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Hereinspaziert. Schabalu, ein Clown mit Kugelbauch, ist ein großer Verführer.

© Abbildung: Daniel Napp

Kinderbuch: Die Welt hinter der Welt

Willkommen im Wunderland: Oliver Scherz macht in seinem Roman um den Clown Schabalu drei Geschwister zu Entdeckern.

Zu den geheimnisvollsten Orten, die man sich vorstellen kann, gehören stillgelegte Freizeitparks. Riesenräder, Achterbahnen und Karusselle, auf denen sich einmal zahlende Besucher amüsierten, verwandeln sich, sobald sich niemand mehr um sie kümmert, in sinnlos verrostende Skulpturen. Vergnügungsanlagen wie der Spreepark im Berliner Plänterwald, der vor fünfzehn Jahren Konkurs anmelden musste, verrotten majestätisch und entwickeln dabei eine seltsam surreale Schönheit. Was als Geschäftsidee begann, endet als Traumkulisse.

So ist es auch mit dem Vergnügungspark, den die drei Geschwister Jonathan, Kaja und Mo in Oliver Scherz’ Buch „Wenn der geheime Park erwacht, nehmt euch vor Schabalu in Acht“ entdecken. Wobei der Traum ziemlich schnell zum Albtraum wird. Die „Betreten verboten“-Schilder, die an einem rostigen Zaun hängen, schrecken sie nicht ab, im Gegenteil. Sie klettern drüber und stoßen gleich auf einen Dinosaurier, der in zwei Teile zerbrochen am Boden liegt. Er ist hohl, in seinem Bauch wachsen Blumen und Gras.

„Der ganze Park lag da wie in einem tiefen Schlaf“, heißt es staunend. „Ein Karussell stand in wucherndem Unkraut. Mitten im Wald führten die Schienen einer Achterbahn durch ein aufgerissenes Tigermaul in einen dunklen Tunnel hinein.“

Ein Wegweiser zeigt noch immer die Route zu den Attraktionen, die der Freizeitpark einmal zu bieten hatte: Märchenschloss, Riesenland, Dinosaurierwelt, Piratensee und Westernstadt. Der Saloon, der an der Goldgräberstraße in der Westernstadt steht, wirkt mit seinen Schwingtüren, der Wassertränke für Pferde vor der Tür und den Büffelfellen an der Wand überaus authentisch. Dort erleben die drei Kinder ihre erste Begegnung der unheimlichen Art.

Drei Freunde auf Entdeckungstour.
Drei Freunde auf Entdeckungstour.

© Abbildung: Daniel Napp

„Geht nach Hause! Dieser Ort ist für euch verboten!“, sagt ein Cowboy, der am Stern an seiner Brust als örtlicher Sheriff zu erkennen ist. Der hagere, schlecht gelaunte Revolverheld erinnert an Gary Cooper im Film „Zwölf Uhr mittags“. Wie in „Alice im Wunderland“ gibt es auch in dem von Daniel Napp trefflich illustrierten „Schabalu“-Buch hinter der wirklichen Wirklichkeit noch eine zweite, fantastischere Wirklichkeit.

Alice betritt das Wunderland durch einen Kaninchenbau. In der Geschichte über den wunderlichen Vergnügungspark fungiert der Saloon als Tür in eine andere Welt. „Hinter dem Saloon erstreckte sich eine Prärie!“, wundern sich Jonathan, Kaja und Mo. „Auf vertrockneten Bäumen saßen Geier. Und weit hinten ritt tatsächlich der Sheriff auf seinem Pferd!“

Was ist stärker, die Realität oder die Fiktion? Das ist, wie schon bei „Alice im Wunderland“, die Frage, um die es im „Schabalu“-Buch geht. Die Antwort lautet: Die Realität mag wirklicher sein, aber spannender ist die Fiktion. Jonathan, Kaja und Mo reiten durch die Prärie, stoßen auf Indianer, die nach Gold graben, das aber eher wie Würfelzucker aussieht, durchstreifen das Riesenland, in dem Zwerge für Riesen Zuckerwatte machen, und schiffen sich als Piraten auf ein Schloss ein, das dem großen Schabalu gehört. Echt, das begreifen die Kinder bald, ist in diesem Abenteuerreich gar nichts.

"In den Katakomben gibt es Zuckerbomben"

Der Sheriff bewegt sich hölzern, weil er aus Holz geschnitzt ist, und wenn die Dinosaurier den Horizont einrennen, zeigt sich, dass es sich dabei bloß um eine Kulissenwand handelt. „Was wollt ihr machen, was für unmögliche Sachen?“, fragt Schabalu, der im Schloss eine endlose Geburtstagsfeier feiert. „In den Katakomben gibt es Zuckerbomben“, singt er. „Schwarze Gummiteufel, weißes Gold. Und mit den Kanonen schieß ich süße Explosionen in den Sternenhimmel, wenn ihr wollt!“

Schabalu, ein Clown mit Kugelbauch, ist ein großer Verführer. Er überschüttet die Kinder mit Geschenken, lässt Süßigkeiten auf sie herabregnen und fährt mit ihnen Karussell, bis ihnen schwindlig wird. Seine Standardfrage lautet: „Und jetzt? Was wollt ihr jetzt?“ Einen besseren Freund können sich Jonathan, Kaja und Mo kaum vorstellen. Wirklich nicht? Der Horrorclown entpuppt sich als Bedrohung. Aber die Kinder sind nicht so dumm, ihm in die Falle zu gehen.

Oliver Scherz: Wenn der geheime Park erwacht, nehmt euch vor Schabalu in Acht. Mit Bildern von Daniel Napp. Thienemann Verlag, Stuttgart 2016. 139 Seiten, 12,90 €. Ab 6 Jahren.

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