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Enno ist wirklich anders.

© Urachhaus

Kinderbuch über einen Außenseiter: Einatmen, ausatmen - jedes Kind hat seine Begabung

Auch ohne Gymnasialempfehlung geht das Leben weiter: das Mutmachbuch „Enno Anders“ von Astrid Frank

Enno ist anders. Deshalb heißt er auch so. Enno Anders, 11, kann sich nicht gut konzentrieren, seine Bewegungen wirken ungelenk und eckig, und schnell ist er auch nicht gerade. Statt wie die meisten anderen Kinder seines Alters in der fünften oder sechsten Klasse zu sein, hat er es nur bis in die vierte geschafft. Olsen, sein bester und einziger Freund, sitzt sogar schon in der siebten. Aber der ist auch superschlau.

Enno Anders ist ein Außenseiter, aber das ist er auch gerne. Außenseiter denken nämlich viel nach. „Ich gehöre einfach zu einer anderen Spezies“, überlegt er sich. „Ich bin vielleicht gar kein Mensch. Immerhin ist die Erde für viele andere Lebewesen ein ganz anderer Ort als für Menschen. Wie wäre es denn zum Beispiel, ein ganz besonderes Tier zu sein, ein Blauwal, der im Meer schwimmt. Oder ein Vogel, der durch die Lüfte fliegen kann. Oder ein ganz kleines Tier, eine Ameise. Wie fühlt sich wohl eine Ameise?“

Enno, so viel ist klar, mag Defizite haben. Doch er verfügt über Empathie, also die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen und seien sie insektenklein. Und Fantasie besitzt er sogar im Überfluss.

„Enno Anders“ von der Kölner Autorin Astrid Frank ist das, was man früher vielleicht ein Mutmachbuch genannt hätte. Es will Mut machen, denn Kinder wie Enno sind eine Bereicherung. Weil sie anders auf die Welt schauen, weil ihre Intelligenz anders funktioniert. Jedes Kind, postuliert dieses Buch, hat seine eigene Begabung. Man muss sie nur finden. Allerdings wird Enno in einer Umgebung groß, die sich nicht übermäßig für seine Fähigkeiten interessiert.

Oft meint Mutter das Gegenteil von dem, was sie sagt

Wenn die Mutter sagt: „Das hast du schön gemacht“, dann meint sie meistens das genaue Gegenteil. Etwa, als der Sohn an einem Sonntagmorgen den Tisch deckt, dafür den ganzen Kühlschrank ausräumt, aber Teller und Besteck vergisst. „Schön gemacht“, bekundet die Mutter, denkt aber, dass sie alles wieder in den Kühlschrank räumen muss. Sie ist dauerverspannt und sieht nicht so aus, „als fände sie irgendetwas auch nur ansatzweise lustig“. Ein No-Joke-Gesicht besitzt auch Frau Wolf, die Lehrerin. Wenn sie Enno anspricht, dann meist, um zu fragen: „Träumst du?“.

Es gibt ein Wort, das bei Schülern und Eltern zu sofortigen Panikattacken führt, es lautet: „Gymnasialempfehlung“. Eine solche kann Frau Wolf für Enno nicht aussprechen, dafür macht er zu viele Fehler, dafür ist er zu verträumt. Erst hängt die Verweigerung der Gymnasialempfehlung wie ein Richtschwert über Enno. Dann fällt das Richtschwert, und der Zirkus beginnt richtig, ein Gerenne von Lehrergesprächen zu Medizinuntersuchungen zu Beratungsstellen zu Therapiestunden, inklusive der Audienzen bei Doktor Müller, der Enno seine Lebenssituation mit Puppen nachstellen lässt.

Das Leben, so lautet die frohe Botschaft von „Enno Anders“, geht auch ohne Gymnasialempfehlung weiter. Und nicht unbedingt schlechter. Zwei Sachen helfen Enno beim Weitermachen. Da sind die Aufzeichnungen, die er über Mamojusave beginnt, seinen wahren Heimatplaneten, wo „alles grün ist und die Blumen leuchten in den verrücktesten Farben“. Und da ist Olsen, sein Freund. Olsen kann rechnen, aber nicht träumen. Olsen ist HB, hochbegabt, und Enno leider VUB, vollkommen unbegabt. Ihre Freundschaft erinnert an Rico und Oskar, die Helden der Romane von Andreas Steinhöfel. Da ist Rico, eine geniale Wortschöpfung, tieferbegabt, „Enno Anders“ hat nicht dieselbe Drastik und den Drive, es geht nicht um Melodramatik. Aber man kann sich vorstellen, dass Enno sich anfreunden würde mit Oskar und Rico.

Astrid Frank: Enno Anders. Löwenzahn im Asphalt. Mit Illustrationen von Regina Kehn. Urachhaus, Stuttgart 2017. 160 Seiten, 14,90 Euro. Ab zehn Jahren.

Weitere Rezensionen finden Sie auf unserer Themenseite.

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