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Kultur: Kalte Seelen

Deutschlandbilder: Schlöndorff, Klier und Thome beim Münchner Filmfest

Die Nervosität steht dem Mann ins Gesicht geschrieben. Als Andreas Ströhl zur Eröffnung des Filmfests auf die Bühne des Mathäser-Kinos steigt, kommen die Worte des sonst so enthusiastischen neuen Festivalchefs nur stockend herüber. Gemessen an der Routinerhetorik seines Vorgängers Eberhard Hauff, wirkt Ströhls Unsicherheit dennoch recht sympathisch. Ein bezeichnender Auftritt für ein Festival zwischen Übergang und Aufbruch: Ströhl hat das Festival übersichtlicher gemacht – aber noch nicht klar genug strukturiert. Er hat die Kommunikation zwischen Regisseuren und Publikum verbessert – dabei kommt aber das emotionale Flair der Schauspielerstars zu kurz. Er hat den Journalisten bessere Arbeitsbedingungen verschafft – verärgert sie aber mit der lustlosen Verleihung des renommierten „Förderpreises deutscher Film“.

Was das Programm betrifft, zumal die wie immer mit besonderer Aufmerksamkeit bedachten deutschen Produktionen, können Ströhl und seine Mitarbeiter sich am Ende des Festivals allerdings sehen lassen. In einer Sondervorführung lief erstmals Volker Schlöndorffs „Der neunte Tag“, eine wahre Geschichte: Im Mittelpunkt steht ein luxemburgischer Priester, der im KZ Dachau gequält wird. Eines Tages holt ihn ein junger Gestapo-Mann in seine Heimat zurück, um ihn dort für NS-Zwecke einzuspannen. Dabei schickt er ihn von der physischen in die psychische Marter: Spricht sich der Priester im Namen der Kirche für den Nationalsozialismus aus, ist er frei. Andernfalls droht ihm, seiner Familie und den anderen luxemburgischen Priestern im Lager der Tod. Eine teuflische Versuchungsverführung.

Und eine Bühne für das Duell zweier glänzender Darsteller: Der ausgemergelte Ulrich Matthes trifft auf den glattpomadisierten August Diehl. Schlöndorff versucht, Melodramatisierungen zu vermeiden. Dabei geht er aber soweit, dass er die meisten emotionalen Funken löscht, bevor sie überspringen können. „Der neunte Tag“ ist voll von christlicher Symbolik samt Kreuzigungsszene und Fußwaschung. Auch wenn der Film überwiegend außerhalb des KZs spielt: Es beschleicht einen ein merkwürdiges Gefühl, wenn nach Spielberg, Benigni und Polanski nun ein Deutscher die Hölle des Lagers zu bebildern versucht – und den Fokus dabei auf die Katholiken richtet.

Zur Deutschlandpremiere war Hans Weingartner mit seinem bereits in Cannes gefeierten Film „Die fetten Jahre sind vorbei“ angereist; in München erhielt er ebenfalls viel Applaus – und wurde mit gleich drei Förderpreisen ausgezeichnet: für den besten Film, die beste Regie und den besten Darsteller Stipe Ergec.

Auf dem hohen Niveau von Weingartner bewegt sich Michael Kliers „Farland“. Mit ruhiger, konzentrierter Hand legt Klier sein filmisches Stethoskop auf das Herz zweier erkalteter Figuren – und hört nichts schlagen. Ziellos wandern die gefühlsverwahrlosten Protagonisten (herausragend: Richy Müller und Laura Tonke) durch graue Konsum-Niemandsländer im Osten. Verblühte Seelenlandschaften, in langen Schwenks festgehalten. Weh dem, der diese Heimat hat!

„Farland“ gibt das Thema vor, das die übrigen deutschen Filme wie ein großer Bogen umspannt: der Kollaps menschlicher Emotion. Die Frage, wo man emotional zu Hause ist, stellt sich auch „Kroko“-Regisseurin Sylke Enders. In ihrem neuen Film „Hab mich lieb!“ ist sie einer Außenseiterbande auf den Fersen, beobachtet deren Alltag, mit manchmal präzisem, manchmal ziellos umherschweifendem Blick. In den Mittelpunkt des verletzlichen Trios stellt Enders wieder die faszinierende Franziska Jünger, die nach „Kroko“ kaum wiederzuerkennen ist. „Komm, wir tun mal so, als ob wir glücklich wären“, sagt eine der Figuren. Keine leichte Sache.

Das würde auch Familie Bogenbauer bestätigen, in Rudolf Thomes „Frau fährt,Mannschläft“ Die Bogenbauers bezeichnen sich als „ glücklichste Familie Deutschlands“, sind aber alles andere als das: Ihr bürgerliches Leben bricht gerade auseinander. Thome hält das in genau komponierten, klaren Tableaux fest. Dankenswerterweise lässt er Hannelore Elsner das tun, was sie am besten kann: Sie spielt eine Frau am Rande der Hysterie.

Auch die weniger gelungenen deutschen Festivalbeiträge hinterlassen den Eindruck, als wagten die Regisseure mehr Fantasie, wenn sie die Gefühlsleere ihrer Figuren mit Bildern beleben. In „Close“ lässt Markus Lenz zwei erkaltete Seelen auf dem dunklen Fluss der Großstadt treiben. Wenn sich Christoph Bach und Jule Böwe ineinander verkeilen, wirkt das zwar immer ein wenig forciert. Aber man denkt immerhin, so ähnlich könnten sich der junge Robert De Niro und Kati Outinen begegnen. Tilman Zens’ Genre-Versuch „Such mich nicht“ wiederum kaschiert die eigene Inhaltsleere mit radikalen Nahaufnahmen und beinahe komplett entsättigten Bildern. Ein hochstilisierter Thriller um eine ausgezehrte, einsame Auftragskillerin, dessen Tempo leider austrudelt, kaum dass der Film Fahrt aufzunehmen beginnt.

Der Berliner Rouven Blankenfeld versucht es mit einer Frauenbefreiungsgeschichte. „In die Hand geschrieben“ möchte – manchmal unbedarft, meist unerschrocken – an Fassbinder-Filme wie „Martha“ anknüpfen: grobschlächtige Charaktere, dazu die Radikalität einer Erzählung, die an die Grenzen des guten Geschmacks stößt. Währenddessen baut Katinka Feistl in „Bin ich sexy?“ eine etwas harmlose, aber wortgewandte Komödie um den Konflikt zwischen Mutter und Tochter herum.

Ein gelungenes Festival erkennt man an den guten, aber auch an der Abwesenheit schlechter Filme. Insofern war 2004 ein überzeugendes Münchner Filmfest-Jahr. Kein Grund, nervös zu werden.

Julian Hanich

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