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Kultur: Keine Mission ohne Emission

Wertkonservatismus und Medienmodernität gehören zusammen – bei Ronald Reagan wie bei Papst Johannes Paul II.

Der Papst stirbt, und alle sehen zu. Ecce homo: ein alter, artikulationsunfähiger Mann mit zitternden Händen, schmerzverzerrtem Gesicht und unkontrolliertem Speichelfluss wird im Rollstuhl ans Fenster seiner Wohnung geschoben und versucht hilflos, die große Menge auf dem Petersplatz und die ungleich größere „draußen vor den Bildschirmen“ zu grüßen. Das schaurig faszinierende Schauspiel dauert nicht lange, wird aber an mehreren Tagen wiederholt. Die Chronik eines lange und gründlich angekündigten Todes nimmt ihren in jedem Wortsinne absehbaren Verlauf. Orbi et urbi: Nachdem die Menschen auf dem Petersplatz mit eigenen Augen, viel näher als die ganze Welt vor den Fernsehgeräten, eine sterbende welthistorische Figur betrachtet haben, wird auch der Tote zur Schau gestellt.

Nach seinem Ableben wird die Leiche des Papstes einbalsamiert und medial präsentiert. Wieder und diesmal dauerhaft sind Kameras dabei, die das Geschehen direkt in alle Welt übertragen. Wir, die wir vor den TV-Monitoren sitzen, beobachten, wie zuerst outriert traditionell gewandete Bewohner des Vatikans und sodann Hunderttausende Zivilpersonen vom Pontifex Maximus Abschied nehmen. Im Mittelpunkt des Geschehens, das man kaum anders denn als Spektakel bezeichnen kann: eine öffentlich ausgestellte und dank elaborierter Fernsehtechnik gut ansichtige Leiche.

Bemerkenswert ist dieses Ereignis auch für abgeklärte Beobachter der Medienszene sowie für Nichtgläubige aus vielen Gründen, vor allem aber auch aus diesem: Als traditionsreichste Institution der Welt agiert die Kirche offensiv auf der Höhe der Mediendinge. Die Spitze der katholischen Kirche zeigt sich hier als Vorreiter. Öffentlichkeit macht vor fast nichts mehr Halt. Es ist zu befürchten, dass private Fernsehsender bald ausführlich Sterbende filmen, nachdem sie in Reality-TV-Sendungen wie Big Brother die Wonnen inszenierter Alltäglichkeit inklusive Sex gezeigt haben.

Ein Papst, der in vielen, gerade auch kulturellen Hinsichten als prononciert konservativer Charakter galt, ein Papst, der in Fragen etwa der Abendmahlsgemeinschaft, des Kirchenverständnisses, der Laienordination, der Schwangerschaftsberatung und des Priesteramtes für Frauen dezidiert traditionalistische bis fundamentalistische Positionen verteidigte, hatte ein geradezu enthusiastisches Verhältnis zum avancierten Stand der Medientechnologie und zumal der Fernsehöffentlichkeit. Zu Recht galt er als erster Medien-Papst. Auf die Wirkung und Fernseh-Tauglichkeit seiner Auftritte legte er auch in Nachgesprächen mit Medienberatern äußersten Wert.

Die nur auf den ersten Blick befremdliche und widersprüchliche Kombination von erzkonservativen bis fundamentalistischen Ansichten einerseits und Medienzugewandtheit andererseits teilt er mit zwei einflussreichen Zeitgenossen, die fast gleichzeitig mit ihm machtvolle Positionen einnahmen und Geschichte machten: Ronald Reagan und Ayatollah Chomeini. Um 1979 zeichnet sich in so unterschiedlichen Weltecken wie Rom, Washington und Teheran eine brisante Konstellation ab.

Hochgradig eigensinnige und betont traditionsverhaftete Konzepte rüsten ideologisch auf und stellen missionarische Ansprüche. Keine Mission ohne Emission. Keine Macht ohne Medien. Globale Geltungsansprüche stellen alle drei Mächte: Die Kirche nennt sich nicht umsonst katholisch, also allumfassend; Chomeini reaktivierte für den Islam die Idee der missionierenden Umma. Und konservative US-Politik arbeitet seit Reagan daran, die Reiche des Bösen zu besiegen und global amerikanische Werte zu verbreiten. Da der Vatikan anders als die beiden anderen Mächte kein Militär unterhält, hat er die Idee der Medienmacht perfektioniert.

Das Pontifikat von Johannes Paul II. war immens medienmodern und zugleich betont wertkonservativ. Vieles spricht dafür, dass diese Kombination noch lange mediale Aufmerksamkeit verdient – und organisiert.

Der Autor ist Professor für Neuere Germanistik und Medienanalyse an der Universität Mannheim. Zuletzt erschien von ihm „Theorie-Apotheke – ein Rückblick auf humanwissenschaftliche Theorien der letzten 50 Jahre“ (Andere Bibliothek).

Jochen Hörisch

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