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Dixie Chicks

© Senator

Kino: Drachentöterinnen

Ein weibliches Country-Trio und eine der größten Kontroversen, die in den USA je um eine Popband geführt wurden: Der Dokumentarfilm "Shut up & Sing" über die Dixie Chicks schildert ihr Ringen mit Bush.

Es war nur ein Satz, aber geeignet, ihnen das Genick zu brechen. "Wir schämen uns, dass der Präsident aus Texas kommt", sagte Natalie Maines, Sängerin der amerikanischen Country-Band Dixie Chicks, vor einem Konzertpublikum in London – eher verlegen als in der Absicht, eine der größten Kontroversen auszulösen, die in den USA je um eine Popband geführt wurden. Der "Guardian" zitierte Maines’ Bemerkung, einen Tag später begann der Irak-Krieg. Und plötzlich stand die erfolgreichste Frauenband aller Zeiten im Kreuzfeuer einer empörten Öffentlichkeit. Politiker, Kommentatoren und Country-Fans, die sich bei Radiostationen telefonisch zu Wort meldeten, entflammten vor Wut. Man falle den Truppen und ihrem obersten Befehlshaber nicht in den Rücken, lautete der Tenor. Und außerdem: Was bildeten sich diese drei Mädchen eigentlich ein, die Weltpolitik zu kommentieren.

"Können wir nicht sagen, es sei einfach so rausgerutscht, wir hätten es nicht so gemeint?", fragt Maines’ Kollegin Martie Maguire, als die Band von den Auswirkungen des Bush-Bashings erfährt. Da die Band auf ihrer Tournee von einem Kamerateam begleitet wird, das Material für die Website sammelt, ist sowohl dieses Gespräch als auch der Moment überliefert, in dem Maines ihre fatale Bush-Bemerkung macht. Ein Glücksfall, der sich nun auszahlt. Denn Barbara Kopple und Cecilia Peck können für ihren großartigen Film "Shut Up & Sing", der am Donnerstag in den deutschen Kinos startet, die Vorgänge nicht nur lückenlos dokumentieren, ihr Porträt fasziniert auch durch die intime Nähe, die das Filmemacher-Team im Schatten der Hetzkampagne zu den Protagonisten aufbaut. Drei Jahre ist es ständig zugegen, bei Strategiesitzungen mit Anwälten, bei Proben und Aufnahmesessions, in Privatjet und Garderobe, sogar bei der Geburt der Kinder. Und sie sind da, als das Trio benommen in einem Londoner Hotelzimmer sitzt, wie Schülerinnen, die sich auf Klassenfahrt daneben benommen haben und nun nicht wissen, wie ihnen geschieht. Sollen sie sich entschuldigen, sie, die beim Super Bowl die Nationalhymne gesungen haben und erst wenige Wochen zuvor für ihr "Home"-Album mit vier Grammys ausgezeichnet wurden? Aber wofür? Bei wem? Nur einer weiß, dass es nicht helfen würde. "Wäre es nicht großartig", wirft der britische Manager Simon Renshaw in die Runde, "wenn wir sie bewegen könnten, Dixie-Chicks-CDs zu verbrennen?" Hhmm, lautet die Antwort.

Aber genau dazu kommt es. In einer beispiellosen Boykott-Welle werden die Songs der Band landesweit aus den Radiostationen verbannt, Fans werfen CDs in Mülltonnen, beschmieren sie mit Hassparolen und lassen Bulldozer darüberrollen, die Umsätze des Trios gehen um 40 Prozent zurück. Eine Frau lässt sich im Radio sogar zu der Bemerkung hinreißen, man solle die Frauen an Bomben binden und über dem Irak abwerfen. Die Band bekommt den vulgären Zorn des weißen Amerika zu spüren, das selbst vor Morddrohungen nicht zurückschreckt.

Dabei sind sie keineswegs die ersten, die sich kritisch über Bushs Kriegstreiberei äußern. "Musicians United To Win Without War" hieß eine Vereinigung, der sich Stars wie Lou Reed, Suzanne Vega und Missy Elliot angeschlossen hatten. Sheryl Crow erregte auf der Grammy-Verleihung mit einem Gitarrengurt für Aufsehen, auf dem "No War" prangte. Aber die zählten zum linken, urbanen Establishment. Die Dixie Chicks kamen mit ihren 30 Millionen verkauften Country-Alben woanders her. Ihre Kritik am Präsidenten entstammte dessen unmittelbarem Hinterland. Und sie galten als unpolitisch. In gewisser Weise waren sie das auch, bis ihnen der Redneck-Fanatismus eine Haltung aufzwang. "Wir haben uns in die Scheiße geritten", sagt Natalie Maines einmal, "und nun ist es unsere Pflicht, uns noch tiefer hineinzureiten." Renitenz ist von jeher ein starker Antrieb, um zu sich selbst zu finden. Das sieht denn auch die zaghafte Martie Maguire ein. Es sei "perfekt" gewesen, sagt sie, dass die Dixie Chicks den Affront begangen hätten: "Es musste eine Stimme sein, die aus dem Herzen des konservativen Amerika kommt."

Meinungsschlacht als Kampf um den richtigen Patriotismus

"Shut Up & Sing" ist mehr als nur die Chronik eines Pop-Skandals. Kopple und Peck fangen das paranoide Binnenklima des Bush-Imperiums ein. Sie zeigen, wie kommerzielle Interessen sich in dieser Mediendemokratie mit ideologischen Machtansprüchen verbinden und wie einfach es ist, eine Radiolandschaft gleichzuschalten, die ihrer eigenen Auffassung nach aus "unabhängigen" Sendern besteht. So berührt "Shut Up & Sing" einen neuralgischen Punkt des amerikanischen Selbstverständnisses. Indem der Film die Meinungsschlacht um die Dixie Chicks als Kampf um den richtigen Patriotismus schildert, erzählt er auch vom autoritären Charakter einer Kultur, die ihre Machtfantasien auf die Person des Präsidenten als eines Superhelden projiziert. Country-Musik liefert dafür den gefälligen Soundtrack. Als bigottes Klagelied des Schmerzes und der Hoffnung.

So hat der Konflikt für die Künstlerinnen viel weitreichendere Folgen, als sie zunächst wahrhaben wollen. Da die Dixie Chicks über Nacht ihr angestammtes Publikum verlieren und von der Country-Lobby geschnitten werden, müssen sie deren Erwartungen auch nicht mehr erfüllen. Für "Entertainment Weekly" lassen sich die attraktiven Mitdreißigerinnen nackt ablichten, bepflastert mit Schlagworten wie "Saddam’s Angels", "Traitors" oder "Proud Americans". Teils als Provokation gedacht, ist die Aktion zugleich ein furioses Pop-Spektakel. "I fought with a stranger and I met myself", wird Natalie Maines später im Studio singen und den Bruch mit der Tradition als Triumph der Selbstfindung darstellen. "Taking The Long Way" heißt die Platte, die 2006 aus den Auseinandersetzungen hervorgeht. Sie bringt der Band sogar fünf Grammys ein. Das von Rock-Guru Rick Rubin produzierte Werk, das die Band als Therapie versteht, löst die Dixie Chicks aus ihrem alten Klangkorsett, macht sie moderner, emotionaler und zu Popstars.

Ein Märchen? Was "Shut Up & Sing" zu einem der sehenswertesten Musikfilme der letzten Jahre macht, ist die Beantwortung einer wichtigen Frage: Zahlt es sich aus, sich mit dem mächtigsten Mann der Welt anzulegen? Gewiss, zumal an der Seite eines Managers, dessen britisches Temperament die drei Damen ständig an den Wert persönlicher Integrität erinnert. Kommerziell war die Band ohnehin nie dem Untergang geweiht, auch wenn die drei Mütter zeitweise fürchteten, sie könnten sich ihren luxuriösen Arbeitsstil womöglich bald nicht mehr leisten. Dafür entdeckten sie, dass gute Musik aus einer Erfahrung hervorgeht, die einem keine Wahl lässt. "I’m not ready to make nice", lautet das neue robuste Credo.

Am Ende steht Natalie Maines wieder vor dem Publikum im Londoner Shephards Bush Empire. Sie wisse, erklärt die kleine blonde Frau, dass viele sich fragen würden, was sie diesmal sagen würde. Nun, es sei ganz einfach. Und dann sagt sie den Satz, der ihr das Genick hätte brechen können, noch einmal.

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