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Eine folgenschwere Einladung.

© Illustration: Helen Cooper

Kinderbuch von Helen Cooper: Unverzichtbare Schätze

Helen Coopers schön wundersamer Roman „Das Museum der sprechenden Tiere“.

Keine Frage: Die großen Museen werden von Jahr zu Jahr voller. Die Museumskultur ist ein Boom-Business, gerade auf der Ebene der Blockbuster-Ausstellungen, sind die nun in der Tate Modern in London, im Hamburger Bahnhof in Berlin oder im Dogenpalast (Tintoretto, ab morgen!) in Venedig zu sehen. Ein bisschen anders sieht das in kleinen, kleinstädtischen, wenn nicht gar dörflichen Museen aus, wo Sammler oder Sammlerinnen ihre liebsten Objekte aufbewahren und dann auch zeigen wollen.

Als ein solches muss man sich das Museum vorstellen, das im Zentrum von Helen Coopers Roman steht. Es ist das titelgebende „Museum der sprechenden Tiere“, das Gee-Museum, das hier so heißt, weil es Ende des 19. Jahrhunderts von einem gewissen Freddie Garner-Gee gegründet wurde – und dessen Exponate, so offenbart das Cooper in einem Nachwort, von echten Exponaten im Bostoner Peabody-Museum, einem Londoner Vorortmuseum names Ting und den Museen der Oxford University inspiriert wurden.

„Das Leben könnte ein bisschen schwierig werden. (...) Aber bei deiner Mutter bist du in Sicherheit“, sagt das Nilpferd.
„Das Leben könnte ein bisschen schwierig werden. (...) Aber bei deiner Mutter bist du in Sicherheit“, sagt das Nilpferd.

© Illustration: Helen Cooper

Garner-Gee war, so will es Coopers Roman, Entdeckungsreisender und Sammler, und die tierischen Mitbringsel seiner Reisen, Felle und Häute, ließ er präparieren und stopfte sein Haus damit voll. Bis eines Tages seiner Frau der Kragen platzte wegen einer Giraffe und sie ihm nahelegte, sich von vielen seiner Objekte zu trennen, falls er wieder Neues anschaffen würde: „Du hast vollkommen recht, Schatz, wir sollten unsere Sammlung der Öffentlichkeit zeigen. Ich wollte schon immer ein eigenes Museum eröffnen.“

Diese Geschichte, die noch viel länger geht und in der Garner-Gees Kinder und Enkel eine wichtige Rolle spielen, bekommt eines Tages Coopers Held, der elfjährige Ben, von eben jenen Tieren des Museums erzählt: von den ausgestopften, wie einem Nilpferd, und insbesondere von den Bienen, die aus einem Bienenstock aus Kristall stammen. Jene Bienen waren es auch, die Ben einen Briefumschlag vor die Tür seines Elternhauses legten, darin eine Einladung, doch mal vorbeizukommen. Auf deren Hinterseite stand aber überdies ein Warnruf: „Komm jetzt oder komm nie!“

Eine der vielen Zeichnungen von Helen Cooper, die man sich gerne im Buch anschaut. Schließlich ist sie im Erstberuf Illustratorin.
Eine der vielen Zeichnungen von Helen Cooper, die man sich gerne im Buch anschaut. Schließlich ist sie im Erstberuf Illustratorin.

© Illustration: Helen Cooper

Obwohl er noch nie von diesem Museum gehört hat, macht Ben sich wirklich auf den Weg, versucht in Erfahrung zu bringen, um was für eines es sich überhaupt handelt – und erinnert sich auf einmal vage daran, es womöglich als ganz kleiner Junge mit seinem inzwischen verschwundenen Vater besucht zu haben, inklusive eines Satzes, den das Nilpferd zu ihm sagte: „Das Leben könnte ein bisschen schwierig werden. (...) Aber bei deiner Mutter bist du in Sicherheit.“

Es ist gar nicht so einfach, die Binnengeschichte dieses Romans in zwei, drei Sätzen nachzuerzählen. Doch angenehmerweise lässt Helen Cooper sich Zeit. Behutsam baut sie ihr Setting auf, nach und nach legt sie ihre Motive aus: um Erinnerung, Vergessen und Identitätssuche geht es, um eine vaterlose Kindheit, um ein Museum, das eine andere, raffgierige Museumsbetreiberin übernehmen und zusammen mit einem skrupellosen Bauunternehmer dem Erdboden gleichmachen will. Und um einen ganzen Haufen anderer Tiere, die zumindest mit Ben in gutem Einvernehmen sind: Seine Ahnenreihe, so viel sei an dieser Stelle verraten, führt nämlich bis zum Gründer Freddie Garner-Gee. Sie nehmen ihn der Reihe nach unter ihre Fittiche, von Flummery, der Eule, über Leon, dem Chamäleon, bis hin zu Sengi, der Elefantenspitzmaus.

So behutsam wie die britische, 1963 in London geborene, preisgekrönte Kinderbuchautorin und -Illustratorin Cooper ihre Geschichte entwickelt, so behutsam vermengt sie hier die fiktive Realität mit dem einen oder anderen Fantasy- und Mystery-Element. Da lässt sie eine Hexe aus einer silbernen Flasche ausbüxen, da wabert ein seltsamer Nebel durch das Museum, und da ist ein Diamant der Schlüssel für die Rettung vor dem Bösen.

Auch eine gewisse Atemlosigkeit mit einer schnellen Kapitelfolge und viel Spannung vermag Cooper in ihrem ersten Jugendroman zu erzeugen. Zudem schaut man sich auch die vielen Kohle- und Bleistift-Illustrationen auf den Seiten gern an, Cooper ist schließlich im Erstberuf Illustratorin und „zeichnet gern in Museen“, wie es heißt. Anders als die vielen kleinen Volten, die Ben und den Seinen die Museumsrettung immer mal wieder schwer machen, wären diese Illustrationen jedoch nicht unbedingt nötig gewesen, stehen sie der Imagination doch etwas im Weg. Ganz sicher aber wird man nach der Lektüre nie mehr die kleinen, vergessenen, oft von Schließung bedrohten Museen einfach links liegen lassen: Wer weiß, was für Schätze sie beherbergen, was für tolle Geschichten, die unbedingt eines Tages erzählt werden müssen!

Helen Cooper: Das Museum der sprechenden Tiere. Roman. Aus dem Englischen von Anne Brauner. Rowohlt Rotfuchs, Reinbek 2018. 384 S., mit Illustrationen, 14,99 €. Ab 10 Jahren.

Weitere Rezensionen finden Sie auf unserer Themenseite.

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