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Kultur: Karaoke der Erinnerung

ENTERTAINMENT

Gutem Leder und guten Liedern, heißt es, kann die Zeit nichts anhaben. Keine Angst, beruhigt Maren Kroymann ihr Publikum, ihre Lieder seien zwar schon gebraucht, aber alle noch gut. Recht hat sie: Die knapp zwanzig Songs, von Elvis über Hank Williams bis zu Caterina Valente und France Gall, die Kroymann für ihre „Gebrauchten Lieder" ausgesucht hat, hatten schon bei der Premiere gute Passform und sind durch den Touralltag nur noch geschmeidiger geworden. Bei der Wiederaufnahme in der Bar jeder Vernunft (noch bis zum 19.2.) reihen sich die Lieder mit ungezwungener Selbstverständlichkeit aneinander – ein Karaoke der persönlichen Erinnerung, zu der die kollektive Nostalgie die Begleitmusik gibt. Denn diese Kroymann ist ja in Wirklichkeit auch eine von uns: keine federboabehängte Diva, sondern der Typ nette Kollegin, die sich beim Betriebsfest plötzlich den Stetson mit den lustigen Strass-Ornamenten aufsetzt und loslegt, dass einem Hören und Sehen vergeht. Auch wenn sie später das hochgeschlitzte schwarze Paillettenkleid anlegt, erstarrt sie nicht zur verruchten Kunstfigur, bleibt mit dem Saal auf Du und Du. Mit entwaffnender Ehrlichkeit bahnt sich Kroymann ihren Weg in die Herzen: Alter: 53, sexuelle Orientierung: lesbisch; auch solche heiklen biografischen Details vertraut sie ihrem Publikum an, ohne viel Ziererei. Zwischendurch erzählt sie vom eigenen Aufwachsen in der schwäbischen Provinz, von der Elvis-Verehrung und davon, wie solche Musik eine Ahnung von Leben in die verstaubten Winkel der Adenauer-Republik trug. Kroymann erinnert sich und uns, betreibt mit trockenem und zugleich erstaunlich anmutigem Humor ihre kleine feine Schlagersoziologie. Denn es geht ihr natürlich um mehr als um ein wohliges „Weißt du noch?". In kleinen Dosen kippt sie in den honigsüßen Nektar ihrer Hitparade den Essig der Erkenntnis: dass es zwischen Männern und Frauen kein echtes Verstehen geben kann. Aber darüber kann man wenigstens singen. Jörg Königsdorf

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