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Kultur: Kaspar Hauser - kosmisch

Herr Wildgruber ist vom Himmel auf die Erde gefallen.Er spricht mit Luftgeistern, Wiesen und Heckenrosen und erfährt so vom Leid der Steine, der Bäume und der Pflanzen; er wird in einen Bürgerkrieg verwickelt und ist so an der fast vollständigen Zerstörung der Welt beteiligt - um am Ende doch noch von ihrer Rettung zu künden.

Herr Wildgruber ist vom Himmel auf die Erde gefallen.Er spricht mit Luftgeistern, Wiesen und Heckenrosen und erfährt so vom Leid der Steine, der Bäume und der Pflanzen; er wird in einen Bürgerkrieg verwickelt und ist so an der fast vollständigen Zerstörung der Welt beteiligt - um am Ende doch noch von ihrer Rettung zu künden.

Wildgruber ist die Hauptfigur in Gert Jonkes Stück "Es singen die Steine", mit dem das renovierte und mit einem Zubau von Günther Domenig versehene Klagenfurter Stadttheater wiedereröffnet wurde.Der Held in diesem "Stück Naturtheater" (Untertitel) heißt nicht zufällig Wildgruber: Jonke hat das umfangreiche Drama (120 Seiten in der Buchausgabe) nicht nur für seine Heimatstadt Klagenfurt, sondern auch für den Schauspieler Ulrich Wildgruber geschrieben.Wildgruber spielt also Wildgruber - eine Ehre, die zuletzt Minetti und Ritter, Dene, Voss in den entsprechenden Stücken von Thomas Bernhard zuteil wurde.

Aber obwohl Wildgruber als Wildgruber in der mehr als vier Stunden langen Aufführung beinahe ununterbrochen auf der Bühne steht, ist "Es singen die Steine" kein Solo für Ulrich.Wildgruber, der im Stück trefflich als "eine Art kosmischer Kaspar Hauser" bezeichnet wird, ist zwar dazu verdammt, "ununterbrochen zu reden, in Selbstgesprächen die Worte zu erlernen - und damit die Welt".Es dauert jedoch bis zur allerletzten Szene, ehe Wildgruber zu monologisieren anhebt.Davor bleibt dem für seine Sprechkaskaden berühmten Schauspieler nicht viel mehr zu tun, als mit großen Augen und schlabberndem Kostüm durch eine wild wuchernde Szenenfolge zu geistern.Der mit einem Zaubertuch (Tischlein-deck-dich), einem Zauberhut und einem Zauberhorn ausgestattete Wildgruber ist in einer märchenhaften Kunstwelt gelandet, die mit den Errungenschaften der Zivilisation gleichwohl geschlagen ist: Die Natur wehrt sich gegen die Ausbeutung durch die Menschen, die Kleingewerbetreibenden revoltieren gegen das Diktat eines Agrar-Großkonzerns namens Terra Nova.

Wildgruber, der eigentlich nur auf der Suche nach seiner eigenen Geschichte ist (er ist als Erwachsener auf die Welt gekommen und begegnet sich im Verlauf des Stücks selbst als Kind), wird in eine Geschichte hineingezogen, die wie ein von Ferdinand Raimund dramatisiertes Grimm-Märchen beginnt, als Öko-Farce weitergeht und beinahe als Menschheitstragödie endet.Das alles ist natürlich viel mehr, als ein einziger Theaterabend aufzunehmen imstande ist.Obwohl er schon einige Stücke geschrieben hat (die Berliner Schaubühne hat vor einigen Jahren sein Beethoven-Drama "Der Ohrenmaschinist" gespielt), ist Gert Jonke kein Dramatiker und das stark wortlastige Riesendrama mehr Literatur als Theater.Für den Anlaß ist der Text aber zumindest insofern bestens geeignet, als an einem Abend demonstriert werden kann, was das schöne neue Theater alles kann.Die Lichtanlage kommt ebenso spektakulär zum Einsatz wie die Drehbühne oder der Eiserne Vorhang (gestaltet von Mimmo Paladino).Der Grazer Regisseur Ernst M.Binder (bekannt für seine Schweriner Schleef-Inszenierungen) konnte oder wollte dem disparaten Text keine stringente Form verpassen - die Bühnenbildnerin Luise Czerwonatis wechselt in jedem Akt den Stil (vom leeren Raum bis zum Bauerntheater), die Schauspieler - neben Wildgruber unter anderen Johannes Silberschneider, Thorsten Merten und Horst Westphal - werden mitunter zu greller Karikatur angehalten, sind meist aber auf einen etwas unverbindlich-ironischen Ton festgelegt.

Eindeutig für die Schmiere entschieden hat sich nur der Stuttgarter Intendant Friedrich Schirmer, der in der Theaterkantinen-Szene (Jonke läßt wirklich nichts aus!) den Intendanten spielt.Schauspieldebütant Schirmer stürmt todesmutig die Bühne - und macht dabei jedenfalls deutlich bessere Figur als der Klagenfurter Intendant Dietmar Pflegerl, der vor der Premiere zur peinlichen Laudatio auf die lokale Politprominenz vor den Vorhang getreten war.Auf die in ihrem ganzen Größenwahnsinn nicht unsympathische Jonke-Uraufführung darf Pflegerl jetzt trotzdem ein bißchen stolz sein: Der Stadttheateralltag wird auch in der Kärntner Landeshauptstadt früh genug wieder einziehen.

WOLFGANG KRALICEK

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