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Katharina Rutschky: Heitere Streiterin

Zum Tod der Berliner Publizistin Katharina Rutschky.

Sie konnte sich wunderbar ereifern, wenn es um etwas ging, das ihr wichtig war – und das war nicht gerade wenig. Aber sie beherrschte auch die Kunst, einfach mal halblang zu machen. „Ist das deutsche Komma wirklich mein Leben wert?“, auf eine solche Frage anlässlich der Debatte um die Rechtschreibreform konnte nur Katharina Rutschky kommen. Polemische Relativierungen waren ihre große Stärke. Wann immer eine Meinung zum intellektuellen Mainstream wurde, trat sie auf den Plan und stiftete Unruhe. Am liebsten tat sie das im feministischen Lager, dem sie sich schon lange nicht mehr zugehörig fühlte, auch wenn sie sich noch vor zwei Jahren in einem Artikel über den Neokonservativismus von Ursula von der Leyen selbstironisch als „schwer nachdenkliche Feministin“ bezeichnete.

„Mehr Mühe geben, mehr planen und nicht trödeln“ – so karikierte sie das Patentrezept der damaligen Familienministerin für alle Frauen, die Kindererziehung und Berufsleben unter einen Hut bringen wollten. Deren Aufstieg zur Arbeitsministerin dürfte sie kaum gewundert haben. Für die Zurichtung des Kindes zum funktionierenden Gesellschaftsmitglied fand sie einen Begriff, der mittlerweile zur feststehenden Redewendung geworden ist: „Schwarze Pädagogik“ hieß das 1977 erschienene Werk über „Quellen zur Naturgeschichte der bürgerlichen Erziehung“, mit dem sich die Pädagogin zur freien Autorin emanzipierte.

Als bekennende Achtundsechzigerin, die diese wichtige Phase ihres Lebens und der bundesrepublikanischen Gesellschaft niemals der Lächerlichkeit preisgab, hat sie die Rechte des Kindes immer verteidigt. Umso sensibler war sie für die Auswüchse dessen, was sie den „pädagogisch-therapeutischen Sozialstaatskomplex“ nannte. Sie warnte vor einer „Diktatur der Experten“, deren „anhaltende Pathologisierung von Kindern, Eltern und Familien“ in keiner Weise der Realität entsprechen, sondern lediglich „den Bedürfnissen jener neuen Heerscharen von Psychologen, Sozial- und Diplompädagogen, die ihr Wissen verwerten müssen.“

Gegen die ständige Maßregelung von Kindern und Familien verteidigte sie das ganz normale „Kuddelmuddel des Lebens“ und wagte sogar die Behauptung, auch eine Ohrfeige könne gelegentlich „enorme Entwicklungspotenziale“ freisetzen. Was die Sachwalter der Pädagogik in Rage bringt, dürfte die meisten Eltern beruhigen. Das zarte Pflänzlein Kind wird schon nicht eingehen, wenn Vater oder Mutter mal die Nerven verlieren. Ein gewisser Pragmatismus macht das Leben leichter und ist dann nicht verächtlich, wenn er mit Sensibilität, Empathie und der Fähigkeit zur Selbstkritik einhergeht.

Wir müssen uns Katharina Rutschky als furchtlosen Menschen vorstellen. Wie sonst wäre es möglich gewesen, dass sie sich immer wieder in die Höhle des Löwen begab? Schon 1988 nahm sie gegen die Anti-Porno-Debatte der Zeitschrift „Emma“ Stellung, die ihr prompt unterstellte, sie lasse sich „von Männermedien systematisch pro Pornographie einspannen“. Dabei ging es ihr nur um das sexuelle Selbstbestimmungsrecht der Frau, das ihrer Meinung nach eben auch einschloss, dass die Frau ihren Körper verkaufen durfte, wenn sie das wollte.

Am weitesten hat sie sich sicher mit ihrem 1993 erschienenen Buch „Erregte Aufklärung. Kindesmissbrauch: Fakten und Fiktionen“ vorgewagt, in dem sie minuziös darlegte, dass auch der Vorwurf sexuellen Missbrauchs missbraucht werden kann: als Waffe gegen die Väter im Kampf ums Sorgerecht. Damit war sie für Pädagogen und Feministinnen endgültig zur persona non grata geworden.

Für viele andere aber war und bleibt sie eine Intellektuelle, wie sie im Buche steht: streitbar, heiter, polemisch, selbstkritisch, schlagfertig, witzig und überdies eine schöne Frau, die es verstand, elegant und gelassen zu altern. Nicht zuletzt mit ihrer Hilfe ist das, was man einmal die Frauenbewegung nannte, an einen Punkt gekommen, an dem es endlich nicht mehr nur um die Gleichstellung der Frau geht – die ja rechtlich seit Jahrzehnten verwirklicht ist –, sondern auch um das Spiel mit der Differenz.

Der Unterschied zwischen Mann und Frau muss zur Freude aller kultiviert, nicht nivelliert werden, das ist eine der Botschaften, die Katharina Rutschky hinterlässt. Sie starb am vergangenen Donnerstag nach langer Krankheit. Am 25. Januar wäre sie 68 Jahre alt geworden. Nicht nur in Kreuzberg, wo man sie auf den Spaziergängen mit ihrem Hund treffen konnte, wird man sie vermissen. Die Öffentlichkeit ist ärmer geworden nach dem Tod der großen Essayistin, die 1999 den Heinrich-Mann-Preis erhielt.

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