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Kultur: Kampf und Tanz

Der Geruch von Heu kribbelt in der Nase."Na Zemlje" (zu deutsch: "Auf Erde") heißt die neue Produktion von Sasha Waltz & Guests, und schon beim Betreten der sophiensäle weist ein Schild im Foyer darauf hin, daß von Heuschnupfen und Stauballergie geplagte Personen die ersten Reihen besser meiden.

Von Sandra Luzina

Der Geruch von Heu kribbelt in der Nase."Na Zemlje" (zu deutsch: "Auf Erde") heißt die neue Produktion von Sasha Waltz & Guests, und schon beim Betreten der sophiensäle weist ein Schild im Foyer darauf hin, daß von Heuschnupfen und Stauballergie geplagte Personen die ersten Reihen besser meiden.Eine karge Bühnen-Landschaft wurde in den Festsaal gebaut, der nun erstmals in seiner immensen Weite bespielt wird.Der Boden ist mit zertrampeltem Stroh, Erde und Herbstlaub bedeckt, zwei kahle Bäume und ein Graben mit schmutzig-braunem Wasser komplettieren die Kolchosen-Tristesse.An diesem Abend spritzt das Wasser, fliegt der Dreck, die Bühnenmaterialien tragen das Prädikat "naturecht".

Die Choreographin hat in "Na Zemlje" Neuland betreten: Bislang spielten ihre Stücke stets in einem urbanen Milieu, mit ihren Szenen aus dem Landleben ist sie nun das Wagnis einer deutsch-russischen Koproduktion eingegangen.Neben der Stammbesetzung von Sasha Waltz & Guests nehmen sechs Tänzer der Klasse für Expressive Bewegung, angesiedelt beim Moskauer Theater, an der Produktion teil.Für die Recherche-Phase zog sich das multi-nationale Ensemble auf das ehemalige Landgut des Theaterreformators Stanislawskij zurück.In Ljubimovka, eine Autostunde von Moskau entfernt, schrieb Tschechow seinen "Kirschgarten", von der vergangenen Idylle ist heute nichts mehr zu spüren.

Von Nostalgie, gar von der Sehnsucht nach der unberührten Natur ließ die Choreographin sich nicht leiten.Die rauhen russischen Verhältnisse regten Sasha Waltz zu ihrem bislang ruppigsten Stück an: Beobachtung verbindet sich mit choreographischer und szenischer Imagination.Diese Koproduktion erzählt von der Härte des Überlebens und von den brutalen Gesetzen kollektiven Lebens.Nicht nur die natürlichen Lebensgrundlagen scheinen hier zerstört, hier sieht man deformierte Körper, verwüstete Seelen, emotionale Not.Das Tanztheater der Sasha Waltz besticht durch seine physische Vehemenz und seinen extremen Erfahrungshunger, seinen unerschrockenen Zugriff auf Realität.

Auch in der neuen Produktion wird Wirklichkeit als schmerzhafter Widerstand erfahren.Die Akteure tanzen barfuß, in Gummistiefeln oder in wuchtigen Schuhen, sie werfen sich mit wahrem Furor zu Boden, graben sich regelrecht in den irdenen Grund hinein.Die ungebändigte Tanz- und Ausdruckswut nimmt den Zuschauer regelrecht gefangen, zudem überträgt sich eine sinnliche Lust, wie sie Kinder empfinden mögen, wenn sie durch Pfützen springen.Auf ländlichem Grund toben sich die Aggressionen in aller Heftigkeit aus, die Affekte haben hier die Wucht von Naturgewalten.

Sasha Waltz gelingen atemberaubende Duos, die Kombattanten gehen wie die Berserker aufeinander los, doch die rabiaten Attacken sind unglaublich präzise choreographiert.Der Kampf um Unterwerfung und Unterordnung wird nicht nur zwischen den Geschlechtern ausgefochten.Die archaisch anmutenden Gruppenrituale zeigen, wie einer zum Ausgestoßenen wird, in die Opfer-Rolle gedrängt wird.Sasha Waltz erzählt von sozialer Ausgrenzung und davon, wie das Bedrohlich-Fremde eingesperrt und eingezäunt, das Wilde gezähmt und gebändigt wird.Der großartige Juan Kruz Diaz, der zunächst possierlich mit der Kuhglocke über die Bühne kriecht, wird zum stigmatisierten Außenseiter.Wie ein gehetztes Wild wird er von der Menge mit Stöcken in die Enge getrieben, bisweilen fühlt man sich an Passionsszenen erinnert.Das ist die Stärke des Stücks: die Szenen greifen physisch an und eröffnen in ihrer kraftvollen Bildlichkeit zugleich Assoziationsräume.Das Jungfrauen-Opfer ist drastisch sexuell getönt, gierige Hände greifen nach der von Irina Gontovaja mit beängstigender Intensität verkörperten Unschuld, die sich in ein irres Gelächter flüchtet.Neben der Schmerz-Ästhetik, die nie pathetisch-kitschig ist, finden sich märchenhafte, groteske und phantastische Bilder.Da wandert ein Heuhaufen auf sechs Beinen über die Bühne, da ragt ein männlicher Torso aus einem Baumstumpf.

"Na Zemlje" ist die erste Produktion, seitdem bekannt ist, daß Sasha Waltz zusammen mit Barackenchef Thomas Ostermeier die künstlerische Leitung der Berliner Schaubühne übernehmen wird.Sie hat nun erstmals mit einem zwölfköpfigen Ensemble gearbeitet und gezeigt, daß sie der Herausforderung durchaus gewachsen ist.Mit "Na Zemlje" hat sie auf eindrucksvolle Weise bekräftigt, daß ihre mit szenischer Phantasie gepaarte kraftvolle Bewegungssprache zum Aufregendsten gehört, was das Tanztheater heute zu bieten hat.Wie sie mit parallelen Aktionen die weite Bühne bespielt, die Aktivitäten zu Ensembleszenen bündelt, beweist kompositorisches Geschick.Die großartigen Akteure riskieren einen enormen physischen Einsatz und halten die Tour de Force mit Intensität durch.

Die Schaubühne, jene Edelbühne am Kurfürstendamm, muß sich auf einiges gefaßt machen.Schluß mit gepflegtem Weltschmerz und soignierter Tristesse.Wenn Sasha Waltz kommt mit ihrer wilden Tänzerschar, dann fliegen die Fetzen, dann wird ordentlich Staub aufgewirbelt.

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