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Kevin Barry.

© Murdo MacLeod/Tropen

Kevin Barry: Roman „Dunkle Stadt Bohane“: Von Halunken und Harlekins

Eine Stadt im Jahr 2053, ohne Handys, Fernsehen oder Internet. Dafür mit Familienfehden und Bandenkriegen. In seinem finsteren Debütroman "Dunkle Stadt Bohane" erzählt Kevin Barry Legenden aus einer irischen Retro-Zukunft.

Ein gottverdammter Ort. Dunkel, dreckig, laut, gefährlich. Es riecht nach „Nesselsalbe, Hasch und Billigparfüm“, und rund um Smoketown, das Armenviertel der fiktiven Stadt Bohane am gleichnamigen Fluss an Irlands Westküste, erstreckt sich die „scheißgroße Nichtsöde“ einer Moor- und Felsenlandschaft. Die besten Zeiten von Bohane sind lange vorbei, auf den Straßen regieren rivalisierende Familienclans und kriminelle Banden.

Der 1969 in Limerick geborene Kevin Barry hat seinen Debütroman „Dunkle Stadt Bohane“ im Jahr 2053 angesiedelt. Trotz des exakten Datums aber bleibt er seltsam zeitlos. Während hochmoderne Trams die Autos als Verkehrsmittel abgelöst haben, entstammt die Kampfausrüstung der Banden mit ihren Dolchgürteln einer vergangenen Zeit. Es gibt keine Handys, keine Fernseher, kein Internet, stattdessen ausschließlich gedruckte Zeitungen, dazu viel Alkohol, Zigarillos und Kaffee. Geschichte verläuft hier nicht linear – „Retro-Zukunft“ nennt das der Autor im Nachwort.

Familienfehden um die Stadtdistrikte sind in Bohane eine „altehrwürdige Tradition“. In Smoketown und in der Back Trace Fancy regiert Logan Hartnett, der „Lange Lulatsch“ mit den „Filmstar-Wangenknochen“, auch genannt Albino oder Bino oder Mr Aitsch. Seine Gang sind die Fancy Boys, die mit „Klackerhacken“, ihren Röhrenhosen und allerlei exzentrischen Accessoires an Harlekins erinnern. Während sie über Mode tratschen und neue Frisuren ausprobieren, liegt eine trügerische Ruhe über der Stadt.

Es wird intrigiert, gemetzelt, geliebt und gehurt

Dann kehrt nach 25 Jahren Hartnetts Erzrivale heim: Gant Broderick, genannt „der Dschee“ oder „der Gant“. Einst war er der Geliebte von Immaculata, genannt Macu, Hartnetts Frau. Seit Langem unglücklich in ihrer Ehe, verlässt sie Hartnett, der wiederum im Gant den dafür Verantwortlichen vermutet. Revierkämpfe entbrennen, der Clan der Cusacks aus den Northside Rises mischt sich ein, und die Banden der Norrie Aggros überrennen die Hartnett Fancy.

Die wiederum erhält Unterstützung von Prinz Wampe und seinen Sand-Gitanos, brutalen Fantasiewesen aus den Dünen. Es geht drunter und drüber zwischen all diesen skurrilen Typen: Da sind der Fucker Burke, der Schlaks, die kleine, schlitzäugige Jenni Ching, Big Dom Gleeson, der schmalzärschige Zeitungsmann, oder Balthazar Mary Grimes, der bucklige Fotograf. Es wird intrigiert und gemetzelt, geliebt und gehurt, gekämpft und betrogen, was das Zeug hält.

Barry schreibt sich an James Joyce heran

Barrys Roman lebt von einer detailversessenen, schillernden Sprache und einem Erzähler, der über weite Strecken zurücktritt und es dem Leser überlässt, sich zwischen all den Figuren, Schauplätzen und Ereignissen zu orientieren. Barry schreibt sich hier erklärtermaßen an seinen großen Landsmann James Joyce heran. Auch Marcel Proust hat ihn inspiriert. Nur: „Nostalgie war auf der Halbinsel eine Verlockung mit vielen Haken.“ Barry nennt außerdem Anthony Burgess und Cormac McCarthy als Vorbilder. Er hat sich also viel vorgenommen. Doch er schlägt sich meisterhaft.

2013 wurde Kevin Barry, der bereits zwei Bände mit Kurzgeschichten vorgelegt hat, für seinen Roman mit dem hochdotierten International IMPAC Dublin Literary Award ausgezeichnet. Nicht minder preiswürdig ist die Leistung von Bernhard Robben, der diesen Roman ins Deutsche übertragen hat. Robben, der für seine Übersetzungen von Salman Rushdie, Ian McEwan, Peter Carey und John Burnside ausgezeichnet wurde, stellt der deutschen Übersetzung ein Nachwort zur Seite, in dem er die Schwierigkeiten mit dem stark von Dialekt durchsetzten Original erläutert.

Sprache mit starken Metaphern und drastischen Vergleichen

Buchcover zu "Dunkle Stadt Bohane".
Buchcover zu "Dunkle Stadt Bohane".

© promo / Verlag

Stück für Stück musste er sich Sinn und Bedeutung vieler Wörter und Formulierungen erschließen, um dann im „Auf- und Runterbrechen des Hochdeutschen“ und Verfremden eine adäquate Sprache zu finden. Für den Akzent der Bohaner Unterschicht – „flach und rau die Konsonanten, die Vokale ein würziger Singsang, manchmal mit vagem Anklang ans Karibische“ – findet Robben ein Kunstgemisch aus norddeutschen Anklängen und Verschleifungen von Wortsilben, dazu etwas Gangsterslang, ein wenig Jugendsprache und – passend zum eigenartigen Zeitgemisch aus Vergangenheit und Zukunft – einzelne altertümelnde Wörter wie „Brodem“ oder „Händel“.

Diese Sprache mit ihren starken Metaphern und drastischen Vergleichen, dieser barocke Überfluss an Sinneseindrücken verschlingen den Leser von der ersten Seite an. Wenn morgens in Bohane die Sonne aufgeht, heißt es: „Und die Luft war Meeresluft, nahrhaft und schwer, fast als könne man hinauflangen und sich eine Handvoll davon nehmen.“ So geht es einem mit diesem Roman: Man will mit beiden Händen hineinlangen und aus diesem nahrhaften und sinnlichen Sprachgemisch schöpfen.

Kevin Barry: Dunkle Stadt Bohane. Roman. Aus dem Englischen von Bernhard Robben. Tropen Verlag, Stuttgart 2015. 304 Seiten, 19,95 €.

Sabrina Wagner

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