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Kultur: Karawane in den Tod

Die Ausstellung „Beutestücke“ im Deutsch-Russischen Museum zeigt das Martyrium der Kriegsgefangenen

Als während des Irak-Kriegs Bilder inhaftierter US-Soldaten über arabische Fernsehbildschirme flimmerten, protestierten die Amerikaner: Das Völkerrecht verbiete die propagandistische Erniedrigung Kriegsgefangener. Die Empörung hatte einen bigotten Beigeschmack – einige Tage zuvor hatten US-Sender Bilder irakischer Gefangener gezeigt: gefesselt, auf den Knien, mit verbundenen Augen. Das Problem des Umgangs mit Bilder gefangener Soldaten ist nicht neu. Steckt nicht in jedem dieser Bilder auch eine Demütigung? Dieser Frage geht das Deutsch-Russische Museum in Karlshorst nach: Die Ausstellung „Beutestücke“ zeigt Fotografien deutscher und sowjetischer Kriegsgefangener.

Etwa sechs Millionen Rotarmisten und drei Millionen Wehrmachtssoldaten gerieten während des Zweiten Weltkriegs in Gefangenschaft. Obwohl seit dem Genfer Abkommen von 1929 Schutzrechte für Kriegsgefangene existierten, bedrohten Zwangsarbeit unter unmenschlichen Bedingungen, fehlende medizinische Versorgung und der mitunter kalkulierte Hungertod das Leben der Inhaftierten. „Wir lebten, als wären wir in einem grauenhaften Traum", schreibt ein ehemaliger sowjetischer Kriegsgefangener an den Deutschen Bundestag. Eine Million deutscher und drei Millionen sowjetischer Soldaten starben in der Gefangenschaft.

Mag das Vorgehen beider Seiten auf den ersten Blick auch gleichermaßen brutal anmuten, so gab es doch erhebliche Unterschiede zwischen der nationalsozialistischen und der sowjetischen Kriegsgefangenen-Doktrin. Deutschland war zwar den Genfer Bestimmungen verpflichtet, setzte sich jedoch wissentlich darüber hinweg, während die Sowjetunion die Konventionen nie anerkannt hatte. Gleichwohl schlug die russische Führung eine beiderseitige Anwendung der Bestimmungen vor – vergeblich, denn auf deutscher Seite funktionierte das populäre Gerücht, „der Russe“ nehme keine Gefangenen, als psychologische Drohkulisse zur Kampfmotivation nur allzu gut.

Während amerikanische, britische und französische Soldaten in deutscher Kriegsgefangenschaft mit relativ anständiger Behandlung rechnen konnten, galten für die rassistisch stigmatisierten Russen andere Gesetze. Man kämpfe „gegen einen Gegner“, konstatierte Hitler 1941, der „nicht aus Menschen besteht, sondern aus Tieren und Bestien“. Folgerichtig scheint auch ein NSDAP-Rundschreiben von 1941, in dem es heißt: „Der Russe soll nicht verwöhnt oder an deutsche Kost gewöhnt werden. Unterwäsche ist dem Russen kaum bekannt und gewohnt." 1941 verfügte Generalquartiermeister Wagner: „Nichtarbeitende Kriegsgefangene in den Gefangenenlagern haben zu verhungern.“

Das besondere Verdienst der Karlshorster Ausstellung liegt in der konsequenten Fokussierung auf Kriegsgefangenen-Bilder, die auf deutscher wie auf sowjetischer Seite ein wichtiger Bestandteil der Propagandamaschinerie waren. Die Zeitungen mussten ihren Lesern einen glücklichen Kriegsverlauf suggerieren, als Messlatte für das rasche Voranschreiten der eigenen Truppen galt auch die täglich aktualisierte Zahl der inhaftierten Gegner. Jede Dezimierung des feindlichen Heeres suggerierte eine Stärkung der eigenen Armee, die Bilder der Frontfotografen demonstrierten die Überlegenheit der eigenen Soldaten und die Schwäche des Gegners.

Das „12-Uhr-Blatt“, die „Berliner Morgenpost“ und der „Illustrierte Beobachter“ veröffentlichten ab Juni 1941 ganze Porträtserien inhaftierter Russen. Obwohl angeblich „wahllos aus einem Gefangenenlager herausgegriffen“, zeigen diese Bilder ausschließlich solche Gefangene, deren Physiognomie sich eindeutig den Schemata der nationalsozialistischen Rassenlehre zuordnen lässt: slawische, jüdische und asiatische „Untermenschen“. Die dazugehörigen Bildunterschriften unterstreichen mit ethnologischem Fingerzeig die Allgemeingültigigkeit der Bildaussage: „Das Gesicht bolschewistischer Gefangener – Typen, die unverkennbar sind – Sowjetische Gefangenenköpfe.“ Oft sorgen Bildbeschneidungen und extreme Kameraperspektiven für groteske Verzerrungen der Physiognomie. „Bolschewistisches Untermenschentum spricht aus diesen Gesichtern“, heißt es dann, auch wenn das Bildobjekt erst durch die Schere des Layouters auf das erwünschte Untermenschenformat zurechtgestutzt wurde.

„Die Aussage“ eines Bildes, schreibt Susan Sontag in ihrem Buch „Über Fotografie“, „ist eine Funktion des Zwecks“. Der Ausstellung in Karlshorst gelingt es, einen sehr anschaulichen Eindruck von der manipulativen Kraft der Bilder zu vermitteln. Keine der hier gezeigten Abbildungen von Kriegsgefangenen enthält eine dem Betrachter offen zugängliche Bedeutung, erst mithilfe von Bildausschnitt, Perspektive und vor allem der Bildunterschrift – diesem „Schraubstock“ des Bildinhalts, wie Roland Barthes es einmal nannte – wird Bedeutung erzeugt. Die Mehrdeutigkeit der Bilder erweist sich etwa darin, dass die NS-Propaganda Bilder von sowjetischen Kriegsgefangenen auch in Flugblättern einsetzte, die hinter der feindlichen Front abgeworfen wurden, um gegnerischen Soldaten die deutsche Gefangenschaft schmackhaft zu machen. Idyllische Aufnahmen des Lagerlebens sind hier zu sehen, von der gemütlichen Rauchpause bis zur Plauderei mit deutschen Mädels.

Auch auf sowjetischer Seite versicherte man sich gerne der suggestiven Kraft der Bilder. Zwar fehlt den sowjetischen Darstellungen das rassistische Element, die Demütigung des Gegners ist aber auch hier ein zentrales Anliegen. So zeigt ein Foto in der „Prawda“ einen deutschen Soldaten im Damenunterrock, den dieser angeblich einer Russin gestohlen hat. Andere Bilder machen sich über den Einsatz minderjähriger Soldaten lustig oder zielen auf die mangelnde Kälteresistenz der Wehrmacht ab: „Sie sehen nicht glücklich aus, die gefangenen Fritzen. Ihnen schmeckt unser Winter nicht!“ Wie sehr sich die Bilder auf beiden Seiten ähneln, kann man an zwei aufeinander bezogenen Dokumenten ablesen. Die Titelseite des „Illustrierten Beobachters“ vom 24. Dezember 1941 zeigt einen Zigarre rauchenden Wehrmachtssoldaten und einen niedergeschlagenen Rotarmisten, denen per Bildunterschrift die Attribute „Zuversicht“ und „Hoffnungslosigkeit“ zugewiesen werden. „Der eine weiß, wofür er kämpft, der andere nicht. Ein Soldat der Ostfront und ein Scherge Stalins.“ Wenig später setzte die Rote Armee auf einem Flugblatt eine ähnliche Montage ein, vertauschte jedoch die Rolle von Gewinner und Verlierer. „Der eine ist ein blindes Werkzeug in den Händen Hitlers, der andere weiß, wofür er kämpft“, heißt es nun.

Fotografie ist ein blindes Werkzeug in den Händen der Macht, suggeriert die Ausstellung „Beutestücke“. Die Aktualität dieser Aussage wäre am Fall des Irak-Kriegs neu zu thematisieren. Vom Glauben an die Objektivität der Bilder hat sich der Kriegs-Zuschauer angesichts des Konzepts des „embedded journalism“ längst verabschiedet.

Deutsch-Russisches Museum, Zwieseler Str.4 (Karlshorst), bis 14. September. Di–So 10–18 Uhr.

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