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Kultur: Kehlkopfkrebs vom Lügen

Petras bringt das „Käthchen“ ans Gorki-Theater

Am Ende gibt es doch noch eine Moral von der Geschicht’, sogar im Original, also von Kleist. Robert Kuchenbuch als Graf vom Strahl kommt auf die Bühne, nicht mehr mit langer Rockstarmähne und Muskelshirt, sondern in einem grauen Rentneranorak. Wer viel feiert, altert schnell, das Haar ist also weiß und kurz. Müde rezitiert er aus Kleists „Marionettentheater“: „Doch das Paradies ist verriegelt und der Cherub hinter uns; wir müssen die Reise um die Welt machen, und sehen, ob es vielleicht von hinten irgendwo wieder offen ist.“ Die Party, die anderthalb Stunden über die Bühne des Maxim Gorkis Theaters mehr schlich als tobte, ist vorbei. Aus der Traum von Jugend, Wahrheit, Rock ’n’Roll. Konsequenterweise ist auch das Käthchen von Heilbronn – diese Idee von Anmut, Luft und Liebe – verpufft. Übrig bleibt das Böse, beziehungsweise das Durchtriebene, also Kunigunde. Ruth Reinecke liegt in einem Krankenbett, den Hals in einer Krause.

Das Bild sagt: Das Unmittelbare (Käthchen) ist eine Illusion, aber vom Lügen (Kunigunde) kriegt man Kehlkopfkrebs. So endet die Geschichte als lose-lose-Situation; der Theaterabend aber sähe sich gern als doppelter Gewinner. Vereinfachen, Spaß haben und die Leute trotzdem mit einem Gedanken nach Hause schicken. So zumindest hat es sich Armin Petras wohl gedacht.

Stimmt ja auch: Warum soll man Kleists „Käthchen von Heilbronn“, dieses pompöse Ritterspiel, dessen Handlung (und Figurenmotivation) so verwirrend und märchenhaft behauptet ist, dass man schon beim Beschreiben in eine hilflose Und-dann-Litanei verfällt (Und dann folgt das Käthchen, in Liebe entbrannt, dem Ritter vom Strahl, doch der rettet zufällig die durchtriebene Kunigunde, die sich bald als seine Widersacherin herausstellt. Und dann sagt Käthchen, dass Feinde kommen, worauf das Schloss in Brand gerät und Käthchen von Kunigunde in die Flammen geschickt wird. Doch bevor Käthchen verschüttet wird, schwebt ein Cherub helfend zur Seite, und vom Strahl entdeckt, dass er Käthchen liebt) in all seiner epischen Breite mit den vielen Verästelungen auspinseln?

Wer das „Käthchen“ inszeniert, braucht Mut zur Lücke. Und wer das Stück nicht kennt, versteht von Petras’ Version wiederum nur, dass da zwei Frauen um einen Mann kämpfen. Bei Petras ist aus dem Ritter vom Strahl eine Rockikone geworden und aus Käthchen ein Groupie, das sich mit der bösartigen Nachtlebendiva Kunigunde rumzuschlagen hat. Aus dreißig werden sieben Figuren, alles Politische wandert eingedampft in die Endszene. Eine interessante Verschiebung ins einfach Ambivalente: Aus der reinen Liebe bei Kleist wird die absolute Hingabe eines Fans, die von Wahn nur noch schwer zu unterscheiden ist.

Als die Inszenierung vor knapp zwei Jahren in Frankfurt herauskam, wurde vor allem Hilke Altefrohnes Käthchen gefeiert, bodenständig und somnambul zugleich. Petras hat Kunigunde doppelt besetzt, und neben der älteren, die am Rand der Szenen an das hässliche Ende gemahnt, spielt in der überarbeiteten Fassung nun Fritzi Haberlandt die junge Kunigunde. Die Rolle der falschen Schlange sitzt ihr wie angegegossen. Ständig wechselt sie Tonlagen, springt von einer verführerischen Affektiertheit in die nächste, um nach ihrer Aufdeckung die Wut eines kindischen Gefühlsterroristen herauszuschreien. Hier gehorcht ihr zur Manier neigendes Posenswitching ganz der Figur.

Petras Mut war groß, aber nicht groß genug. Anstatt konsequent alles zu streichen, was vom schwäbischen Zickenkrieg ablenkt, lässt er Teile der verschlungenen Nebengeschichten pro forma doch erzählen, im halsbrecherischen Tempo, mit übertrieben kokett verdrehten Augen und ironischem Da-müssen-wir-durch-Lächeln. So kommt der Abend über den unterhaltsamen Charme einer Nummernrevue nicht hinaus.wieder am 5., 15. und 23.11.

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