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Die wundervoll poetisch-realistische Spracxhe zeichnet dieses Märchen aus.

© Illustration: Joelle Tourlonias

Kinderbuch: Das Kreuz mit dem Schmer

Gottfried Kellers Märchen „Spiegel, das Kätzchen“

Natürlich bedarf es zunächst einer Erklärung, was „Schmer“ eigentlich ist. Was es bedeutet, wenn Gottfried Keller in seinem 1856 veröffentlichten Märchen „Spiegel, das Kätzchen“ anhebt mit dem Satz: „Er hat der Katze den Schmer abgekauft“. Mit „Schmer“ ist hier das Fett der Katze gemeint. Ein anderer Begriff dafür ist Schmalz, was in der Regel aus dem Fett von Schweinen und Gänsen gewonnen wird. Im Fall von Kellers Märchen bedeutet der Satz mit dem Schmer – so erklärt Keller es am Anfang – dass damit jemand „einen schlechten Handel“ gemacht habe. Genau darum geht es in „Spiegel, das Kätzchen“: um einen verunglückten „Deal“, wie man heute sagen würde, eigentlich um mehrere. [Gottfried Keller: Spiegel, das Kätzchen. Ein Märchen illustriert von Joelle Tourlonias. Insel, Berlin 2020. 70 Seiten. 16€. Ab zwölf Jahren].

Denn als erste Figur begibt sich Spiegel, eben jenes Kätzchen, das sich als ein ziemlich schlauer Kater entpuppt, in eine Situation, aus der ein Entkommen praktisch unmöglich ist. Als sein Frauchen stirbt, magert Spiegel ab und sieht bald heruntergekommen aus. Dann aber erhält er das Angebot des Stadthexenmeisters Pineiß, von diesem mit allerlei Leckereien gemästet zu werden – um im Gegenzug seinen Schmer herzugeben. Der Handel also lautet: ein paar Monate Leben in Saus und Braus gegen den Tod. Spiegel lässt sich darauf ein. Doch schon bald, mit glänzendem Fell und Fett auf den Rippen, sinniert er darüber, wie er aus dem lebensgefährlichen Schlamassel herauskommt. Das Sinnieren gehört zu seiner DNA, mehrmals weist Keller darauf hin, dass Spiegel ein Kater voller Vernunft und Philosophie ist. Die Märchennovelle „Spiegel, das Kätzchen“, die den Abschluss des ersten Bandes von Kellers „Die Leute von Seldwyla“ bildet (in diesem findet sich auch „Romeo und Julia auf dem Dorfe“) entstand nicht zuletzt unter dem Eindruck von Kellers Begegnung mit und der Begeisterung für den Aufklärer und Philosophen Ludwig Feuerbach.

Der aufgeklärte Kater und der Hexenmeister

So stehen sich hier der aufgeklärte Kater und ein Hexenmeister gegenüber, die Vernunft und das Irrationale, eingebettet in eine feine, streng der Novellenform gehorchende Groteske. Wie sagt es gegen Ende eine Eule (wer sonst?) zu Kellers Kater: „Spiegel, Ihr braucht Euch nur zu nähern, so weckt Ihr mir ersprießliche Gedanken.“

Spiegel also, erzählt Pineiß lange und ausführlich und wie einst die jungen Leute in Boccaccios „Decamerone“ über den Florentiner Hügeln von der Frau, bei der er gelebt hat: von deren Liebesgeschichten, deren missglückten Liebeshändeln und von einem Schatz, der noch immer auf dem Grund eines Brunnens im Garten ihres Hauses liegt und darauf wartet, gehoben zu werden.

Allerdings unter einer Bedingung: Pineiß muss eine Frau lieben und diese heiraten. Liebe und Geld gegen Freiheit, lautet wiederum dieser Handel, auf den nun Pineiß sich einlässt und der ihm nicht gut bekommt. Spiegel hat nämlich „schon eine Person im Auge, welche er dem törichten Hexenmeister aufzuhalsen gedachte, für seine gebratenen Krammetsvögel, Mäuse und Würstchen.“

Schön an diesem Märchen ist nicht nur seine wundervolle poetisch-realistische Sprache, sondern auch, dass es sich losgelöst von Kellers Seldwyla-Novellenzyklus mit seinen zehn „Lebensbildern“ lesen lässt. Wie Spiegel und die Eule am Ende ihr Schnepfengarn zu spinnen wissen, in dem sich Pineiß so herrlich und ohne den Hauch einer Chance verheddert, ist eine Märchen- und Erzählklasse für sich. Nichts brisanter als das Schmer einer Katze. Zum Verzehr und zur Hexerei taugt es sicher nicht.

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