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Kultur: Kinder der Revolution

Das Verbot der Tageszeitung "Salam" war für Teherans Studenten und Teile der Bevölkerung nur ein Anlaß: der letzte Tropfen, der das Faß der Unzufriedenheit zum Überlaufen brachte. Die Liste der verbotenen Zeitungen ist ohnehin lang.

Das Verbot der Tageszeitung "Salam" war für Teherans Studenten und Teile der Bevölkerung nur ein Anlaß: der letzte Tropfen, der das Faß der Unzufriedenheit zum Überlaufen brachte. Die Liste der verbotenen Zeitungen ist ohnehin lang. Und länger noch die Liste von Namensänderungen der Zeitung "Jamee", die von dem einst überzeugten Revolutionsanhänger Mashallah Shamsolwaeezin herausgegeben wurde: "Tus", "Khordad" - einige Titel sind bereits vergessen, weil die Zeitung nur wenige Tage oder Wochen erscheinen konnte. Zuletzt hieß das vom "Jamee"-Gründer herausgegebene Blatt "Neshat", übersetzt bedeutet dies: "Freude". Seit den Studentenunruhen trägt es jeder, der es doch noch am Kiosk vorfindet, eilig nach Hause.Die jüngste Entwicklung, die westliche Beobachter schon mit einer neuen "Kulturrevolution" vergleichen, ist nun weder zufällig noch geplant. Der religiösen Führung des Iran war es lange gelungen, die wachsende Unzufriedenheit im Schach zu halten. Kritiker wurden "erfolgreich" eingeschüchtert. Andere, die den Mund nicht halten wollten, sind tot oder im Exil. Wer geblieben ist, mußte sich an die islamischen Spielregeln halten. Das Damoklesschwert schwebte ständig über allen Köpfen. Bei geringsten Abweichungen von den vorgeschriebenen Regeln drohten Verhaftung und Hinrichtung - oder der Exitus durch "Herzinfarkt", das heißt man wurde durch Handlanger und Agenten des Geheimdienstes "unschädlich" gemacht.Die Wahl des reformorientierten Pragmatikers Chatami zum Präsidenten 1997 aber kam nicht so überraschend, wie es dem Ausland schien. Der Wechsel war von langer Hand vorbereitet durch den Ex-Präsidenten Rafsanjani, der seine Einflußmöglichkeiten erweitern wollte. Er und eine Schar Technokraten versuchten, das Land zu öffnen, die islamischen Regeln, soweit sie ausländischen Investitionen im Wege standen, auszuhöhlen, staatliche Zuschüsse zugunsten der durch die Revolution und den Krieg mit dem Irak verarmten Bevölkerungsschichten einzuschränken, Investitionen zu fördern und den eigenen Clan mit Macht und Geld an die Spitze der staatseigenen Institutionen und Wohlfahrtsverbände zu bringen. Als Rafsanjani 1989 Staatspräsident geworden war, klang die Kriegsstimmung ab, die ideologische Schlammschlacht, die von Ayatollah Khomeini und anderen gegen die eigene Bevölkerung und die Welt geführt wurde, ließ nun nach, die Printmedien nutzten ihren leicht erweiterten Spielraum.Rafsanjani konnte in zwei aufeinander folgenden Wahlperioden seine weiterführenden Pläne nicht verwirklichen. Eigentlich wollte er den Einfluß der religiösen Führer wesentlich beschneiden und selbst mehr Einflußmöglichkeiten gewinnen, doch reichte seine Macht nicht einmal aus, die nötige Verfassungsänderung für seine Wiederwahl durchzubringen. Die Ayatollahs, die Rafsanjanis Aufstieg als Bedrohung empfanden, und die islamische linke Fraktion, die seine Wachstumspolitik zu Lasten der ärmsten Bevölkerungsschichten kritisierten, sorgten für seinen Abgang. Der Staatsterrorismus, die Krise durch den "Mykonos"-Prozeß in Berlin und um seinen Informationsminister Fallahian brachten ihn zum Fall.Das "Mykonos"-Urteil schließlich ließ den Machthabern keine andere Wahl, als frischen Wind wehen zu lassen. Der Wind wehte nicht zufällig, er war von Rafsanjani, wahrscheinlich gegen Ayatollah Khameneis Willen, angefacht worden. Tatsächlich wehte auch kein gänzlich neuer Wind, nur eine Brise. Niemand, am wenigsten Rafsanjani, konnte ahnen, daß sie je einen Wirbelsturm auslösen würde. Doch den jahrelang Unterdrückten genügte die geringste Klimaveränderung, um in einer Brise zu tanzen.Was die Journalisten und Politiker der alten Garde betraf: Von ihnen vermochte kaum einer das Handgelenk zu bewegen, geschweige denn zu tanzen. Nur kritische, künstlerische Autoren wie Hushang Golshiri, waren in der Lage, zwanzig Jahre lang mit Gleichgesinnten den "Winterschlaf" zu überdauern. Während der vergangenen zwei Jahrzehnte durften solche Wort-, Lebens- und Überlebenskünstler manchmal auf den großen Bühnen der Welt erscheinen, konnten lesen und erzählen, auf Persisch, Englisch, Deutsch und Französisch veröffentlichen, Preise gewinnen. Im eigenen Land aber wurden sie totgeschwiegen, in den Medien tauchten sie allenfalls als Spione auf, oder wurden wie Hushang Golshiri, nachdem sie den Erich-Maria-Remarque-Preis empfangen hatte, bei der Rückkehr in ihr Heimatland mit dem zweifelhaften Ruf "Heil Golshiri!" begrüßt.Die heute als aktive, selbstbewußte Kritiker des Regimes innerhalb der Landesgrenzen auftreten, sind meist "Kinder der Revolution". Als Jugendliche waren sie überzeugte Anhänger des Gottesstaates, die sich längst um ihre Ideale betrogen fühlen. Freilich haben sie die Möglichkeiten, die ihnen ihre Väter schufen, - die Mütter waren ja an der Macht nie beteiligt - sehr wohl genützt. Sie sind zum Teil Kinder der "Märtyrer", die freiwillig in den Krieg gegen den Irak gezogen waren, oder derjenigen, die sich durch besondere Dienste dem "Gottesstaat" empfohlen haben.Den treuen Dienern des Staates und ihren Kindern wurden Plätze an den Universitäten reserviert, die sonst nur, über einen Eignungstest, den Abiturienten mit Spitzenleistung vorbehalten waren. Wer begabt ist und nicht durch vorgegebenen Quotenregelung an die Universitäten kommt, muß im Anschluß an der Eignungsprüfung für staatliche Universitäten auch eine Ideologieprüfung absolvieren. Darüber hinaus wird in den Moscheen des Stadtteils, wo die zukünftigen Studenten wohnen - oder bei Nachbarn - nachgefragt, ob die Kandidaten regelmäßig ihren religiösen Pflichten nachgehen, ob sie sich einen Bart wachsen lassen, ob sie heimlich trinken, oder mit fremden Frauen sprechen. Manche der nach diesen Kriterien ausgewählte Studenten haben den Einfluß ihrer Väter und die Möglichkeiten der islamischen Revolution für die eigene Bildung und den eigenen Aufstieg genützt, ohne sich dabei die Hände schmutzig zu machen. Sie kritisieren nun zunehmend ihre Väter, Onkel und Vettern, die einstigen Vorbilder: weil freies, rational gebildetes Denken sich mit strenger Hierarchie und absoluter Unterwerfung des Einzelnen im Gottesstaat nicht vereinbaren läßt. Sie haben zudem erkannt, mit welchen Repressionen und Foltermethoden die Massen in Schach gehalten wurden. Und die Männer mit den schmutzigen Händen sind ihre Väter.Vor einem Jahr ist der Sohn des obersten Befehlshabers der Revolutionsgarde zum "Erzfeind" in die USA übergelaufen, und hat um politisches Asyl gebeten. Die Intrigen der Machthaber und das Unrecht, das im Namen des Islams geschah, hat er dort angeprangert. Hinzu kommt in einem Land, in dem die Hälfte der Bevölkerung unter 18 ist, der gewöhnliche Generationenkonflikt.Zwei Beispiele: Der 39jährige Studentenführer Tabarzadi und der Ex-Student und einstige Besetzer der amerikanischen Botschaft Abdi, heute Chefredakteur der verbotenen Zeitung "Salam" - sie wollen jetzt die Ideen ihre eigenen Generation verwirklichen. Die jungen Menschen möchten den Gotteststaat entweder abschaffen oder seine Werte freiheitlicher definieren.Die Studenten sind zwischen den Fronten. Sie versuchen auch, zwischen den streitenden Gruppen, zwischen den Machthabern und den Unzufriedenen, die es nicht wagen, ihren Protest offen auszusprechen, zu vermitteln. Und sie können eine Brücke schlagen: zwischen den Exil-Iraner(innen) - Fachleuten und Experten, dem größten Kapital des Landes, die vor der Brutalität des Regimes geflüchtet sind und heute keine Verständigung mit den Mördern ihrer Männer und Frauen und Väter und Mütter suchen - und den neuen Machthabern.Wenn die Revolte nicht aus dem Ruder gerät, nicht abflaut oder niedergemetzelt wird, auch nicht von bestimmten radikalen Gruppen zum Aufstand einer elitären Kampfgruppe vorkommt, ist die historische Chance gegeben, die religiöse Herrschaft gewaltlos zu beseitigen. Durch die Wahl Chatamis hat das iranische Volk zum ersten Mal die Gelegenheit erhalten, legal, ohne gleich den Kopf zu riskieren, dem obersten religiösen Führer offen zu widersprechen. Nun haben die Massen eine zweite Chance, durch ihre ausdauernden friedlichen Protestmärsche am Stuhl des "Führers" zu sägen. Wenn Ayatollah Khamanei nachgibt, sind seine Tage gezählt; wenn er Widerstand leistet und den Protesten durch Provokateure Öl in die Flamme gießt, wird eine gewaltsame Auseinandersetzung nicht mehr zu verhindern sein.

Die Autorin lebt als Publizistin und Übersetzerin in Berlin, arbeitet für die persischen Sendungen von Radio Multi-Kulti sowie an der Kunsthochschule Weißensee.

NASRIN BASSIRI

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