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Kultur: Kairo bei Nacht

Iran und Ägypten – Filmemacher im Gespräch

Es wird wieder demonstriert an diesem Abend. „Sollen wir hingehen?“, haben sie im Taxi erst noch gefragt, eigentlich zum Spaß, doch dass das kein Spaß ist, ist offensichtlich. Ausschreitungen werden erwartet, in den vergangenen Tagen gab es Tote, der Blick von Marwan Hamed wird immer sorgenvoller, während er über Twitter die aktuellen Berichte verfolgt. Rafi Pitts, der iranische Filmemacher, der für eine Nacht in Kairo zu Besuch ist, will wissen, wer überhaupt demonstriert. „Copts“, Kopten, erklärt sein ägyptischer Gastgeber im englisch geführten Gespräch. „Cops?“ wundert sich Pitts über demonstrierende Polizei. Von Kopten, einer christlichen Gruppe in Ägypten, hat der in Paris lebende Iraner noch nichts gehört.

Bei der Filmpremiere in den Hackeschen Höfen ist die Spannung dieser Stunden spürbar. Als man den Plan fasste, einen ägyptischen und einen iranischen Regisseur in der Arte-Dokureihe „Durch die Nacht mit ...“ gemeinsam loszuschicken, war klar, dass man im nachrevolutionären Kairo auf besondere Drehbedingungen treffen würde. Es sei aber ein Sonderfall, wenn die aktuelle Politik so unvermittelt in den Drehprozess einwirkt, sagt Regisseurin Edda Baumann-von Broen. Pitts, der sich aus dem Pariser Exil für seine verurteilten Kollegen Jafar Panahi und Mohammed Rasoulof einsetzt, und Marwan Hamed, der mit „The Yacoubian Building“ 2006 einen der teuersten ägyptischen Filme drehte und Mitregisseur der in Cannes vorgestellten Revolutionskompilation „18 Days“ ist, sind eine interessante Kombination. Dass aber die Demos Anfang Mai, drei Monate nach den dramatischen Tagen auf dem Tahrir-Platz, keineswegs Geschichte sind, war für alle Beteiligten unerwartet.

Es ist ein besonderes Zusammentreffen: zwei smarte Regisseure, die im Eiltempo durch die Stadt laufen, über den Tahrir-Platz, in die Gassen der Altstadt, wo sich die Revolutionäre in versteckten Cafés verschanzten, und schließlich mit einem Bötchen über den Nil übersetzen. Da sind sie längst so leidenschaftlich in politische Diskussionen verstrickt, dass für die Schönheit des nächtlichen Kairo kein Blick mehr übrig bleibt. Was bleibt in Erinnerung von diesen kurzen Stunden? Pitts’ Ergriffenheit, als er auf dem Tahrir-Platz steht, den „derzeit wohl mythischsten Platz der Welt“. Hameds Bericht von den Revolutionstagen, als er sich mit einem Gewehr in der Hand wiederfand und nicht wusste, sollte er schießen und wenn ja, auf wen. Pitts’ Melancholie angesichts der Straßencafés in Kairo: „Wenn das doch irgendwann auch in meinem Land möglich wäre!“ Und das Erstaunen seines Gegenübers, der nicht wusste, dass im Iran Männer und Frauen in der Öffentlichkeit nicht gemeinsam Kaffee trinken können. Es ist für beide eine surreale und spürbar nachdenkliche Begegnung. Um 23 Uhr endet sie viel zu früh. Sperrstunde in Kairo.Christina Tilmann

„Durch die Nacht mit ...“ läuft am 5. Juli um 0.45 Uhr auf Arte.

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