Prunkbau in Münchens Innenstadt, der einst Schauplatz der Prozesse gegen die Mitglieder der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ im Februar 1943 war.

Die unfehlbare Justiz gibt es nicht

Petra Morsbach nimmt es in ihrem vielschichtigen Roman mit der schändlichen Tradition der Justiz auf, zitiert den großen Rechtsphilosophen Gustav Radbruch, dekliniert die zentralen rechtsphilosophischen Grundfragen durch, die das Verhältnis von Recht und Gerechtigkeit, aber auch die Frage nach der politische Instrumentalisierung der Rechtsprechung betreffen. Vor allem gegen Ende gibt sich die Erzählerin als Kritikerin der bayerischen Verhältnisse zu erkennen, die bis heute verhindert haben, dass die Ära Franz Josef Strauß juristisch und politisch aufgearbeitet wurde.

Nun könnte man meinen, all dies mache das Werk zu einem theorielastigen Brocken. Aber das ist nicht der Fall, was auch an der Struktur des Textes liegt, der nicht chronologisch erzählt ist und die schweren Lebensthemen und Lebensabschnitte der Hauptfigur mit leichter Hand herumwirbelt. Zumal neben dem beruflichen Alltag das Liebesleben der Richterin im Mittelpunkt steht, das zunächst nicht wirklich stattfindet, sich dann aber entfalten kann – fast so wie in den Liebesromanen, die Thirza so gerne liest. Die erst ausbleibende, sich zeitweise erfüllende und dramatisch endende Liebesgeschichte ist aber kein billiges Würzmittel für einen ansonsten emotionslosen Text. Im Gegenteil, sie gehört zum erzählerischen Programm, das zeigt, wie unmöglich es zu sein scheint, den halbwegs normalen Gefühlshaushalt eines Menschen mit dem Richterinnenberuf in Einklang zu bringen, wie groß die Differenz zwischen der Sprache der Liebe und der juridischen Stilistik ist.

Petra Morsbach hat einen thematisch und sprachlich außergewöhnlichen Gesellschaftsroman geschrieben, der die Hoffnung auf die endlos wahre Liebe im Grunde für genauso naiv hält wie den Glauben an eine unfehlbare Justiz. Die sei vielmehr ein „schwindelerregendes Konstrukt aus Anspruch und Verblendung, Abstraktion und Herrschaftssicherung, Moral und Missbrauch, Redlichkeit und Routine, Zwanghaftigkeit und Zynismus“. Dennoch feiert der Text (neben der Liebe) genau dieses schwindelerregende Konstrukt und zeigt, dass es eine – um es mal juristisch zu formulieren – Conditio sine qua non für ein demokratisches Gemeinwesen ist. Wer doch mal vor Gericht stehen sollte, dem bleibt nur zu wünschen, vor einer um Ausgleich bemühten Richterin wie Thirza Zorniger zu stehen.
Petra Morsbach:  Justizpalast. Roman. Knaus Verlag, München 2017. 480 Seiten, 25 €.

Carsten Otte

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