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Kultur: Kein neuer Duce

Es vergeht kein Tag, ohne dass in europäischen Zeitungen Berichte über Italien mit ironischem und sarkastischem oder sogar beunruhigendem und sorgenvollem Unterton erscheinen. Ist die italienische Demokratie in Gefahr?

Es vergeht kein Tag, ohne dass in europäischen Zeitungen Berichte über Italien mit ironischem und sarkastischem oder sogar beunruhigendem und sorgenvollem Unterton erscheinen. Ist die italienische Demokratie in Gefahr? Erinnert Berlusconi und sein Regierungsstil an den Mussolinis? Ist sein Populismus eine mediengerechte Neuauflage des Faschismus der 30er Jahre? Diese historische Analogie, von italienischen Intellektuellen und Künstlern lanciert, ist auch in deutschen Zeitungen populär. Berlusconi und Mussolini Seite an Seite zu stellen, scheint knapp, plastisch, geradezu unterhaltsam, um die aktuelle politische Situation in Italien zu beschreiben und zu stigmatisieren. Ich halte diese Analogie jedoch für historisch falsch, sogar kontraproduktiv.

Anstatt das beunruhigende Neue des demokratischen Populismus Berlusconis zu erfassen und greifbar zu machen, setzt man es mit einem Phänomen aus der Vergangenheit gleich, das einfach zu denunzieren ist. Der "Berlusconismus" stellt dagegen eine Herausforderung mit neuen Elementen dar, deren Eigenart erkannt werden muss, um einen möglichen Rückschritt der italienischen Demokratie zu verhindern.

Die Analogie von "Berlusconismus" und "Mussolinismus" ist eine paradoxe Variante des "historischen Revisionismus", die den geschichtlichen Faschismus bagatellisiert. Das Regime Mussolinis war eine institutionell antidemokratische und freiheitsraubende Diktatur, die Presse-und Meinungsfreiheit negierte. Der "Berlusconismus" dagegen ist besessen von der Zustimmung der Wähler, die tagtäglich von Demoskopen gemessen wird und durch mediale Hyperkommunikation erhalten bleiben soll.

Die Macht der Medien

Während Mussolini mittels politischer Gewalt an die Macht kam, indem er von der tief greifenden politischen Krise der liberalen Regierung in den 20ern profitierte, hat sich Berlusconi in den 90ern durchgesetzt, nachdem die italienische Demokratie schließlich zur Normalität gefunden zu haben schien. Und: Der Bezugspunkt von Mussolinis Populismus war Volk und Nation, kontrolliert von der nationalistischen Rhetorik und durch die Übergriffe der faschistischen Sturmtruppen; der Populismus Berlusconis hat als Bezugspunkt das "Wahlvolk", kontrolliert durch die Meinungsumfragen - und hat besonders das Fernsehpublikum im Blick. Ist das Ergebnis identisch? Ist in beiden Fällen die Demokratie in Gefahr?

Es bedarf der Erklärung und Bewertung verschiedener Elemente, um hierauf eine Antwort zu finden. Im Vordergrund steht die Anomalie Berlusconis - als Besitzer eines enormen Medienimperiums sowohl im Fernseh- als auch im Verlagsgeschäft. Dies wirft eine Reihe neuer Fragestellungen auf. Ist die Kontrolle über den Besitz eines Fernsehsystems gleichzusetzen mit der politischen Kontrolle der staatlichen Institutionen? Sind die durch einen Kommunikator verführten Fernsehzuschauer vergleichbar mit der Nationalisierung der Massen durch den charismatischen Duce? Gibt es keinen Unterschied zwischen der Wahl des Parteiführers nach demokratischen Regeln und dem faschistischen Plebiszit, das am Ende jegliche Wahlen überflüssig macht?

Das ist der erste Kernpunkt meiner Argumentation: Berlusconi und seine Regierung erinnern ihre Kritiker jeden Tag daran, dass sie demokratisch gewählt worden sind - und nicht durch pseudo-demokratische Notfallmechanismen an die Macht kamen, wie es während der Diktaturen in den 30er Jahren geschah. Der Diskurs verlagert sich somit auf die Millionen italienischer Wähler, die offensichtlich nicht der Meinung sind, dass Berlusconis Medienimperium eine Gefahr für die Demokratie darstelle. Vor allem glauben sie nicht, dass die Probleme Berlusconis mit der Justiz von solcher Natur sind, ihm eine unglaubwürdige, gefährliche oder korrupte Politik zuzuschreiben.

Gegenüber diesem Verhalten von Millionen von Wählern gibt es zwei mögliche Einstellungen. Entweder man verurteilt alle Wähler Berlusconis, indem man sie als korrupt, opportunistisch oder dumm bezeichnet, wie es zuweilen die linke Opposition tut. Oder man fragt sich, welche Strategie die jetzige Regierung benutzt, um die schwer wiegenden Probleme Berlusconis zu verwischen oder zu umgehen und so die Gefahr für ihre politische Führung zu minimieren.

Italien hat zwei objektive Probleme: das Funktionieren der demokratischen Institutionen und die Qualität des Justizsystems, das die Integrität der Demokratie garantiert. Man kann heute nicht sagen, dass die demokratischen Institutionen in Italien gelähmt oder gar deformiert seien. Das Parlament arbeitet gemäß der konstitutionellen Normen. Das eigentliche Problem entsteht dadurch, dass viele Gesetze durch die Mitte-Rechts-Mehrheit im frontalen Gegensatz zur Minderheit der Mitte-Links-Parteien verabschiedet werden. Diese Praxis wäre ein Zeichen für demokratische "Normalität" - würde sie nicht Themen von entscheidender allgemeiner Bedeutung betreffen, für die die demokratische Tradition einen Konsens fordert.

Wir erleben in Italien gerade das, was klassische Liberale die "Diktatur der Mehrheit" nennen, die die Demokratie seiner Substanz beraubt. Ein Beispiel ist die Verjährung oder die Annullierung einiger Straftaten, was für den Regierungschef persönlich vorteilhaft ist. Nach Ansicht vieler handelt es sich hier um eine schwere Störung in der Beziehung zwischen Politik und Justiz. Warum hat man die These Berlusconis akzeptiert, dass Fragen von Gesetzgebung und Justiz in Italien immer auch politisch seien und auch so behandelt gehörten? Wer garantiert die Integrität der Demokratie, wenn die Souveränität des Parlaments von der "Diktatur der Mehrheit" unterminiert wird? Warum wurde in diesem Fall nicht das Verfassungsgericht angerufen? Diese Fragen lenken die Aufmerksamkeit auf andere Komponenten des politisch-institutionellen Gefüges in Italien, die zu oft in Analysen vernachlässigt wurden. Namentlich die Rolle des Präsidenten, Carlo Azeglio Ciampi, der von allen politischen Lagern und von den Italienern allgemein sehr hoch geschätzt wird. Er interveniert oft und ermahnt zu größerer Kooperation und Harmonie zwischen den politischen Parteien. Seit einiger Zeit wird der Präsident allerdings immer häufiger angerufen, um in dieser oder jener kontroversen Frage schlichtend einzugreifen. Der Ruf nach dem Staatsoberhaupt ist zu einem Ritual in der italienischen Politik geworden, auch wenn seine Kompetenzen begrenzt sind und lediglich "notariellen Charakter" haben. Dies hindert uns nicht, Ciampi heute als letzten Garanten des demokratischen Prozesses zu sehen. Bisher hat er es jedoch nicht für opportun gehalten, einzugreifen.

Kehren wir zur parlamentarischen Politik zurück. Die wichtigste Prüfung, die sie erwartet, wird die Verabschiedung des Gesetzes zum "Interessenkonflikt" sein, das vor allem Ministerpräsident Berlusconi betrifft. Das Gesetz soll die Vereinbarkeit eines hohen politischen Amtes mit dem Besitz eines unermesslichen und strategisch wichtigen Firmenimperiums regulieren. Es ist ein großer Fehler der Mitte-Links-Parteien, dass sie ein solches Gesetz nicht während ihrer Legislaturperiode verabschiedet haben. Jetzt will die Mitte-Rechts-Koalition ein Gesetz verabschieden, das die Opposition für absolut unzureichend hält. Was wird passieren? Wird die Demokratie gewahrt bleiben und Berlusoni sich dieses Problem auch in den Augen Europas vom Hals schaffen? Oder wird es eine typische Vorgehensweise der "Diktatur der Mehrheit" sein, ein weiterer Schlag gegen die Integrität der italienischen Demokratie? Doch wer ist Richter über diese Integrität? Die ausländischen Beobachter, die Verfassungsrichter oder die Wähler?

Klima der Einschüchterung

Ich will nicht das Klima der psychologischen Einschüchterung, das seit einiger Zeit in den Massenmedien, im Fernsehjournalismus, im Staatsapparat, in der Justiz und nicht zuletzt in Italiens Schulen herrscht, bagatellisieren. Es ist eine psychologische und ideologische Entmutigung, die Selbstzensur und passive Fügsamkeit produziert - und Ergebnis ist einer massiven Konformismus-Kampagne der Regierung. Aber in diesen gerade beschriebenen Gruppen existieren auch starke Widerstände. Das Problem, dem sich die Kritiker Berlusconis stellen müssen, betrifft die Art der Argumente und des öffentlichen Diskurses - ohne immer gleich den Faschismus zu bemühen.

Kommen wir zur Justizfrage. Wie alle wissen, war und ist Berlusconi in eine Serie von Prozessen verwickelt, die er und seine Anhänger nur als Schikanen betrachten. Er verurteilt sie als Instrumente der politischen Verfolgung von Seiten einer politisierten Justiz. Seit Jahren gibt es einen offenen Konflikt zwischen Berlusconi und einer Gruppe von Staatsanwälten und Richtern in Mailand. Letztere sind überzeugt davon, nur ihre unumstößliche Pflicht zu erfüllen, indem sie gegen ihn Untersuchungen durchführen und prozessieren. Berlusconi und seine Freunde dagegen erklären, man würde sie aus politischen Motiven verfolgen. Eine Argumentation, die mit Erfolg im Wahlkampf eingesetzt wurde und mit der es gelang, Millionen von Wählern zu überzeugen. Meiner Meinung nach ist es falsch zu behaupten, dass die Wähler Berlusconis alle potenzielle Mafiosi seien. Es ist hingegen möglich, dass viele von ihnen nicht den Ernst des juristischen Falles Berlusconi erkannt haben, weil sich dieser mit anderen schweren Problemen der italienischen Justiz überschneidet, etwa der Ineffizienz und lang dauernder Prozesse. Natürlich wird dies von Berlusconis Anwälten benutzt. In der Zwischenzeit konnte Berlusconi seine Machtposition als Regierungschef mit Hilfe seines Justizministers nutzen. Das Ergebnis ist eine enorme Unruhe innerhalb der italienischen Justiz. Ein Ausdruck davon war auch der eindrucksvolle Protest der Gesetzesmänner vor einigen Wochen in vielen italienischen Städten aus Anlass der Eröffnung des Juristischen Jahres.

Doch auch hier erwartet uns in naher Zukunft eine weitere Episode. Ich beziehe mich auf einen Prozess, der in Mailand stattfinden wird, und in den auch Berlusconi verwickelt ist. Der Ausgang dieses Prozesses wird sehr wichtig sein, auch wegen der politischen Konsequenzen. Es wird der entscheidende Test sein für die Autonomie der Justiz und deren Beziehungen zur Politik, die von einigen Kommentatoren schon als unwiederbringlich beschädigt bezeichnet werden.

Berlusconi ist ohne Konkurrenten innerhalb der Mitte-Rechts-Koalition. Diese Beobachtung ist weniger banal wie es zunächst scheint, da es eine Zeit gab, in der man seine politische Führerschaft anzweifelte. Man hielt ihn für eine Art notwendiges "Bindeglied" der Koalition wegen seiner Popularität, während die "politischen Köpfe" andere waren. Heute hingegen kontrolliert Berlusconi nicht nur die weit gefächerte Nomenklatura des post-christlichdemokratischen und post-sozialistischen Lagers, die das Gerüst von Forza Italia bilden.

Er hat auch seine Verbündeten fest im Griff, den Postfaschisten Gianfranco Fini und den Lega-Nord-Chef Umberto Bossi. Aber Berlusconi versteht es auch, sich von seinen Förderern außerhalb der Partei zu emanzipieren. Es hat viele überrascht, mit welcher Sicherheit er Außenminister Ruggiero entlassen hat, einen Protegé der Agnelli-Familie (Fiat). Gianni Agnelli, einer der größten Industriemagnaten und Vertreter des traditionellen italienischen Unternehmertums, zeigte sich anfänglich kühl gegenüber Berlusconi. Doch dann hat er ihn öffentlich gegen, wie er sagte, übertriebene Kampagnen ausländischer Zeitungen in Schutz genommen. Die Berufung Ruggieros zum Außenminister galt als ein Zeichen der Annäherung zwischen Agnelli und Berlusconi. Konsequenterweise ist die Entlassung Ruggieros als die Durchsetzung Berlusconis gegen die traditionelle, europafreundliche Linie von Fiat interpretiert worden. Diese Operation gipfelte in der Entsendung von Gianfranco Fini, Vorsitzender der Alleanza Nazionale (AN), zum europäischen Konvent.

Die Europäer tun sich schwer, den italienischen Postfaschismus zu verstehen. Sie begreifen nicht, wie man sich als normale, demokratische Rechte präsentieren kann, die Extremismus und Rassismus ablehnt und gleichzeitig ein Band der positiven Erinnerung zum historischen Faschismus knüpft. In Wirklichkeit ist es gerade diese Kombination, die der italienischen Rechten erlaubt, an Berlusconis Seite zu stehen. Doch was AN und Berlusconi besonders verbindet, ist der leidenschaftliche Antikommunismus, der seinen Ausdruck in einem historischen Revisionismus findet, der die kulturellen Debatten in Italien seit einigen Jahren beherrscht. Der Postfaschismus versteht sich als "soziale Rechte", verteidigt die schwächsten Bevölkerungsschichten. Eine Mischung aus Populismus und sozialem Protektionismus, die besonders vom Kleinbürgertum in Süditalien geschätzt wird.

Die Beziehung zu Bossis Lega ist schwieriger - auch wenn man an die erste Regierung Berlusconis von 1994 denkt, die durch die Lega gestürzt wurde. Bossi dachte damals, er könnte die Karte des radikalen Separatismus im Norden ausspielen. Aber eine Aufeinanderfolge von Wahlniederlagen hat ihn in die Allianz mit Berlusconi zurückgebracht, wofür er mit einer Überrepräsentanz an Parlamentssitzen und Ministerposten belohnt wurde. Bossi ist heute der "Wachhund" des Cavaliere. Seine Ausbrüche über Europa oder über Migranten stellen die extremen Positionen der Mitte-Rechts-Koalition dar, die Berlusconi dann wohlwollend relativiert. Bossis Aufgabe besteht darin, die extremen, ideologischen Grenzen aufzuzeigen (Xenophobie, Anti-Islamismus, extrem konservative Familienpolitik, strenge politische Kontrolle des staatlichen Fernsehens etc.), so dass Berlusconi sich schließlich als gemäßigter und vernünftiger Moderator geben kann. Ein perfektes Rollenspiel.

Das Bild, das ich hier von Italien zeichne, ist sicher nicht das einer ausgereiften und funktionierenden Demokratie. Und es ist verständlich, dass die linke Opposition von einer "demokratischen Notlage" spricht. Aber gerade von Seiten der Linken fehlt bisher eine vollständige Analyse der Gründe, weshalb die letzte Mitte-Links-Regierung ihre historische Gelegenheit verpasst hat, das Phänomen Berlusconi zu verhindern. Dabei haben sich die politischen und moralischen Gewichte weniger nach rechts verlagert, als es scheint. Im Großteil der Presse wird das Zerrbild eines hypnotisierten Landes gezeichnet, beherrscht von der Figur Berlusconis. Italien wird mit Berlusconi identifiziert. Dabei verleugnet man Millionen von Bürgern, die sich durch diese Regierung nicht repräsentiert fühlen. Aber diese Bürger werden auch nicht durch eine Opposition vertreten, die sich selbstverliebt in eine depressive Krise zurückgezogen hat und nicht in der Lage ist, sich der Regierung entgegenzustellen, indem sie ihre eigenen Kompetenzen und Erfahrungen einbringt.

Ein neuer Politiker-Typus

Zum Schluss sei hier an die Begegnung zwischen Außenminister Joschka Fischer und Berlusconi vor einigen Wochen in Rom erinnert. Die wehrlose Verwirrung, mit der sich der sonst so kämpferische und entschiedene Europäer Fischer von Berlusconi in der Öffentlichkeit hat behandeln lassen - fast als wäre er ein alter Weggefährte - ist nicht einfach nur ein mediales Bravourstück des Cavaliere gewesen. Es hat genau jenes "Enter"-Verhalten wiedergegeben, mit dem Mitte-Rechts sich Zutritt verschafft zu den institutionellen Mechanismen Europas. Nicht um "Europa zu zerstören", wie es die Linke beschreit, sondern um sich dort einzurichten und Posten zu beziehen, um einen Prozess zu beeinflussen, der nicht mehr umkehrbar ist. Auch hier ist es nötig, Berlusconi nicht einfach als Gegner Europas zu verteufeln, sondern ihn mit konkreten Fragen hinsichtlich der Rolle der europäischen Institutionen, der Kompetenzverteilung und der Osterweiterung zu konfrontieren.

Mit Berlusconi ist in Europa der neue Typus des "Amateurpolitikers" aufgetaucht. Er ist heiter, manchmal schülerhaft, aber sich seiner Medienmacht bewusst. Ein populistischer Führer, der sich immer im Einklang und im Namen des formbaren und auf jeden Reiz reagierenden Volkes bewegt, das sich durch die demoskopischen Umfragen noch vor dem Gang zur Wahlurne artikuliert. Aber er kann auch hart und bestimmt auftreten, wenn es darum geht, seine politischen Feinde - etwa in der Justiz - aufzuhalten, indem er sie einfach als Kommunisten abqualifiziert. Es ist nicht das Ende der Demokratie in Italien, auch wenn es beunruhigende Verzerrungen gibt - von der "Diktatur der Mehrheit" zur Strategie der Einschüchterung. Aber wir stehen sicher vor einer der größten und schwierigsten Herausforderungen.

Gian Enrico Rusconi

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