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Kultur: Kälteschock fürs heiße Herz

Wieder mal scheiden sich an ihm die Geister.Thomas Bischoff, der gestrenge Konzeptionist, hat an den Münchner Kammerspielen Hebbels "Maria Magdalena" inszeniert und spaltet das Publikum in zwei Lager: in Bravostürmer und Buhrufer - Menschen, die Bischoffs eiskalten Figurationen etwas abgewinnen können, und andere, die dieses Gefrierschranktheater für leb- und herzlos halten.

Wieder mal scheiden sich an ihm die Geister.Thomas Bischoff, der gestrenge Konzeptionist, hat an den Münchner Kammerspielen Hebbels "Maria Magdalena" inszeniert und spaltet das Publikum in zwei Lager: in Bravostürmer und Buhrufer - Menschen, die Bischoffs eiskalten Figurationen etwas abgewinnen können, und andere, die dieses Gefrierschranktheater für leb- und herzlos halten.Wer sich einläßt auf Bischoffs Pausen und Posen, auf diese Welt ohne Mitleid, die der Regisseur mit chirurgisch nüchternem Analytikerblick als Konstrukt entwirft, als Planspiel wie auf einem Reißbrett fast, der wird nicht ungerührt aus dieser Aufführung gehen.Im Gegenteil - die arktische Kälte, die von Bischoffs Menschenstatuen ausgeht, ihre Vereinzelung und Ausweglosigkeit schnüren einem die Kehle zu.

Bischoff ist bekannt für sein präzise durchgeplantes Konzepttheater, in dem jede Geste unter Kontrolle, keine Bewegung zufällig ist.In diesem Jahr hat ihm das eine Einladung zum Berliner Theatertreffen beschert; im Herbst wechselt Bischoff als Hausregisseur zu Frank Castorf an die Volksbühne.An den Münchner Kammerspielen hat er zuletzt mit gnostischem Blick den "Urfaust" auf die Bühne gebracht: als statuarisches, schwer depressives Spiel der Versuchungen und Verzögerungen mit teils bis zur Unerträglichkeit gesteigerten Langsamkeiten.Hebbels "Maria Magdalena", dieses bürgerliche Trauerspiel aus einer engen, in Konventionen erstarrten Welt, ist für diese Art von Theater sicherlich das geeignetere Stück.Eine mitleidlose Kälte kriecht schon bei der Lektüre aus dem Text - der Regisseur kanalisiert und stilisiert sie nur.Bischoff befreit das Drama von jeglichem Realismus und stellt es - ungerührt wie ein Präparator - in der grandiosen Leichenhalle aus, die seine Bühnenbildnerin Uta Kala ihm gebaut hat: ein hoher, von schmalen Säulen gestützter Saal mit zwei Schiebetüren links und rechts und einem gewölbten Portal an der Rückseite, das immer dann aufgeht, wenn einer stirbt.Ob Himmelspforte oder Höllentor - es ist der einzige wirkliche Ausweg aus diesem Stück.

Hebbels Menschen bewegt Bischoff in dieser leeren Säulenhalle wie Schachfiguren auf einem imaginären Brett.Jeder Schritt ist berechnet, jede Bewegung ein genau kalkulierter Zug.Selbst beim heftigsten Familienstreit macht niemand eine unkontrollierte Bewegung.Man steht sich steif gegenüber und blafft sich an, von Angesicht zu Angesicht.Statt zu fuchteln oder sonstwie zu gestikulieren, liegen die Arme am Körper an.Einmal gibt die Mutter (schön spitz: Jennifer Minetti) ihrer Tochter eine Ohrfeige; da friert ihr für ein paar Sekunden gleich die Hand ein, und sie steht da wie erstarrt.Immer wieder zeigt Bischoff solche Standbilder von Emotionen, Pose gewordene Leidenschaften, gefrorene Glut.

Wo die Menschen nach außen hin solcherart die Form wahren müssen, implodieren die Gefühle.Bischoff hat Schauspieler, denen man das regelrecht ansehen kann.Ihre Körper beben und zittern vor Erschütterung, scheinen manchmal fast zu platzen - vor allem Claus Eberth als Tischlermeister Anton ist groß in dieser Kunst.All seine Verkrampfung, die Angst des Spießers vor der Schande macht dieser Schauspieler körperlich.Faszinierend auch, wie man in dieser Inszenierung jede Regung der Menschen in ihren Gesichtern ablesen kann; wie jedes Zucken hier zählt, jedes Flackern im Blick.Alle möchten am liebsten raus aus ihrer Haut und aus den hochgeschlossenen Klamotten, in die Uta Kala sie gezwängt hat.Die Männer tragen zeitlose Anzüge, die Mutter den schwarzen Rock einer Amme; Karla steckt im taubenblauen Kleid einer Bauernmaid.

Der Abend beginnt und endet mit einem schnellen Musikstück von Vivaldi, dem Concerto ripieno, das - sehr allegro - einen heiteren Auf- und Schlußtakt setzt, so als sei das Ganze nur eine kleine Etüde, ein Stückchen Leben in Gänsefüßchen, eine Komödie vielleicht.Angesichts der Tragödie, die sich auf der Bühne abspielt, ist das fast ein wenig zynisch.Es ist ein tiefer, erschreckender Nihilismus, der aus Bischoffs kühlen Szenen schreit.Wenn die Mutter stirbt, weil allein schon der Verdacht, ihr Sohn habe Juwelen geklaut, unerträglich ist für die alte Frau, erschallt wie zum Hohn ein lauter Kirchenchoral - Carl Orffs "Kyrie" - und schmettert: "Herr, erbarme dich!" Die Mutter nimmt daraufhin ungerührt ihr Brautkleid (ihr "Leichenkleid" nannte sie es) und tritt durch das Portal an der Rückwand in ein gleißendes Licht - wenn das kein Abtritt ist! Zweimal noch wird der Choral erklingen und erst dann Ruhe geben, wenn auch Klara abgetreten ist.Die ganze Inszenierung ist darauf angelegt, arbeitet mit stoischem Gestus darauf hin: auf Klaras Tod, den Selbstmord des schwangeren Mädchens.

Anna Schudt steht dieses Schicksal von vornherein ins Gesicht geschrieben.So wund und schmerzerfüllt ist ihr Blick, daß sich das ganze Leid einer armen Seele und auch der Tod schon darin spiegeln.Anna Schudt ist von einer beklemmenden Intensität.Nicht nur Verzweiflung, auch Haß ist in ihr drin.Manchmal steht sie einfach nur da und starrt, daß einen frösteln könnte.Immer, wenn sie betet, nach Gott schreit, stellt der grausame Regisseur sie unter die einzige Leuchte im Raum, die traurig von der Decke baumelt - ein erbärmlicher Anblick.Zweimal bäumt sich Klara auf, versucht noch einmal anzukämpfen gegen den Determinismus des Stücks.Als sie erfährt, daß die Juwelen wieder aufgetaucht sind, der Bruder also unschuldig ist und die Mutter gar keinen Grund hatte zum Sterben, da wird die junge Frau zur Furie und würgt den Kaufmann, der die Nachricht bringt, so heftig, daß der Stuhl knackst.

Am Ende noch ein Versuch: Klara kniet vor Leonhard nieder und fleht den Mann, der sie geschwängert und sitzengelassen hat, bitterlich an: "Heirate mich!" Sirenenlaut schritt der Ruf durch den Raum.Ein letztes, vergebliches Alarmsignal.

Es sind die Männer, die in Bischoffs gottloser Welt überleben: der tyrannische Vater ("Ich verstehe die Welt nicht mehr"), der Unglückswurm von Bruder (Matthias Eberth), das Weichei von Sekretär (Tobias Langhoff), ja selbst das Charakterschwein Leonhard (Stefan Hunstein) kommt hier lebend davon.Anders als bei Hebbel bleibt das Duell zwischen ihm und dem Satisfaktion suchenden Sekretär bei Bischoff bloße Pose: Jeder der beiden Männer darf - wie beim Russischen Roulette - einmal am Abzug drücken, und als kein Schuß sich löst, schüttelt man sich erleichtert die Hand und geht kameradschaftlich von dannen.Geschäft erledigt: So ist am Ende alles gut.Jetzt bloß nicht weinen.Die Tränen würden zu Eiswürfeln gefrieren.

Wieder am 28.3., am 5., 9., 15.und 27.4.

CHRISTINE DÖSSEL

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