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Kultur: Karl Friedrich Schinkel: Ein Abglanz der preußischen Sendung

Schinkel wird seit jeher aufs Höchste gepriesen. Zugleich ist sein Werk nur in Umrissen bekannt.

Schinkel wird seit jeher aufs Höchste gepriesen. Zugleich ist sein Werk nur in Umrissen bekannt. Natürlich gibt es das Alte Museum, es gibt, wenigstens in seiner äußeren Hülle - das Innere ist eine freie Neuschöpfung - das Schauspielhaus am Gendarmenmarkt; und es gibt die Friedrichswerdersche Kirche. Doch der Vergleich der Zahl der erhaltenen Bauten mit der Gesamtheit seines riesenhaften µuvres müsste bestürzen, wäre denn Schinkels Arbeit überhaupt noch als Verpflichtung gewärtig. Er wird herbeizitiert, von wem auch immer, und dient den Vertretern einer konservativen Berliner Baukunst ebenso als Kronzeuge wie den Verfechtern entschlossener Neuerungen. Tatsächlich lässt sich unter seinen Äußerungen finden, was gebraucht wird. Schinkels Ideal einer an der Antike geschulten und erneuerten Baukunst indessen steht unsere Zeit so fern wie nur je seit dem Tod des Architekten im Jahr 1841.

Andererseits gibt es keinen zweiten deutschen Architekten, dessen Werk so gründlich untersucht worden ist wie gerade Schinkel. Als der gewaltige zeichnerische Nachlass, den der Staat nach seinen Tod erwarb, neunzig Jahre später im Jahr 1931 endlich in einem eigenen Schinkel-Museum (im Prinzessinnenpalais Unter den Linden) präsentiert werden konnte, entstand der Plan zu einem monumentalen "Schinkelwerk", der Publikation aller, wirklich aller Arbeiten in Architektur, Kunst und Kunstgewerbe und nicht zuletzt der Theorie. Es war dies "ein letzter Abglanz eines preußischen Sendungsbewusstseins". So charakterisierte es Gottfried Riemann, der 1995 gemeinsam mit Helmut Börsch-Supan die Herausgeberschaft des längst noch nicht abgeschlossenen Vorhabens übernommen hat, am Freitagabend bei der Vorstellung des neuesten, nach zehnjähriger Unterbrechung erschienenen Bandes. Der Neuling, immerhin der 17. Band in der seit 1939 erscheinenden Reihe, beschäftigt sich mit den Bühnenentwürfen, die der viel- und überbeschäftigte Schinkel denn auch noch für die Königlichen Theater anfertigen musste. Zudem liegt nach 22 Jahren ein vollgültiger Nachdruck des "Architektonischen Lehrbuchs" vor. Es ist dies das Projekt gebliebene, umfassende Lehrgebäude, das Schinkel unter dem quälenden Druck seines königlichen Auftraggebers immer wieder verändern musste, und über dem er schließlich gestorben ist.

Die Neuerscheinungen sind Bruchstücke eines weit größeren Ganzen; aber sie sind kaum hoch genug einzuschätzen. Für ihre Präsentation musste die Friedrichswerdersche Kirche gewählt werden, die nach ihrer neuerlichen Restaurierung einen schönen Eindruck von den Baugedanken des 19. Jahrhunderts bietet. Aber die bis zu ihrem Abriss 1961 benachbarte Bauakademie, die der angemessene Ort gewesen wäre, bleibt weiterhin eine Chimäre, von deren historischem Ort jetzt wenigstens eine aufgemauerte Ecke des bahnbrechenden Gebäudes kündet.

Schinkel hat Berlin verändert und noch weit stärker verändern wollen. Die Bauakademie als ein Industriebau avant la lettre, gleichwohl veredelt durch programmatischen Bildschmuck, stand in optischer und geistiger Beziehung zum Alten Museum, in dem zur Zeit Schinkels Münchner Antipode Klenze mit seinem gleichzeitigen Werk Gastrecht genießt. Die zahlreichen Palais, die Schinkel für die preußischen Prinzen er- und umbauen musste, sind verschwunden. Das Schauspielhaus hat die DDR im Inneren zu "Neo-Schinkel" verkitscht. Die Elisabethkirche, eine von vier beispielhaften Vorstadtkirchen, ist eine akut gefährdete Kriegsruine.

Die zahllosen Ideen, die der Multifunktionär des preußischen Bauwesens zu Papier brachte, haben Generationen von Schülern geformt oder wenigstens doch Staunen gemacht. Aber die Verächter, die mit dem Aufstieg des wilhelminischen Prunks im späten 19. Jahrhundert die Überzahl gewannen, glaubten, auf Schinkels Genie herabsehen zu können und räumten viele seiner Bauten ab, lange bevor die Bomben des Zweiten Weltkriegs wüteten. Über den Umgang mit den vorhandenen Ruinen in den fünfziger Jahren braucht kein Wort verloren zu werden. In West-Berlin galt es in den achtziger Jahren als Großtat, das bürgerliche Feilnerhaus als historischen Zierat einer Wohnsiedlung eingefügt zu haben.

Das "Architektonische Lehrbuch" ist ein unerschöpfliches Reservoir von Bauideen. Es blieb liegen, nicht einmal im Ansatz vollendet, und ist überhaupt erst in der - jetzt nachgedruckten - Veröffentlichung Goerd Peschkens von 1979 im Zusammenhang greifbar. Es ist müßig, über den Gang der Architekturentwicklung in Deutschland zu spekulieren, hätte dieses Lehrbuch je gedruckt vorgelegen. Der Kronprinz und spätere König Friedrich Wilhelm IV. hat Schinkel mit seinen maßlosen Wünschen, zuletzt nach der groß angelegten "Residenz eines Fürsten", auf die Anwendung historischer Stilformen für ein herrscherliches Bauprogramm zurückgezwungen. Dabei hatte Schinkel nach dem Erlebnis der Industrialisierung Englands auf seiner Studienreise 1827 völlig neuartige Lösungen für die neuen Bauaufgaben seiner Zeit erprobt. Die entsprechenden Vorhaben für Berlin, etwa ein Kaufhaus Unter den Linden oder eine feuersichere Bibliothek, blieben unausgeführt.

In dieser Zeit hatte er mit den Bühnenentwürfen bereits abgeschlossen. Sie beginnen mit der bleibendsten Arbeit überhaupt, der Ausstattung für Mozarts "Zauberflöte" 1815/16, und reichen über unglaubliche 47 weitere Stücke bis zu Carl Maria von Webers letzter Oper, "Oberon, König der Elfen" im Sommer 1828. Die Mehrzahl der Werke ist heute vergessen, historische Stoffe zumeist. Der Theatermaler Schinkel, der Maler von Dekorationen und Panoramen, der er ja vor der Architektenkarriere war, konnte seine poetische Neigung in den hochromantischen Dramen ausleben. Die fundierte Kenntnis und virtuose Anwendung solch gegensätzlicher Stile wie der griechischen Antike und der Hochgotik verödet bei ihm nie in ängstlichem Historismus. Immer sind die Formen zu etwas Eigenem gefügt, und noch die phantastischsten Bühnenprospekte geben Hinweise auf Bauten, die Schinkel zur gleichen Zeit plante und ausführte.

Es ist dieser, auf den ersten Blick so gegensätzliche Fundus einer unermüdlichen künstlerischen Phantasie, der die für den Augenblick geschaffenen Bühnenentwürfe mit dem fortdauernden Anspruch des Lehrbuchs verbindet. Mit der Wiederaufnahme des "Schinkelwerks" wächst die Hoffnung, das ganze µuvre dieses herausragenden Architekten des 19. Jahrhunderts wieder ins Bewusstsein zu rücken. Und das ceterum censeo bleibt, die Bauakademie als den Auftakt des preußischen Industriebaus wiederzuerrichten - als Architekturmuseum, und das heißt im Kern als Schinkelmuseum.

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