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Kelsey Lu

© Columbia Records

Kelsey Lu in Berlin: Die Perlmuttversion von Catwoman

Kelsey Lu entfloh den Zeugen Jehovas, um Cello zu studieren. In der Berghain-Kantine gibt die Sängerin ein mitreißendes Konzert.

Kelsey Lu stellt ihr Cello ab und beißt genüsslich in einen Burger. Er ist übrig geblieben vom Abendessen, war ihr zu viel. Im Gegensatz zu der Liebe, die sie geben kann und will. „Wenn andere Menschen einem das Gefühl geben, dass man ,zu viel ist’, und sich distanzieren, dann“, sagt die Musikerin, „rennen sie nur vor sich selbst davon“. Als „ultimative Rache“, beschreibt Kelsey Lu die Macht, ihren Herzschmerz in Musik zu verpacken.

Herzschmerz macht sie zu Musik

Grinsend schlägt sie die ersten Akkorde von „Too Much“ auf ihrer E-Gitarre an. Ihre Songs spielt Kelsey Lu mit ihrer Band an diesem Abend in der Berghain Kantine sehr langsam und soulig. Dabei hat sie ihren Drummer und einen Pianisten, der sein Keyboard mit warmen Neunziger-Jahre-Effekten belegt. Lu ist eine Meisterin darin, ihre Stimme filigran und bewusst einzusetzen. In manchen Momenten klingt sie fordernd und präsent, in anderen zart und weit entfernt. Mit einer Loop-Machine lagert sie ihre vielseitigen Stimmfarben übereinander, wie eine Strömung zieht einen diese Überlagerung mit.

Gedichte aus dem Mobiltelefon

Mit 18 Jahren war sie in North Carolina den Zeugen Jehovas entflohen, um Cello zu studieren. Seit sie 2016 ihr Debütalbum veröffentlichte, arbeitete sie mit Solange, Florence and the Machine und Lady Gaga zusammen.
Wenn Lu sich zu Beginn des Konzertes während des Stücks „Rebel“ aus ihrem neuen Album „Blood“ verspielt, wirft sie ihren Kopf zurück und murmelt: „Ich habe das geschrieben, man sollte meinen, dass ich es auswendig kann, oder?“ Zwischen den Stücken liest sie Gedichte von ihrem Mobiltelefon ab, verteilt Tomaten im Publikum, schält sich eine Banane. Alles ziemlich lässig und würdevoll. Lu trägt ein silbernes Lederkorsett und einen weißen Satin-Rock, dazu silberne Ringe an allen Fingern, ihre Augenbrauen sind dick geschminkt. Wie Catwoman sieht sie aus, in einer elegant-punkigen Perlmuttversion.

Schmerz und Erlösung

Vor ihrem Lied „Atlantic“ hält sie inne. „Kennt sich jemand mit dem Atlantik aus?“, fragt sie. „Sehe ich da eine schwarze Hand?“ Der Ozean hat eine besondere Bedeutung für die 28-jährige afroamerikanische Musikerin, sie ist an der nordatlantischen Küste aufgewachsen und verbrachte jedes Wochenende in den Wellen. „Der Atlantik steht für viel Schmerz in der schwarzen Identität, für das Gefühl der Entwurzelung, für die Diaspora. Aber er ist auch ein Ort der Heilung“, sagt sie. Lu hockt sich neben ihr Streichinstrument, als würde es sie ein bisschen abschirmen wollen: „Jump into the Atlantic/ When you’ve taken all the pain of it all/ Jump into the Atlantic/ When you fall/ Jump into the Atlantic/ When you wanna heal it all“, singt sie.

Ein Ozean aus Applaus

Ein bisschen Wehmut kommt auf, als Kelsey Lu von der Bühne verschwindet, ohne ihre Coverversion der Siebziger-Jahre-Ballade „I’m Not In Love“ von der britischen Rockband 10cc gespielt zu haben. Aber man kann ihr nicht wirklich böse sein. Jeder Wehmutstropfen verschwindet im aufbrausenden Applausozean.

Alexandra Ketterer

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