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Kultur: Kill Danshichi

Kabuki im Berliner Haus der Kulturen der Welt

Das japanische Kabuki-Theater entstand am Anfang des 17. Jahrhunderts, zur selben Zeit wie die europäische Oper. Es besteht aus Gesang, Tanz und Drama und wird ausschließlich von Männern gespielt, obwohl der Tempeltanz, aus dem es sich entwickelte, reine Frauensache war. Aber da Okuni Odori zunehmend von Prostituierten aufgeführt wurde, gab es bald ein Gesetz, das alle Frauen von der Bühne verbannte. Ihre Rollen wurden von jungen Männern übernommen, und so ist es geblieben.

Heute scheint das Kabuki-Theater mit seiner stilisierten Künstlichkeit und strengen Formensprache, mit der Pracht seiner Kostüme und der raffiniert-eleganten Ästhetik im Westen populärer zu sein als in Japan, wo es oft als altmodisch und starr empfunden wird und als „etwas für Touristen“. Es stimmt ja: So wie japanische Touristen gern in Wien, Mailand oder Berlin in die Oper gehen, so gehört ein Besuch im Kabukiza zum gehobenen Touristenprogramm in Tokio. Aber natürlich ist Kabuki, ebenso wie Mozart oder Verdi, sehr viel komplizierter als der fremde Blick ahnt. Sein Repertoire ist sehr traditionell, der Aufführungsstil über Generationen unverändert – das ist bei der Oper bekanntlich anders – , es gibt keine „Regieberserker“, weil es normalerweise gar keine Regisseure gibt: die Darstellungstradition vererbt sich in den großen Kabuki-Familien vom Vater auf die Söhne.

Nakamura Kanzaburo, dessen Theater derzeit im Berliner Haus der Kulturen der Welt gastiert, ist der XVIII. seines Namens, und er versteht sich als Reformer. Er will Kabuki wieder zu dem machen, was es eigentlich ist: ein Volkstheater für alle, also spielt er im Zelt, setzt auf Showeffekte und Unterhaltung, modernisiert und vereinfacht. Was er zeigt, ist eine Art Kabuki light. Gut gemacht, effektvoll und rasant gespielt – und weit entfernt von der wagemutigen Balance aus Künstlichkeit und Rätsel, Form und Gefühl, herzzerreißender Schönheit und Brutalität, die Kabuki-Fans aus Old Europe oder New Japan zum Schmelzen bringt.

Das Stück heißt „Sommerfest: Ein Spiegel von Osaka“ (Natsu Matsuri Naniwa Kagami), ein Klassiker aus dem 18. Jahrhundert, ursprünglich fürs Bunraku-Puppentheater geschrieben. Die Handlung ist verzweigt und kompliziert, es geht, wie überall, um Ehre, Freundschaft und Liebe, um Verrat und Rache: viele Personen und Handlungsstränge, hier vermutlich gestrafft, denn drei Stunden Spieldauer sind eher kurz für diese Theaterform. Die Hauptperson ist Danshichi, gespielt vom berühmten Nakamura Kanzaburo, der wegen eines Kampfes im Gefängnis saß und begnadigt wurde. Sein alter Freund Sabu schickt ihn zum Rasieren und gibt ihm neue Kleider und seinen eigenen, knallroten Lendenschurz. Danshichi schließt Freundschaft mit dem Bettler Tokubei, der eigentlich ein verlorener Sohn aus besserem Hause ist, indem sie einander einen Ärmel ihrer Kimonos schenken. Derweil versucht seine Frau Okaji, ihren Sohn aus erster Ehe Isonoji und seine Geliebte Kotura vor den Nachstellungen des bösen Sagaemon zu verstecken ...

Soweit die Ausgangslage, die klar macht, dass auch kleine Leute zu großen Taten fähig sind; Kabuki ist als Gegenstück zum aristokratischen No-Theater entstanden. Danshichi muss die schwierige Situation in Ordnung bringen, was ihm nach allerlei Irrungen, Wirrungen, die hier nicht verraten werden sollen, schließlich gelingt. Aber um welchen Preis. In einer breit ausgespielten Kampfszene tötet er seinen Schwiegervater, wofür ihm die Todesstrafe droht. Das Duell der beiden Männer wird mit stilisierten Kampfposen dargestellt, aber auch mit einer sehr naturalistischen Schlammschlacht, für die den Zuschauern der vorderen Reihen Plastikmänteln zur Verfügung gestellt wurden. Der artistische Kampf, von rasenden Trommeln und wild geschlagenen Ki-Stöcken akustisch begleitet, verharrt der Tradition gemäß immer wieder in tableaux vivants, der „Hausname“ (Yago) der Darsteller wird gerufen – in Japan vom Publikum, hier von Kollegen – es sind sehr wirkungsbewusste und sehr eindrucksvolle Szenen.

Weil seine Sandale am Tatort zurückgeblieben ist, wird Danshichi des Mordes angeklagt und von den Häschern gejagt, was zu spektakulären Kampf- und Verfolgungsszenen quer über die Bühne und durch den Zuschauerraum führt. Tarantinos „Kill Bill“ hat hier seinen eigentlichen Ursprung. Allein schon für dieses Finale lohnt der Besuch. Am Schluss kommt Freund Tokubei zu Hilfe. Er gibt vor, Danshichi zu verhaften, ermöglicht ihm aber in Wahrheit die Flucht. Ende. Jubel.

Kabuki-Gastspiele sind ungeheuer aufwändig und daher äußerst rar, dieses hier hat über 100 Menschen und mehrere Schiffsladungen Material erfordert. Ins HKW wurde eine japanische Bühne nebst Hanamichi-Stegen eingebaut, was dem so hässlich-kalten großen Saal sehr gut bekommt. Für Kabuki-Anfänger ist es unbedingt sehenswert, gibt es doch einen Eindruck von einer der großen Theaterformen der Welt, an der sich von Brecht bis Mnouchkine viele berühmte Theaterleute inspirierten. Für Kabuki-Kenner ist es interessant, die Pop-Version mit der klassischen zu vergleichen.

Nakamura Kanzaburo und Regisseur Kazuyoshi Kushida haben es mit ihren Modernisierungen geschafft, das Volkstheater dem Volk zurückzugeben.Trotzdem bleibt ein Unbehagen. Man muss kein puristischer Snob sein, um eine Tradition gegen ihre Kommerzialisierung zu verteidigen. Es ist ein bisschen, wie wenn man Callas und Netrebko vergleicht oder Puchers „Sturm“ mit, beispielsweise, dem von Grüber. Wer je „Kagotsurube“ mit Tamasuro und Koshiro gesehen hat, braucht kein Entertainment. Denn die Sinnlichkeit und Spannung von Kabuki kann auch ganz anders funktionieren: mit radikalem Minimalismus, angehaltenem Atem und zerbrechlicher Zartheit.

Haus der Kulturen der Welt, bis 21. 5.

Renate Klett

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