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Kultur: Kauft mehr Kunst!

Die erste Berliner Kunstmesse 1996 war ein Reinfall. Seither hat sich einiges getan. Das zehnte Art Forum hat Grund zum Feiern.

Heute möchte niemand mehr so recht darüber sprechen, zumal im Jubiläumsjahr, das mit dem zehnten Art Forum ausgerufen ist. Aber die Gründungsgeschichte der Berliner Kunstmesse hat einen gravierenden Schönheitsfehler. Sie ist eine Kölner Kreation. Kölner Galeristen waren es, die der Berliner Messegesellschaft damals ein zehnseitiges Papier vorlegten, in dem stand, warum Berlin unterm Funkturm einen eigenen Kunstmarkt braucht. „Zu diesem Zeitpunkt wurden im Messegeschäft neue Betätigungsfelder gesucht, und Kunst war noch nicht richtig besetzt“, erinnert sich die damals zuständige Marketingfrau Kirsten Günther. Heute ist die Ökonomin Geschäftsführerin des Art Forums.

Für den Berliner Kunsthandel selbst war es wohl die größte Überraschung, dass fast ohne sein eigenes Zutun in kurzer Zeit eine ansehnliche Messe gestemmt wurde. Denn zu dem Zeitpunkt hatten die ortsansässigen Galerien bereits monatelang in den Kunst-Werken in der Auguststraße über die Gründung einer Messe beraten, allerdings ohne greifbares Ergebnis. Ulrich Gebauer, damals ein junger Galerist und nach seinem Umzug aus Kreuzberg in die Torstraße einer der Ersten in der neu angesagten Mitte, weiß noch gut, wie in dieser Phase bei den No-budget-Galerien wirtschaftliches Denken Einzug hielt: „Das wachsende internationale Interesse wurde spürbar. Man merkte, es passiert etwas.“

Das war auch den aus dem Rheinland entsandten Beobachtern nicht entgangen. Nur gaben sie den Anstoß nicht aus selbstlosen Motiven, sondern aus Unzufriedenheit mit der eigenen, vollkommen ausgeuferten Art Cologne. Die Berliner Messe sollte sich deshalb vor allem durch ihre Exklusivität auszeichnen. Diese Strategie hat sich bewährt, denn das Berliner Konkurrenzunternehmen führte in Köln zu den geforderten Reformen , die dortige Teilnehmerzahl wurde radikal verkleinert. Nach erfüllter Mission kehrte so mancher Revoluzzer wieder zurück.

Auch bei den Berlinern löste das Art Forum nicht nur Freude aus. „Ein Schritt in die falsche Richtung“, unkte damals der erfolgreiche West-Berliner Galerist Dieter Brusberg. „Schlichter Blödsinn!“ Am Anfang schien es, als habe er Recht. Die „Parade der besten Galerien und Künstler“, wie sich die Messe damals kühn nannte, stand nach ihrer Premiere im Herbst 1996 eher kläglich da. Nur 17000 Besucher kamen zu den 133 Ausstellern; verkauft wurde so gut wie nichts, zumindest im Bereich der klassischen Moderne. Die von Howard Schickler (New York) präsentierte russische Avantgarde der Zwanziger Jahre fand kaum Beachtung. Und ausgerechnet Messesprecherin Elke Zimmer blieb auf ihren aus Düsseldorf mitgebrachten Werken des deutschen Informel sitzen.

Aber die Messe lernte dazu. Jahr für Jahr rückte der Schwerpunkt dichter an die aktuelle Kunstproduktion heran. Schon 1997 ließ man die Vorkriegsklassiker weg, begann mit den Sechziger jahren. Heute rühmt sich das Art Forum, international die frischeste Ware feilzubieten: noch feucht aus den Ateliers, direkt an die Kojenwand. Doch nach wie vor steht Berlin in dem Ruf, dass hier schlecht verkauft wird, auch wenn die Messe 2004 einen Umsatz von 10 bis 15 Millionen Euro angab. Das Art Forum muss bis heute um Profil und um Rentabilität kämpfen.

Dabei hätte es keinen besseren Zeitpunkt für die Gründung einer Berliner Kunstmesse geben können. Parallel zum Art Forum öffnete der Hamburger Bahnhof seine Pforten, ein weiteres Signal, dass es mit Berlin als Kunststadt endlich voranging. Im Ausland wurden die Zeichen verstanden; insbesondere beim New Yorker Kunst-Jetset war das morbide Flair heruntergekommener Straßen, gepaart mit der neuen Aufbruchsstimmung, angesagt, so dass ausländische Besucher vornehmlich aus den Vereinigten Staaten einflogen.

Gleichzeitig kamen verstärkt die internationalen Künstler, die Stadt ist bis heute mit ihren billigen Ateliermieten und dem inspirierenden Mix aus politischen und ökonomischen Ungleichzeitigkeiten ein attraktiver Standort. Die späteren Malerstars Franz Ackermann, Daniel Richter und der jung verstorbene Michel Majerus bezogen hier ihre Studios, die Performer Jonathan Meese und John Bock wechselten von Hamburg herüber, Olafur Eliasson und Thomas Demand fanden freie Werkhallen neben dem Hamburger Bahnhof. Janet Cardiff, Jimmie Durham, Boris Mihailov und Tacita Dean kamen als Stipendiaten des DAAD und blieben. Den Künstlern folgten die Galeristen. Köln, seit den Achtzigern auf dem deutschen Kunstmarkt tonangebend, musste einen regelrechten Galeristen-Exodus hinnehmen. Berlin wurde immer attraktiver.

Zusammen mit den drei anderen Pionieren der späteren Kunstmeile Auguststraße – Wohnmaschine, Eigen + Art sowie Arndt & Partner – organisierte Ulrich Gebauer 1995 die ersten Galerierundgänge. „Zu Beginn haben wir noch jeden Besucher einzeln durch unsere Ausstellungen geführt und sind anschließend gemeinsam in den Hackeschen Höfen essen gegangen“, erzählt der 49-Jährige, der heute mit seiner französischen Frau Marie-Blanche Carlier gemeinsam die Geschäfte führt. „Am Ende war die Auguststraße dicht.“ Die Kunst spielte bei diesem Kommen und Gehen nur noch eine sekundäre Rolle. Die glücklich hineingequetschten Besucher standen in den Galerien mit dem ergatterten Glas Wein meist mit dem Rücken zu den Bildern. Man wollte dabei sein.

Nur den Ureinwohnern der Spandauer Vorstadt war der Rummel suspekt. „Wir waren alles andere als willkommen. Unsere Nachbarn in der früheren Wilhelm-Pieck-Straße haben in uns die Kapitalisten, die typischen Westler gesehen“, so Gebauer, der selbst aus Dresden stammt und 1985 nach West-Berlin übersiedelte. „Bleibt doch drüben mit eurer Kunst“, bekam der Galerist so manches Mal zu hören. An der Erfolgsgeschichte der Berliner Galerienszene konnte solches Geplänkel nichts mehr ändern. 2001 wechselte das Duo von der Etagenwohnung in Mitte in zwei, mittlerweile drei saalgroße S-Bahn-Bögen unter der Jannowitzbrücke, wo sich neben der Zimmerstraße gerade ein neuer Galerienstandort zu etablieren begann.

Einen solchen Sprung hätte sich das Galeristenpaar 1997, als es zum ersten Mal am Art Forum teilnahm, kaum träumen lassen. Der Umzug aus Kreuzberg in die Torstraße war schließlich auch den widrigen ökonomischen Bedingungen Mitte der Neunzigerjahre geschuldet: Fabriketagen als Ausstellungsräume und Großformate waren im darniederliegenden Kunsthandel nicht mehr gefragt. Nach dem Boom der Achtziger wurde auch die Kunst privat. Plötzlich waren Wohnungen wieder die adäquate Galerieadresse.

Und dennoch gaben sich die Kunsthändler auf dem zweiten Art Forum keineswegs bescheiden. Vor allem mit großformatigen Fotoarbeiten von Andreas Gursky oder Thomas Struth spekulierten sie auf die vielen neuen Behördenfoyers und Chefetagen, die noch eine entsprechende Wanddekoration brauchten. Der Kunsthandel heulte auf, als nach der getroffenen Auswahl durch die Ankaufskommission des Bundes die bereitgestellten Gelder wieder gestrichen wurden. Auch das aufwendige Rahmenprogramm zum Thema „Kunst und Architektur“ half über diese Enttäuschung nicht hinweg.

Die Symposien zu Kunst am Bau und im öffentlichen Raum passten zwar zum Image der jungen Messe, die sich als Kontaktbörse und Ort für Fachgespräche empfahl. Aber im Vergleich zu Köln oder Basel, wo statt Fach- eher Verkaufsgespräche geführt wurden, blieben die Bilanzen schwach. Angesichts des enormen Aufwands – Anreise, Transport, Standmiete – müssen für jeden Aussteller am Ende vor allem die Zahlen stimmen. „Kauft mehr Kunst!“ lautete deshalb 1999 die beschwörende Losung des vierten Art Forums. Und das gilt bis heute.

Seitdem die Berliner Messe 2003 in die Licht durchfluteten Ermisch-Hallen umgezogen ist, gilt sie als eine der schönsten Kunstmessen der Welt. Bei Kojenwänden von luxuriösen 3,50 Metern, der so genannten „Berliner Höhe“, können die Händler mit ihren Präsentationen einen musealen Effekt erzielen. So hatten die Londoner Großgaleristen Anthony d’Offay, Annely Juda, Jay Jopling hier zwar stark beachtete Auftritte, kamen aber nicht wieder. Es hatte sich nicht gelohnt.

Das Art Forum fing immer wieder von vorne an. Mit jeder neuen Ausgabe musste es sich nach innen und außen behaupten. „Bis 1999 blieb es regelmäßig bis in den November, Dezember hinein fraglich, ob uns überhaupt ein Termin im allgemeinen Messekalender des folgenden Jahres eingeräumt würde“, erinnert sich die Geschäftsführerin Kirsten Günther. 2000 stieß schließlich als künstlerische Leiterin die Kölner Kunsthistorikerin Sabrina van der Ley hinzu, die als Kustodin mit der Sammlung Hoffmann nach Berlin gewechselt war. Ihre Aufgabe sollte es sein, das Art Forum international auf Augenhöhe mit der Konkurrenz von Miami bis Madrid zu bringen und stärker mit der lokalen Szene zu verzahnen. Kein leichter Job, denn nirgendwo sonst ist das Publikum kritischer, ja nörglerischer, sind die Institutionen bei der Zusammenarbeit zögerlicher.

Die Liebe des großen Publikums wie in Köln, wo zu den besten Messezeiten die gesamte Stadt beflaggt wurde und ein Kölschbrauer plakatflächendeckend für Warhol & Co. warb, wird das Art Forum wohl nie gewinnen. Wie auch? Sabrina van der Ley zuckt mit den Schultern: „Unser Gesamtbudget von 1,5 Millionen Euro ist gerade einmal so groß wie der Werbeetat der Art Basel.“ Dafür ist es ihr gelungen, Jahr um Jahr mehr Vertreter aus den Museen und von den diversen Ausstellungsprojekten an einen Tisch zu holen, schließlich die Industrie- und Handelskammer sowie den Wirtschaftssenator auf ihre Seite zu ziehen. Diese Hartnäckigkeit hat sich gelohnt, denn im zehnten Jahr ihres Bestehens explodiert das Veranstaltungsprogramm im Umfeld des Art Forums geradezu. Nie zuvor wurden mehr Ausstellungen in Museen und Galerien gleichzeitig eröffnet, nie zuvor präsentierte sich der Berliner Kunstherbst, der als ein fester Begriff ebenfalls vor zehn Jahren geprägt wurde, mit „Brücke“, Picasso, Immendorff, Minimal- und Video-Kunst vielgestaltiger.

Und siehe da, plötzlich stehen auch die Sammler vor der Tür, von denen es immer hieß, dass es sie nur im Rheinland gäbe, nicht aber in Berlin. In der Stadt beginnt sich eine Szene 35- bis 45-jähriger Jungsammler herauszubilden, die sich besonders für allerneueste Kunst interessiert, wie sie gerade das Art Forum bietet. Der aus Dresden und Leipzig importierte Malereiboom mit Großformaten von Neo Rauch, Tim Eitel oder Matthias Wäscher beflügelte hier so manchen Neueinsteiger. Nach einem schwergängigen Start spricht man auf der Messe nun zunehmend von „good vibrations“; die eine oder andere Galerie konnte am Ende der Messe sogar Ausverkauf vermelden, nachdem sich die Angebote im niedrigeren Preissegment bis 30000 Euro eingependelt haben. Dieser Durchbruch war bereits 2001 spürbar, als sich die Befürchtungen von einer neuen Baisse nach dem 11. September nicht bestätigten. Kein einziger US-Galerist ließ sich einschüchtern und zog seine Zusage zurück, auch die Sammler kamen.

Stattdessen sollte die 2003 gegründete Frieze Art Fair in London die Berliner Kunstmesse noch einmal in ihren Grundfesten erschüttern. Denn jene tonangebenden Berliner Galerien, die zuvor noch den Messebeirat gestellt und dann frustriert wieder verlassen hatten, liefen zur zwei Wochen später beginnenden Konkurrenz über. Das Szenario hatte Ähnlichkeit mit der Gründerphase des Art Forums, als Kölner Galeristen aus Trotz ihrer eigenen Messe den Rücken kehrten. Allerdings kamen die 15 Abtrünnigen aus Berlin bis auf eine Ausnahme im darauf folgenden Jahr reumütig zurück. „Aus Patriotismus“, wie Thilo Wermke von der Galerie Neu hinterher erklärte. Das achte Artforum war – ohne sie – hervorragend gelaufen.

Auch Ulrich Gebauer und Marie-Blanche Carlier pausierten in jenem Jahr wegen der Geburt ihres Sohnes – und zugunsten der Londoner Frieze Art Fair. Doch obwohl auch sie 2004 wie viele ihrer Kollegen hervorragend verkaufen konnten, haben sie im Jubiläumsjahr der Berliner Messe erneut mit ihrer Teilnahme gezögert. „Wir müssen scharf kalkulieren, welche Messen wir beschicken, um Profil zeigen zu können“, so Gebauer. „Unter den Galeristen herrscht enorme Konkurrenz um die Werke solcher Künstler, die gerade Karriere machen. Der Markt brummt, aber nur auf höchstem Niveau.“ In Berlin wird das Paar deshalb mit Jean-Luc Moulène, Dirk Schmidt, Hans Hemmert und Janaina Tschäpe eine solide Mischung seiner Künstler präsentieren, im Zentrum einen riesigen Foto-Leuchtkasten, das den Briten Mark Wallinger im Bärenkostüm bei seiner nächtlichen Performance in der Neuen Nationalgalerie zeigt. Auf der Frieze Art Fair dagegen stellt die Galerie ausschließlich Videokunst vor, mit der sie ein weitaus größeres kommerzielles Risiko eingeht, aber dort rechnet das Duo auch mit den bedeutenderen Sammlern. „Das ist wie bei den Eliteclubs mit den teuren Mitgliederkarten“, erklärt Marie-Blanche Carlier die Bedeutung von Basel, Miami, London. Auch die Händler zahlen einen höheren Preis.

In Berlin ist alles ein bisschen billiger, insbesondere die Galerien der Stadt drängen wie nie zuvor auf das Art Forum. Knapp 90 haben sich in diesem Jahr beworben, denn günstiger können sie eine Messeteilnahme – keine Hotelkosten, kaum Transportaufwand – nicht bekommen. Doch weniger als die Hälfte wird akzeptiert, um die Mischung mit auswärtigen Ausstellern, zumal aus dem Ausland, zu wahren. Das Herz bildet der Produktionsort Berlin. 2004 wurde eine Sonderausstellung unter dem Titel „Made in Berlin“ präsentiert, in diesem Jahr zeigen daad- und Bethanien-Stipendiaten der vergangenen zehn Jahre ihre Werke. Denn den Fehler vom Gründungsjahr will man nicht noch einmal begehen: die Zeichen der Zeit nicht erkannt zu haben oder sich von anderen die Schau stehlen zu lassen.

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