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Kultur: Kino im Käsekästchen

Martenstein wünscht sich mehr Durchhaltevermögen

Ich frage mich, warum in so vielen Filmen die ersten 20 Minuten die stärksten sind und die letzten 20 Minuten die schwächsten. Mindestens jeder zweite Film macht zum Ende hin schlapp.

Es ist so, dass am Anfang eines Films eine Idee steht, ein Plot. Der Plot ist fast immer recht gut. Sonst würde der Film ja auch gar nicht gemacht werden. In den ersten Minuten sehen wir also meistens, wie eine interessante Handlungsidee sich entfaltet und wie Figuren vorgestellt werden. In dieser Phase des Films ist fast alles möglich, es ist der erste Schöpfungstag einer neuen Welt. Je länger der Film aber voranschreitet, desto mehr verengen sich die Möglichkeiten, durch das, was bereits passiert ist und was wir als Zuschauer bereits wissen. In einem Film ist es genau wie im Leben, wo die Optionen sich im Lauf der Zeit verringern, oder wie in dem Kinderspiel „Käsekästchen“, das mit jedem Zug schwieriger wird.

Nach einer Stunde sind der Stil des Films, die Charaktere der Personen und die Handlung so fest etabliert, dass es, wenn man die Gesetze der Plausibilität beachten will, was man wohl tun sollte, nur noch recht wenige Möglichkeiten gibt. Die Filmemacher versuchen natürlich, noch einmal eine überraschende Wendung zu präsentieren, den letzten Plot Point. Dann geht es oft nur noch darum, die Sache irgendwie zum Abschluss zu bringen. Man hat dabei ein Gefühl, als ob man einer verwirrten älteren Person dabei zuschaut, wie sie in einem Restaurant die Tür sucht. Die letzten 20 Minuten sind deswegen meistens schwächer als die ersten 20 Minuten, weil sie viel schwieriger zu machen sind.

Bei „Happy-Go-Lucky“ von Mike Leigh handelt es sich um eine filmhistorische Rarität. Fast alle Filme der Berlinale handeln vom Unglück, also von Tod, von Liebeskummer, von Verbrechen oder von Elend. Hier aber geht es um das Glück, um eine Frau, die das Leben liebt. Das ist schon mal eine interessante Idee. Und die letzten 20 Minuten sind genauso gut wie die ersten.

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