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Kultur: Kichererbsen küsst man nicht

Kurze Bewertung vorweg: nett. Vielleicht sogar: sehr nett.

Kurze Bewertung vorweg: nett. Vielleicht sogar: sehr nett. Was uns die taiwanesische Regisseurin Sylvia Chang , in Deutschland vor allem als Darstellerin aus Ang Lees „Eat Drink Man Woman“ und François Girards „Die rote Violine“ bekannt, in ihrem Berlinale-Wettbewerbsbeitrag 20:30:40 präsentiert, wird einem auf jeden Fall kein Leids antun. Chang führt uns drei Handlungsstränge vor, die ineinander geflochten sind wie der Zopf eines taiwanesischen Schulmädchens. Diese sich leicht berührenden Episoden machen uns bekannt mit den emotionalen Aufwallungen vier ansehnlicher Damen, auf deren Alter der Filmtitel verweist.

Frauenproblem I: Zwei Mädchen Anfang zwanzig, deren charakterliches Profil mit den Worten Kichererbse und Gackerhuhn weitestgehend umrissen ist, wollen Popstars werden – ein Phänomen, das auch hierzulande nicht unbekannt sein soll. Xiao und Yi wohnen in einem Hotelzimmer in Taipeh und schlagen die Zeit tot mit überdrehten Streifzügen durch die Stadt. Die Karriere will nicht so richtig abheben. Deshalb kommen sich die beiden erotisch näher. Xiao und Yi stehen für den Übergang von jugendlicher Unschuld ins frustrierende Erwachsenendasein. Was uns auf geradem Weg zu Frauenproblem II führt: dem unerfüllten Liebesleben von Xiang, Anfang dreißig, Flugbegleiterin. Die Männer rennen ihr zwar buchstäblich die Türe ein. Allein: Xiang hat zu viele und, vor allem, die falschen davon. Was hilft, ist ein Konsumrausch zur Betäubung der Einsamkeit. Oder einfach der freundliche Mann aus der Nachbarschaft? Xiang personifiziert in dieser Geschichte den Wunsch nach dem Ende stürmisch-erotischer Dampferfahrten und dem Einlaufen in den Hafen der Familie. Welchen Lily, das Frauenproblem III, gerade verlässt. Sie wird von Sylvia Chang selbst gespielt. Lily ist eine vierzigjährige Floristin, die eines Tages entdeckt, dass ihr Mann sie seit Jahren hintergeht. Das ist nicht angenehm. Und weil danach auch nicht alles wie gewünscht mit dem Liebesleben klappt, kann es schon mal so weit kommen, dass sich Lily drei Kuchenstücke und eine Cola auf einmal reinstopft. Eat Drink Woman Without Man. Die Panik vor Tores Schluss bricht aus: Lily telefoniert allen Verflossenen hinterher. Sie chaotisiert. Einmal setzt sie sogar – suizidal? – die Rasierklinge an. Aber weil wir es hier nicht mit einem der im Wettbewerb weitverbreiteten „feel-bad movies“ zu tun haben, wird das Ende bestimmt auch für sie ganz happy.

„20:30:40“ ist ein braver, schön bunt in Szene gesetzter Film, dessen emotionales und intellektuelles Verstörungspotenzial ungefähr 20 (oder gar 30 bis 40?) Sekunden nachwirkt. Danach hat man ihn unaufgeregt im persönlichen Filmgedächtnis abgelegt. Heute 22.30 Uhr (Berlinale-Palast), morgen 9.30 Uhr und 21 Uhr (Royal Palast)

Julian Hanich

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