zum Hauptinhalt

Kultur: Kaugummis verkaufen in Silifke

Sommerfilm, türkisch: „Tatil kitabi“

Am letzten Schultag gibt der Lehrer das Ferienbuch aus, damit seine Schüler in den endlos erscheinenden Sommerferien nicht alles vergessen: In diesem „Summer Book“ voller bunter Bilder finden die Kinder Aufgaben, mit denen sie sich einstweilen spielerisch beschäftigen mögen. Davon ist der zehnjährige Ali weit entfernt; sein strenger, konservativer Vater will, dass er den Ernst des Lebens begreift und stellt ihn mit einer Großpackung Kaugummis mitten in der türkischen Kleinstadt Silifke ab. Schließlich soll er, indem er das Verkaufen beizeiten lernt, in Vaters Fußstapfen treten.

Ziemlich mühsam ist das Gleichgewicht in dieser Familie austariert: Alis großer Bruder kommt von der Militärakademie nach Hause, die Mutter verdächtigt ihren Mann des Ehebruchs, Onkel Hasan, der Metzger, hat für jeden ein offenes Ohr, und dann erleidet der Vater auf einer Geschäftsreise einen Gehirnschlag und muss ins Krankenhaus. „SummerBook“ ist ein Sommerferienfilm der etwas anderen Art: ohne fröhliche, Eis essende Kinder und wohlwollende Erwachsene, ohne Strandleben auch, obschon Silifke im Süden Anatoliens am Mittelmeer liegt. Und ohne jenes milde Sonnenlicht, das jede Stimmung leicht ins Nostalgische verklärt.

Der 33-jährige Regisseur Seyfi Teoman verarbeitet in seinem Spielfilmdebüt eigene Kindheitserinnerungen; er ist in einer Provinzstadt aufgewachsen und wie fast alle türkischen Künstler und Intellektuellen irgendwann in Istanbul gelandet. Doch nachdem ihnen lange Zeit Istanbul der einzige mögliche Drehort zu sein schien, entdecken die Regisseure neuerdings verstärkt die Provinz: Sie erschaffen eine Art Heimatfilm, zu dessen Vertretern auch Semih Kaplanoglu zählt, mit „Bal“ Gewinner des Goldenen Bären auf der jüngsten Berlinale. Eine leise Trauer um den Verlust von Traditionen und die sozialen Folgen der Verwestlichung des Lebensstils schwingt in all ihren Filmen mit.

Mit nur drei professionellen, einigen semiprofessionellen Schauspielern und den Einwohnern von Silifke hat Teoman seinen liebenswerten und ein wenig traumverlorenen Film besetzt. Taner Birsel, der den Onkel Hasan spielt, ist ein Star des türkischen Autorenkinos. Aber alle Darsteller sind gleichberechtigt, und sie spielen – das ist vielleicht die größte Überraschung – alle gut. Und Tayfun Münay, Darsteller des kleinen Ali, ist ein Naturtalent. Daniela Sannwald

fsk am Oranienplatz (OmU)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false