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Kultur: Kerosin fürs Volk

Wunschkonzert in der Wuhlheide: Die Stahlband Rammstein setzt jetzt auf Naturtextilien

Das ist das Schicksal fast aller abräumerisch gestarteten Kunst: Irgendwann hat man wirklich abgeräumt, man hat sein Ding durchgezogen, man hat übelste Verwünschungen provoziert, andere fast in den Wahnsinn getrieben, hat selbst dann nicht nachgelassen, als es Kritik hagelte – und auf einmal sind die Themen aufgebraucht, ist der Komplex Ich gegen die Wirklichkeit durchdekliniert bis zum Letzten. Was bleibt, ist eine Selbstbesinnung, nach dem Motto: Hallo, da komm ich her, und hier bin ich jetzt, was ist eigentlich passiert. In dieser Phase befinden sich Rammstein zur Zeit.

Man kann das gut an der Entwicklung ihrer Bühnenshows ablesen. 1998, als ihr internationaler Erfolg schon beachtlich war, war alles, was man auf der Bühne sah, aus Metall. Der Panzer in der Bühnenmitte genauso wie die ritterrüstungshaften Oberteile, die die Herren über ihren gewölbten Brustkörben trugen. Es brannte während der Auftritte an allen Ecken und Enden, und der damalige Chefbeleuchter, Gerd Hof, schien im Nachhinein den Naziästheten zeigen zu wollen, wie ein Lichtdom wirklich aussieht. Zu jedem Lied wurde eine eigene kleine Bühnenshow aufgeführt, mit reichlich Komparsen, die Accessoires reichten vom Engelkäfig bis zum meterhohen Plastikpenis. Damals waren die Konzerte reichlich überdimensioniert, aber es krachte herrlich. 2002, als sie ihr Album „Mutter“ vorstellten, war das Metall fast weg von Bühne und Körpern. Dafür sah man Pastelltöne an der nackten Rückwand, und die sechs Berliner spielten eine ziemlich überschaubare Rockshow herunter – für ihre Verhältnisse absolut schmucklos. Nun, nachdem das Pendel einmal in diese, einmal in die andere Richtung ausgeschlagen hat, scheinen sie in der Mitte angekommen zu sein, und vielleicht auch bei sich selbst. Juni 2005 in der Wuhlheide: auf der Bühne viel Metall, allerdings kein Panzer, sondern eine Boxenwand, in die einige Hebebühnen eingelassen sind. Die Lieder werden, mit Ausnahme des Kannibalen-Songs „Mein Teil“ kaum noch durch Inszenierungen illustriert, das ganze „Schmierentheater“, wie Gitarrist Landers es einmal nannte, ist arg reduziert. Und der Begriff „Travestie-Kapelle“, der neulich zu lesen war, passt auch nicht mehr zu Rammstein.

Die Metallrüstungen haben sie abgelegt, dafür sind sie mit Klamotten aus Leder behangen, zum großen Teil aus Wildleder. Inzwischen genügt es ihnen, sich hinzustellen wie eine Rockband und ihre Arbeit zu tun. Man wird nicht von der Musik abgelenkt wie ganz früher, man wird nicht mit der Musik allein gelassen wie wenige Jahre später. Man merkt: Jetzt würden sie es gern allen recht machen.

Die Tabuthemen sind ihnen im Laufe von vier Alben ausgegangen, viel mehr Tabus gibt es ja auch nicht mehr. In den neuesten Texten singen sie eher über sich, aber nicht als bizarre Außenseiter, sondern als mainstreamkompatible Rocker. „Los“ ist so ein Lied auf ihrer jüngsten CD „Reise, Reise“. Till Lindemann besingt die Entwicklung der Gruppe von den Anfängen bis zum internationalen Erfolg, einschließlich vernichtendster Kritik an ihrer Selbstdarstellung. Und er versteht es, die Begriffe gottlos und zeitlos geschickt unterzubringen, nämlich in der sich anbietenden Doppelbedeutung (auseinander- oder zusammengeschrieben).

Zum einen singen sie über sich selbst, zum anderen haben sie Lust gefunden an Sprachspielen, nicht der bizarrsten, sondern der einfachsten Art. Im Oktober wird ein neues Album von Rammstein erscheinen, das fünfte Studioalbum, nur ein Jahr nach dem letzten. Es wird „Reise weiter“ heißen, oder „Benzin“, so viel weiß man schon. Am Freitagabend spielten sie als einzigen von der neuen CD den Song „Benzin“.

Lindemann singt, er brauche nicht Heroin, Kokain oder Koffein, sondern eher Kerosin, ein bisschen Nitroglyzerin, und vor allem: Benzin. Selbstverständlich werden zu diesem Lied die heftigsten Flammen in den Berliner Nachthimmel geschickt. Sicher ist Rammstein die Band mit dem höchsten Benzinverbrauch während einer Show, so viel zur Selbstthematisierung. Da die Tabus längst textlich verarbeitet worden sind (durch Benzin brennende Menschen: alles schon da gewesen in Lindemanns Texten), bleibt nur noch übrig, dass man Benzin eben zum Arbeiten benötige – und damit geht es Rammstein wie Abermillionen normalen Menschen, die mit dem Auto zur Arbeit fahren. Der Text lässt keine Referenz auf ein Verbot beziehungsweise seine Brechung mehr zu.

Es ist sicher kein Zufall, dass der Bassist Oliver Riedel zu dem Lied „Los“ in korrektem Lederhosenoutfit unter dem Beifall des völlig durchmischten Publikums einen Schuhplattler hinlegt: Mit der Selbstreferenz sind sie nah bei der Volksmusik angekommen und singen uns vor, dass sie uns ein Lied vorsingen.

Einen Hinweis auf Rammsteins Verhältnis zwischen der Rolle des Rockmusikers und der des Imageverwalters eines Rockmusikers liefert der Beginn der hundertminütigen Show. Sechs Herren betreten die Bühne im gleichen Krawatten-Outfit, dazu Baseballschläger oder Pumpgun, in dem die Musiker sich auch für das Album „Reise, Reise“ ablichten ließen. Mit Taschenlampen leuchten sie ins tobende Publikum. Endlich ist es soweit, sie sind da, es kann losgehen. Der Song „Reise, Reise“ beginnt, nur spielen die sechs kurzärmeligen Schlipsträger ja gar nicht. Ein Vorhang fällt, dahinter stehen erhöht die echten Musiker und arbeiten bereits an ihren Instrumenten, keinesfalls mit Krawatte, sondern eben in Lederpatchwork. Die sechs Herren vom Anfang verschwinden und betätigen sich während des Konzerts als Bühnenarbeiter. In der bisher bekannten Rammsteinlogik hätten die echten sechs mit Krawatten spielen müssen. Aber nein, sie zeigen, das Image ist das eine, unsere Musik ist das andere, sie treten einen Schritt hinter die inszenierte Erscheinung zurück, um als das zu erscheinen, was sie sind: Musiker.

Dann folgt die ausgewogene Mischung, die der Anfang versprochen hat. Bedient wird der Rammstein-Gesamtkunde. Sie spielen Lieder von allen CDs, von der jüngsten einige mehr: ein „Zehn-JahreRammstein“-Konzert. Sehr normal.

Für das letzte der vier Berlin-Konzerte in der Wuhlheide heute Abend gibt es noch Karten. 19 Uhr: Apokalyptika im Vorprogramm, 21 Uhr: Rammstein. – Bodo Morshäuser lebt als Schriftsteller in Berlin. Zuletzt erschien sein Roman „In seinen Armen das Kind“ (Suhrkamp, 2002).

Bodo Morshäuser

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