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Lebte viele Jahre in Israel. Die Schriftstellerin Katharina Hacker, 48.

© Renate von Mangoldt/Verlag

Katharina Hacker und ihr neuer Roman: Im Meer der Zeichen

Ein Mann in der Krise, der seiner Existenz keine Kontur zu geben vermag: Katharina Hackers ambitionierter Roman „Skip“.

Nichts an Jonathan, genannt „Skip“, Landau ist so ganz richtig. Er ist nur ein halber Jude, weil seine Mutter keine Jüdin war. Er hat zwei Kinder, Söhne, Avi und Naim, aber es sind nicht seine leiblichen Kinder, sondern gezeugt von einem Mann, den Shira, Skips Frau, als Vater ausgesucht hat, weil er Skip angeblich so ähnlich sieht. Skip ist unfruchtbar. Skip ist Architekt von Beruf, aber ein Haus hat er schon seit langer Zeit nicht mehr gebaut; stattdessen schlägt er sich damit durch, alte Häuser wieder instand zu setzen. Auch hier also: die Arbeit an der Arbeit anderer.

Und allein der Name: Skip. „To skip“ heißt übersetzt: etwas auslassen, überspringen. Aber auch: hüpfen, springen. So ist dieser Mann auch. Nirgendwo und in nichts festgelegt, schon gar nicht an und in sich. Geboren 1947, die Mutter Engländerin, der Vater als Kind ungarischer Juden in Frankreich geboren. Ein Identitätsproblem, ein Rätsel, das Skip sich selbst ist und seiner Umwelt auch. Shira, Skip und die Kinder leben in Tel Aviv, aber gehört er hierhin? Gehört er überhaupt irgendwohin? Hat er sich ein Leben eingerichtet? Richtet er sich im Leben anderer ein? Oder ist er schlicht und einfach willenlos?

Katharina Hacker, 2006 für ihren Roman „Die Habenichtse“ mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet, hat in den neunziger Jahren, in denen auch ihr neuer Roman seinen Anfang nimmt, sechs Jahre lang in Israel gelebt und studiert. Ihr erstes Buch trug den Titel „Tel Aviv. Eine Stadterzählung“. Mit „Skip“ kehrt Hacker also zu ihren literarischen Anfängen zurück. Und es ist ein kompliziertes, schwieriges Buch geworden. „Skip“ bildet eine Tautologie von Form und Inhalt. Genau das ist gewollt, und genau das ist auch ein Problem. Denn wie sein Protagonist verfügt auch der Roman über keine innere Stringenz, über keinen Anker, in dem man hin und wieder haltmachen könnte im Meer der Zeichen, Bedeutungen, Fragen und Mystizismen.

Beeindruckend sind die Sterbeszenen

So geerdet Skip Landauer in seinem beruflichen Umfeld sein mag, so ungewöhnlich ist die Erfahrung, die ihn urplötzlich und nach mehr als vier Jahrzehnten Lebenszeit heimsucht: Ein Gefühl, eine Stimmung, eine Stimme ruft ihn an Orte, an denen sich wenig später Katastrophen ereignen werden: ein Zugunglück in Paris, ein Flugzeugabsturz in Amsterdam. Und jedes Mal hat Skip eine innere Verbindungslinie zu einem der Opfer. Doch er kann nichts tun, nichts verändern, nicht helfen, nichts verhindern. Aber immerhin ist er dort, und das ist mehr, als man sonst über ihn sagen kann. Den Niedergang seiner Ehe betrachtet er mit der gleichen hilflosen Passivität, mit der er auch sonst seine Existenz bestreitet.

Ein diffuses Unwohlsein wohnt in Skip, eine historisch gewachsene Ortlosigkeit und Beziehungsabwesenheit. Kann auf diese Weise Zufriedenheit entstehen, irgendwo, oder gar Glück? „Skip“ ist ein ambitioniertes Projekt, weil Hacker nicht einfach nur historisch-politische Dimensionen mit einer Biografie verknüpft, sondern den Versuch unternimmt, ein kollektives historisches Bewusstsein nachvollziehend abzubilden. Und das auch noch, ohne dass das demjenigen, in dem es abgebildet wird, bewusst wäre.

Stark und beklemmend ist der Roman immer dann, wenn er konkret wird

Es gibt beeindruckende Szenen in „Skip“. Zumeist haben sie unmittelbar mit dem Sterben zu tun. Einmal findet Skip in einer Mulde auf einer Müllhalde einen sterbenden Esel. „Ich schaute mich um, ob nicht jemand in der Nähe wäre, den ich herbeiwinken könnte, jemand, dem der Esel gehörte, der bei ihm bleiben müsste, damit ich gehen könnte.“ Doch da ist niemand, kein Weg heraus möglich dieses Mal, also bleibt Skip und leistet Sterbebegleitung. Einige Zeit später muss er das Gleiche noch einmal tun, bei Shira, seiner Frau. Stark und beklemmend ist der Roman immer dann, wenn er konkret wird, er die Wahrnehmungsverhüllungsdecke, unter der sein Held steckt, zerreißt. Das gilt auch für jene Passagen, in denen der alltägliche Irrsinn des israelisch-palästinensischen Konflikts anschaulich wird.

Doch darum soll es nicht gehen, nicht in erster Linie. Der krisengeschüttelte Skip kann sich selbst sein Dasein weder erklären noch erzählen. Und es ist nicht Katharina Hackers Anliegen, diese Aufgabe für ihn oder uns zu übernehmen. Im Gegenteil – eben das zu zeigen, die Unfähigkeit, der eigenen Existenz eine Kontur zu geben, ist die ästhetische Maxime von „Skip“. Die geht auf und sorgt dafür, dass man es auf 380 Seiten mit einem Menschen zu tun hat, der wenig über sich weiß und ebenso wenig über andere wissen will. Und der einem am Ende, selbst als er zumindest eine Andeutung von Glück gefunden hat, in Berlin, ausgerechnet, ziemlich egal geworden ist.

Katharina Hacker: Skip. Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 2015. 384 Seiten, 21, 99 €.

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