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Kultur: Kalter Krieg der Bücher

Zweifelhafter Musenkuss: Wie die Großfilialisten den deutschen Buchhandel auf Linie bringen wollen

Joachim Wrensch hatte schlaflose Nächte: Unmittelbar neben der Braunschweiger Buchhandlung Graff, die ihm und seinem Bruder gehört, eröffnete im letzten November eine der 137 Filialen des Marktführers Thalia. Graff verfügt über 2000 Quadratmeter Verkaufsfläche, Thalia über 3000. „Thalia hat uns vor anderthalb Jahren die Übernahme angeboten“, sagt Wrensch. „Eine weitere Filiale sollte in einem neu entstehenden Einkaufszentrum entstehen. Wenn wir nicht zustimmen, würden zwei große Thalia-Läden öffnen, einer in unserer Nachbarschaft. Wir haben abgelehnt. Das Angebot war finanziell nicht attraktiv.“

Als Thalia der Mietvertrag für Braunschweig vorlag, fragte man erneut, ob er und sein Bruder es sich überlegt hätten. Es siegte der Trotz: „Wie viel ist einem die Selbstständigkeit wert?“, fragte sich Wrensch, führte ein striktes Kostenmanagement ein und beschloss: „Der traditionelle Buchhandel hat bei der Filialisierung gute Chancen.“

In Buchhandlungen und Verlagen herrscht Alarmstimmung. Nach vier mageren Jahren stiegen die Umsätze 2005 zwar entgegen dem Trend im Einzelhandel um zwei Prozent. Doch bevor zu Silvester die Sektkorken knallten, kündigte Thalia den Kauf von 26 Gondrom-Filialen an. Stimmt das Kartellamt der Übernahme des Zehntgrößten durch den Größten der Branche zu, steigt Thalias Marktanteil auf 6 Prozent und der Umsatz von 461 auf mehr als 520 Millionen Euro. Deutlich abgeschlagen: die nächsten Konkurrenten Weltbildplus (242 Millionen ohne Weltbild.de und Verlag) und Hugendubel (266 Millionen, alle Zahlen aus 2004). Thalia mag die Muse der Komödie sein – den Konkurrenten ist das Lächeln schon lange vergangen.

Längst fürchten nicht nur kleine Buchhändler um ihr Geschäft. Auch die großen haben Probleme und sind Übernahmekandidaten geworden. Oft fehlen ihnen wie Dieter Schormann die Erben. Der Inhaber der Ferber’schen Buchhandlung in Gießen nahm anders als die Brüder Wrensch das Angebot von Thalia an. Seit dem Herbst arbeitet er für die Hagener. Dass Schormann dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels vorstand, ließ den Vorgang hochsymbolisch wirken. Empörte Buchhändler zwangen ihn zum Rücktritt.

Thalia überzieht die Republik, die Schweiz und Österreich mit Buchkaufhäusern in Einkaufscentern oder bester Lage. 2006 sind sechs neue Filialen geplant. Im Geschäftsjahr 2004/5 wuchs der Umsatz um 19,1 Prozent. Bleibt es bei diesem Tempo, wäre in fünf Jahren die Umsatzmilliarde erreicht. Dann ginge im Buchhandel vor Ort (ohne Buchgemeinschaften, Versender und Direktverkäufe) ein Drittel aller Romane, Sach-, Taschen-, Kinder- und Jugendbücher, Ratgeber, Reiseliteratur und Billigbücher über die Thalia-Theke. Eingekauft wird vorzugsweise umsatzträchtige Stapelware. Wenn kleinere Verlage nicht mehr in die Regale kommen, wird damit langfristig die Vielfalt der Buchproduktion gefährdet. In England, wo die Buchpreisbindung schon gefallen und der Kampf um Rabatte entbrannt ist, scheint es schon jetzt so weit: Die Wettbewerbskommission, die gerade über die Übernahme der Waterstones-Kette durch Ottakar’s entscheiden muss, ist das dramatischste Kapitel des bisherigen Konzentrationsprozesses. Zusammen würden die beiden Ketten 325 Filialen und 24 Prozent des Buchmarktes kontrollieren.

Das Wachstum von Thalia ist atemberaubend: 1975 beteiligte sich der Parfüm, Schmuck und Mode verkaufende Douglas-Konzern an der Montanus-Gruppe, 2001 wurde er, so die Internetseite, Marktführer durch die Übernahme von 75 Prozent der Hamburger Buchhandelskette Thalia. Doch der Vorstandsvorsitzende Michael Busch sieht Thalia nicht als größten deutschen Buchhändler: „Sie sprechen mit dem Drittgrößten. Amazon und Weltbild sind größer und direkte Konkurrenten des stationären Buchhandels.“ Wer immer nun vorn liegt, die Buchhandelskette, der Onlineanbieter oder die Boulevardkette mit eigenem Verlag und Onlinevertrieb – für Verlage ist die Konzentration im Handel beunruhigend: Der Riese Random House/Bertelsmann setzt nur halb so viel um wie Thalia. „Da ballt sich Nachfragemacht“, sagt Ullstein-Geschäftsführer Hartmut Jedicke und sieht einen „Trend zur Margenverschiebung“. Michael Busch weist auf einen anderen Aspekt hin: „Die Verlage tragen zur Strukturveränderung bei, die die Existenz auch des mittelständischen Buchhandels bedroht, wenn sie für Billigeditionen Lizenzen vergeben und Vertriebswege wie das Internet oder die Discounter fördern.“ Das Geschäft im Internet geht an Thalia dank einer 35-ProzentBeteiligung an buch.de und buch.ch nicht vorbei.

Vor einigen Monaten forderte Thalia in einem Brief an 100 Verlage, sich an den Kosten für Renovierungen und Neueröffnungen von Filialen beteiligen. Der Protest gegen die in manchen Ländern üblichen Zahlungen war lautstark, manche reagierten sarkastisch: Reinhold Joppich, Vertriebsleiter von Kiepenheuer & Witsch, fragte an, wo er die Farbeimer hinbringen solle. Für Philip Roeder, kaufmännischer Geschäftsführer von Suhrkamp, war der Brief ein Versuchsballon. Bisher gibt es offenbar keine Vereinbarungen. Erst letzte Woche nannte Gottfried Honnefelder, Schormanns Nachfolger als Chef des Börsenvereins, im Deutschlandradio Kultur Thalias „aggressives Marktverhalten“ eine „bodenlose Frechheit“. Thalia müsse sich an Usancen halten und auch schwer verkäufliche Bücher fördern: „Dafür haben wir die Buchpreisbindung bekommen.“ Busch dagegen betont: „Gerade Thalia setzt sich mit seiner Sortimentstiefe für Titelvielfalt ein.“

Honnefelder kann sich offene Worte leisten – er ist nur noch bis April DuMont-Verleger. Andere wie Diogenes schweigen lieber über den Großkunden. Susanne Schüssler, Chefin von Wagenbach: „Nicht die Größe ist entscheidend. Es kommt auf die einzelne Buchhandlung an. Wir unterstützen alle, die viel für uns tun – und vor allem neben den neuen Titeln auch die älteren weiter verkaufen.“

Gibt es im Buchhandel bald Oligopole wie bei Drogerien und Elektronik? Der Baseler Buchhändler Urs Heinz Aerni glaubt, dass die Kleinen Chancen haben, solange es den festen Ladenpreis gibt. Der Präsident der Schweizer Kleinbuchhandlungen will ein Qualitätslabel für Kundenfreundlichkeit, Personalausbildung und Atmosphäre einführen. Mehr als die großen Buchhandlungen ärgern ihn Verlage, die ihre Bücher auch direkt vertreiben oder deren Umschläge der Filialästhetik angleichen: „Frauenschuhe statt Esprit“. So kann man die Alternative auch nennen.

Jörg Plath

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