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Gabriel Hageni im Kino Krokodil.

© Alice Epp

Kino Krokodil feiert Geburtstag: Ganoven, Birken, Gefühle

Gabriel Hagenis Kino Krokodil wird zehn Jahre alt und sucht dringend nach russischen Filmen. Ein Foyer-Treffen

Die Liebe zum russischen Kino begann bei Gabriel Hageni 1988 mit der Verbannung zeitkritischer sowjetischer Filme aus den Lichtspielhäusern. Etwas musste doch dran sein an diesen Botschaften der Perestroika, dass sie die Regenten der DDR derart in Rage versetzten, dachte Hageni, der zu jener Zeit in der alten sächsischen Bergbaustadt Freiberg zur Oberschule ging. Wie sah die Tapete aus, die wir nicht sehen sollten, wenn es nach Kulturchef Hager gegangen wäre?
Aber noch war die Liebe zur Filmkunst bei dem jungen Mann nicht so groß, dass er darüber die Entscheidung, Kunstgeschichte studieren zu wollen, vergaß. Das geschah erst Jahre später, als er sich in Berlin die mageren Chancen für eine Anstellung als diplomierter Kunstwissenschaftler ausrechnete.
„Mit Bildern haben ja beide Künste zu tun“, sagt Hageni, ein Mann von Anfang 40 und einem jungenhaft offenen Gesicht, als wir uns während einer ruhigen Mittagsstunde im Foyer seines Kinos gegenübersitzen. An der Rotunde über dem Eingang klebt ein grünes Pappmaché-Krokodil aus der Werkstatt eines befreundeten Kostümbildners. Die Wände schmücken großformatige Fotografien verblichener osteuropäischer Kinohäuser. Eine Bretterwand mit Werbung für Volker Koepps „In Sarmatien“, vom Chef selbst bemalt, zieht die Blicke auf sich.

Gabriel Hageni im Kino Krokodil.
Gabriel Hageni im Kino Krokodil.

© Alice Epp

Nahezu alles an dem im April 2004 aus dem Dornröschenschlaf erweckten ehemaligen Kino Nord am oberen Ende der Greifenhagener Straße verdankt sich der Hilfe und Mitarbeit von Freunden, angefangen bei der Beschaffung der weichen Sessel mit den nach Eigenbau aussehenden Tischchen im vorderen und den dünn gepolsterten Klappsitzen im hinteren Teil des mittelgroßen Saals. Im Gründungsjahr 1912 haben hier laut Bauunterlagen 242 Kinogänger Platz gefunden. 1993, als die Yorck-Gruppe die seit 1963 als Lager genutzte Spielstätte neu herrichtete, waren es 110 Sessel, die 2001 mit dem letzten Betreiber spurlos verschwanden. Im Krokodil ist Platz für 99 Gäste, „aber so viele werden es selten“, seufzt Hageni.

Freunde und Familie helfen im Kino Krokodil mit

Ein Kollege kommt herein und reicht ihm einen Zettel. Ohne den Freundeskreis, er sagt ungern „Verein“, auch wenn es im juristischen Sinn einer ist, könnte die Arbeit nicht getan werden. Es sind etwa zehn Personen, auf die genaue Zahl will er sich nicht festlegen, die am Programmmachen und allen praktischen Erfordernissen des Kinobetriebs beteiligt sind – meist unentgeltlich. Gabriel Hagenis engste Mitarbeiterin ist seine Frau Debora Fiora, die manche Besucher für eine Russin oder eine Georgierin halten, wenn sie hinter dem Tresen Eintrittskarten und Getränke verkauft. Sie stammt aber aus der Nähe von Turin, hat Slawistik studiert und kam eines Abends und dann immer wieder ins Krokodil, als sie in Berlin ein Aufbaustudium absolvierte. Alles Weitere ist Familiengeschichte – auch die kleine Tochter, die beim Kurzbesuch auf dem Cottbusser Festival des osteuropäischen Films schon mal dabei sein darf.
Cottbus und das Konkurrenzunternehmen goEast in Wiesbaden sind, neben dem Forum der Berlinale, Hauptinformationsquellen für die Programmmacher. Aber was nützt es, wenn auf Festivals herausragende neue russische Filme laufen, sich aber für sie kein deutscher Verleih findet oder der Produzent eine horrende Miete verlangt, die der Film nie einspielen wird? Auf Subventionen durfte das Kino nie hoffen.

Bei Volker Koepps Reisefilm „In Sarmatien“ blieb kein Platz frei

Bis auf den letzten Platz voll war es, als Hageni die Originalfassung von Wassili Schukschins traurig bitterer Komödie „Kalina Krassnaja“ aus dem Jahr 1974, deutsch untertitelt, aufgetrieben hatte – russisches Kino pur mit großen Gefühlen, Birken, Ganoven und dem früh verstorbenen Regisseur in der Hauptrolle. Für Glücksmomente wie diesen lohnt sich der Aufwand, um nicht von Selbstausbeutung zu sprechen. Aber ein Retrokino für ein nostalgisch gestimmtes Publikum sollte das Krokodil nie werden. Die meisten Zuschauer kommen übrigens aus Charlottenburg. Ihnen gefällt es, dass hier mal keine gediegene Standardausstattung mit breiten Armlehnen und Dolby-Stereo- Ton vorzufinden ist. Dafür stehen neben der Bühne ein Klavier und ein Flügel für musikalisch unterlegte Programme bereit. Jede Vorstellung läutet der Gong ein. Konkurrenz sind die Kinos in der Kulturbrauerei. Das kommerziell orientierte Colosseum stellt keine Gefahr dar, eher schon das Babylon Mitte mit seinem ebenfalls täglich wechselnden Programm. Auch das fsk am Oranienplatz hat einen Draht nach Osteuropa, vor allem nach Rumänien. Im Krokodil genießt alles Slawische eindeutig den Vorzug, mag es nun, wie derzeit auffallend stark, aus Polen kommen oder aus dem armen Bulgarien wie Ilian Metevs bestürzender Dokumentarfilm „Sofias letzte Ambulanz“. Im Jubiläumsmonat Mai – man hat die Feier ein wenig verschoben – steht kein einziger russischer Film auf dem Programm, dafür einige Dokumentarfilme, die sich Russlands jüngerer Geschichte und Gegenwart zuwenden. Tamara Trampes und Johann Feindts warmherzig erzählte Familiengeschichte „Meine Mutter, ein Kind und ich“ könnte ein Renner werden. „Krokodil – Filme aus Russland und Osteuropa“ lautet seit 2009 das erweiterte Logo. Bei Volker Koepps großem Reisefilm „In Sarmatien“ blieb kein Platz frei: wieder ein Glücksmoment für Gabriel Hageni und natürlich den Regisseur.

Die Jubiläumsfeier am kommenden Donnerstag glänzt mit der Premiere eines Debüts aus Moldawien. „Panihida – Himmelreich“ heißt der poetische, semidokumentarische Film der dffb-Absolventin Ana-Felicia Scutelnica, die in Koepps Film eindrücklich zu Wort kommt. Nun fragt sie nicht minder eindringlich und überzeugend, mit Bildern einer schier endlosen Beerdigung inmitten einer sich entvölkernden Landschaft nach dem Sinn von Bleiben und Leben in ihrer Heimat. Die Regisseurin und ihr Team werden anwesend sein. Eine Musikgruppe aus Rumänien wird für Stimmung sorgen, und wenn alles gut geht, läuft um Mitternacht Open Air „Leben, Herbst“ (1999) von Marat Magambetow und Sergej Losnitsa, nur 35 Minuten lang, nun doch ein russischer Film.
Kino Krokodil, Greifenhagener Str. 32, Jubiläumsfeier: Do 22.5., 20 Uhr

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