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Neues von der legendären Kurzhosengang.

© cbj

Kinderbuch: Ein Licht am Brennen halten

Zoran Drvenkar lässt seine Kurzhosengang durch Zeiten und russische Räume reisen

Als die Kurzhosengang erstmals wieder auf den Buchmarkt zurückkehrte, 2006 war das, sagte einer der vier elfjährigen Jungs: „Ich wünsche mir, dass die Kurzhosengang für immer zusammenbleibt.“ Wie es scheint, ist dieser Wunsch in Erfüllung gegangen. Zoran Drvenkar hat gerade zusammen mit seinen fiktiven Ghostwritern Victor Caspak und Yves Lanois eine vierte Kurzhosengang-Geschichte geschrieben: „Das Testament der Brüder“. Und darin kann man Rudolpho, Snickers, Island und Zement auch als Hundertjährige, genauer: 101-Jährige erleben, wie sie mit Rauschebärten, Brillen und Pferdeschwänzen nebeneinander auf dem Sofa sitzen, vor sich Bitter Lemon, Chips und Popcorn, und einen Horrorfilm schauen.

Das machen sie nämlich am liebsten, natürlich erst recht als Elfjährige, die sie seit dem ersten Kurzhosengang-Band durchgängig sind. In jedem Fall lieber als immer wieder neue haarsträubende, unglaubliche Abenteuer zu erleben, in die geraten sie ja unfreiwillig. So wie auch dieses Mal, da sich die Jungs nach einer Beerdigung im Rathaus ihrer kleinen kanadischen Heimatstadt Okkerville einfinden müssen. Der Grund: die Eröffnung jenes titelgebenden Testaments der Brüder, das der Zwillingsbrüder Alexei und Iwan Karamasow. Die hatten das Kino Okkervilles betrieben, in dem die Kurzhosengang Stammgast war, das aber kurz nach Karamasows Tod abgebrannt ist. Nur was steht in dem Testament? Was ist das Erbe? „Es wird euch eine Menge Mut abverlangen“, heißt es darin, „denn ein Erbe ist mehr als nur ein Geschenk von jemandem, der nicht mehr lebt. Ein Erbe ist die Bitte, ein Licht am Brennen zu halten.“

Das klingt schön, poetisch – und kryptisch. Bis auf Zement, der wegen seiner Fähigkeit, mit Geistern kommunizieren zu können (also auch denen der Karamasows), stets mehr weiß, ist die Kurzhosengang ratlos und baff, so gern sie die Alten mochte. Was soll das jetzt alles? Und das fragt man sich auch beim Lesen. Denn es geht schon zu Beginn wild und sympathisch durcheinander, durch Zeiten und Räume und diese Geschichte.

Okkerville wird mal kurz hypnotisiert, die Jungs von einem seltsamen Grafen entführt, nach Russland, in die Heimat der Brüder. Sie landen auf einem See mit einer Plattform in der Mitte, auf der ein zweistöckiges Blockhaus mit einer überdachten Veranda steht, „das bestgehütete Geheimnis in ganz Russland“, und das hat wiederum eine Menge zu tun mit der Geburt der Karamasows im Jahr 1902.

Temporeich, schnörkellos, mit Sinn für Witz, Gefühl und Melancholie

Zoran Drvenkar, der 1967 in Kroatien geboren wurde und in Berlin lebt, erzählt das alles in der ihm eigenen, der Kurzhosengang gemäßen Weise: temporeich, schnörkellos, mit Sinn für Witz, Gefühl und Melancholie. Formal hat er die bekannten Schlenker eingebaut: mit den beiden kanadischen Schriftstellern Caspak und Lanois als Scharnier und Rechercheure (was überflüssig ist, aber trotzdem Spaß macht), mit den Jungs als sich abwechselnden Erzählern. Und auch mit der einen oder anderen Figur, die ebenfalls ihre Version der Ereignisse zum Besten geben darf. Zum Beispiel einem der Paulis, der fies-bösen Okkerviller Gegenspieler der Kurzhosengang. Oder dem britischen Schriftsteller H. G. Wells, der mit seinem Roman „Die Zeitmaschine“ bekannt wurde – weshalb er als literarisches Zitat durch Drvenkars Roman sprichwörtlich geistert.

Denn was macht die Kurzhosengang hier vor allem? Reisen in die Zeit, zumeist in die Vergangenheit, aber auch deren zwei in die Zukunft. Wells erzählt, nachdem er zumindest Zement schon in einem Tunnel unter dem Blockhaus begegnet ist, wie ein gewisser Lothar, Zements Geist!, ihn um Hilfe gebeten habe, da wären nämlich „zwei kanadische Schriftsteller, die über das russische Abenteuer der Kurzhosengang schreiben würden und dabei ein paar Probleme mit den Zusammenhängen hätten.“

Ja, das versteht sich bei dieser turbulenten, fein erzählten Geschichte, die sich vom Ende des 19. bis ins späte 21. Jahrhundert spannt, bei der der reale Absturz eines Asteroiden 1908 eine Rolle spielt, in der Rudolpho doch noch einmal seine Mutter trifft und..., nein, das will alles nicht nacherzählt, sondern selbst gelesen werden. Und gehört, nach dem Erscheinen des ersten, 2005 mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichneten Kurzhosengang-Bandes, weiterhin zum Besten, was es in der Jugendliteratur gibt.

Zoran Drvenkar: Die Kurzhosengang & Das Testament der Brüder. Roman. cbj-Random House, München 2018. 278 Seiten. 15 €. Ab zehn Jahren.

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