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Kultur: Kazuko Watanabe inszeniert im Tacheles ein Märchen und einen modernen Kulturkonflikt

Die Trommeln geben den Takt an. Leise, zaghaft schwingen sie sich ein, federleicht springend, dann kräftiger bis zum Unisono-Klang.

Die Trommeln geben den Takt an. Leise, zaghaft schwingen sie sich ein, federleicht springend, dann kräftiger bis zum Unisono-Klang. Dumpf hallt die rückwärtige Fassade des Tacheles wider, gibt den Klang gebrochen zurück. Der japanische Schlagzeuger Hideki Ikegami wechselt zwischen Kraft und Geschicklichkeit und verliert nie die lockere Grundhaltung. Er gibt den Grundton vor für ein Theaterstück, das zwischen Märchen und Moderne pendelt.

Die Regisseurin Kazuko Watanabe, in Japan geboren, seit zehn Jahren in Deutschland lebend, hat sich mit ihrer Uraufführung der "Ballade von Narayama" im Berliner Tacheles einen Traum erfüllt. Nein, zwei Träume. Der eine war alt, ein Märchen aus uralten Zeiten: Schon als Kind faszinierten Watanabe die Erzählungen um das Obasuteyama-Motiv. Der Berg Obasuteyama ("Berg, da die alte Tante ausgesetzt wurde") ist berühmt für den herrlichen Blick über das im Mondschein spiegelnde Nagano-Becken. Nach der Legende wurden auf seinem Gipfel alte Menschen ausgesetzt. Dort, hinter sieben Tälern, sollten sie den Gott Narayama treffen - und danach sterben und im Dorf Platz machen für die Jüngeren.

Der zweite Traum ist ein Jahr alt. Im August 1998 entwarf Watanabe die Kostüme für George Taboris "Zauberflöte im Zirkuszelt". Am Spielort hatte sie tagtäglich die Fassade des Tacheles vor Augen und schwor sich: "Hier muß meine Ballade vom Narayama spielen!"

Zwei Träume also, einer aus Japan und einer aus Berlin, haben einen dritten geboren: Einen Bühnen-Traum. Die "Ballade vom Narayama" ist ein Bilderbogen. Der Schauspieler Otto Sander leiht dem Stück mit seiner ruhigen, weichen Stimme den Märchenton, untermalt von Flöten, Bambusstäben, Mandolinen. Die Ruine des Tacheles gibt die Märchenkulisse: Finster ragt das ausgebrannte Kaufhausmassiv in den Abendhimmel, die offenen Räume gähnen dunkel. Dann belebt sich der Komplex: Farbige Tücher fallen aus den Fenstern, breiten Vorhänge über die Fassade, in den Öffnungen, mal blau, mal grün beleuchtet, erscheinen Masken, wie Geister und Gespenster.

Watanabe geht bis an die Grenze zum Kitsch. Der Besucher, der sich vorbeigeschoben hat an einem "japanischen Jahrmarkt" aus drei Buden, in denen berlinernde Verkäufer chinesischen Tee, Räucherstäbchen und fetttriefende Chinapfannen feilbieten, argwöhnt zunächst auch hinter Watanabes Bilderzirkus gefälligen Exotismus. Langsam und gemessen schreiten in Kimonos gehüllte Frauen im Kreis, bizarre Maskentänzer erscheinen, und junge Mädchen mit Windrädern. Japanische Sänger singen klagende Melodien, alles begleitet vom rhythmischen Trommeln.

Der erste Eindruck täuscht. Denn statt Anbiederung an japanischen Bilderreichtum versucht Watanabe gerade das Gegenteil. Ihr geht es um eine Annährung japanischen Denkens an europäische Aufgeklärtheit. Dabei kann sie sich auf Erzählungen von Shichiro Fukazawa und Yasushi Inoue stützen, Schriftsteller, die nach der Haltung der Japaner zu ihren Ahnen fragen: Inoues liebevollen Erzählungen über seine immer vergesslicher werdende Mutter etwa, oder Fukazawas Bearbeitung der Narayama-Lieder von den beiden Alten: einem renitenten Greis, gesund, im Vollbesitz seiner Kräfte, der sich weigert, frühzeitig sein Leben zu lassen und einer opferwilligen Alten, die bereitwillig den Gang zum Gipfel auf sich nimmt.

Barbara Nüsse mit schlohweißer Perrücke und weißgeschminktem Gesicht ist die ergebene Alte, die sich selbst die Zähne ausschlägt, um so alt zu wirken, wie sie sein soll. Wolf-Dieter Panse, ihr Gegenstück, spielt den rebellischen Alten, den sein Sohn einfangen muß, um ihn auf dem Berg aussetzen zu können. Umtobt werden sie von einem Chor der Kinder und Enkelkinder, gemischt aus japanischen und deutschen Schauspielern. Mal sind sie maskiert, mal nicht, mal sind sie geschminkt, mal nicht: Einerlei. Alle Spieler bleiben Masken: abendländische Psychologie ist Watanabes Sache nicht, ihre Schauspieler sind Figuren, mehr nicht.

Gäbe es nicht die Musik, die den Abend trägt und hält, das Spiel wäre leblos. Ulrike Haage von den "Rainbirds" hat die "Ballade vom Narayama" vertont: in einer genialen Mischung aus japanischer Tradition und europäischer Pop-Avantgarde, ohne einem Teil die Eigenart zu nehmen. Zwei Schlagzeuger, drei Sänger bilden die Band. Was Hideki Ikegamis asiatisches Schlagzeug vorgibt, beantwortet Tim Lorenz mit Rock-Percussion. Was Koshu Ikegamis japanische Gesänge anstimmen, nehmen Meret Becker und Alexander Hacke auf. In ihren Liedern klingt Weill an und auch Biermann: gellend, manieriert fast, und trotzdem mitreißend schlicht, ohrwurmverdächtig.

Am Ende ist das Tacheles zum heiligen Berg geworden. Auf dem Dach blüht der Kirschbaum, den die Touristen auf dem Berg suchen. Und nachdem die Alte gestorben, der Alte zu Tode gestürzt ist, geschieht ein Wunder: Es schneit. Kirschblüten schweben im Nachthimmel, legen sich auf Schauspieler, Bühne und Zuschauer. Nur einer fehlte: Der Mond. Der kam viel später, und stand dann als honiggelbe Scheibe über dem Tacheles. Aber da war aller Schnee schon wieder Schnee von gestern.Weitere Vorstellungen: Bis 29. August jeweils Do bis So, 20.30 Uhr. Ticket-Hotline: 0180/523 74 54

Christina Tilmann

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