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© Delphi

Kino: ''Let's make money'': Mit allen Raff-Finessen

Hier schauen wir dem so oft maskierten „Raubtierkapitalismus“ direkt ins Gesicht: Erwin Wagenhofers Film „Let’s make Money“ zeigt das Ende des Neoliberalismus.

Das Finale ist nochmals ein Schlag, eine Überraschung. Nach über hundert Minuten filmischer Geisterfahrt in die dunklen Territorien der Globalisierung und ihrer soeben kollabierenden Geldwirtschaft, nach Bildern und Zeugen in Washington, London oder Singapur, in indischen Slums oder im Steuer- und Geldwäscheparadies der Kanalinsel Jersey steht plötzlich der SPD-Abgeordnete und alternative Nobelpreisträger Hermann Scheer im Berliner Reichstag. Steht vor den kyrillischen Graffiti der russischen Soldaten aus dem Mai 1945, die jetzt hinter Glas noch an ein Zeitenende, eine Zeitenwende erinnern. An eigentlich längst vergangene Zeiten.

Wir sind in „Let’s make Money“, dem neuen Kinofilm des österreichischen Dokumentaristen Erwin Wagenhofer („We feed the World“), der am 30. Oktober in Deutschland anläuft und schon jetzt Furore macht. Wenn die Politik ohnmächtig bleibt angesichts einer von den sozialen (oder ökologischen) Folgen und der realen Wertschöpfung abgekoppelten Investmentwirtschaft, dann droht der vom Geld regierten Welt der Kollaps. Das ist die Botschaft des Films, und sie ist natürlich nicht neu. Doch am Ende sagt Hermann Scheer im Reichstag, lange vor den aktuellen Ereignissen: „Wenn wir so weitermachen, dann kommen neue Selektionsmechanismen.“ Es werde in den Verteilungskämpfen wertvolle und weniger wertvolle Menschen geben, „und dann beginnt ein neues Zeitalter der Barbarei“.

Das hat im vergangenen Jahrzehnt bereits der finster hellsichtige Dichter Heiner Müller gesagt. Bei Auschwitz-Assoziationen zuckt man erst mal zusammen. Aber Müller, der Worte nicht des Skandals, sondern des gedanklichen Anstoßes wegen gebrauchte, hatte in seinem Todesjahr 1995 mehrfach darauf hingewiesen, dass ein absoluter Sieg des Kapitalismus, dessen Segnungen „nie für alle reichen“, die Fortsetzung der Rampe und – jenseits von traditionellem Rassismus – „das Prinzip der Selektion“ bedeute.

Trotz aller eigenen Hellsicht, mit der Erwin Wagenhofer nach dem internationalen Erfolg seines dokumentarischen Welternährungs-Thrillers „We feed the World“ nun noch viel tiefer ins Schwarze trifft, hat er dies kaum ahnen können: dass sein bereits 2006 begonnenes Opus „Let’s make Money“ jetzt einschlägt wie von allen Kassandren gerufen. Let’s lose money!

Aber will man das, nach all den Horrorbotschaften aller anderen Medien, nun auch noch im Kino sehen? Mal sehen.

Noch stürmen ja keine Menschenmassen die Banken wie einst zu Beginn der 1930er Jahre, als das Wort Weltwirtschaftskrise geboren wurde. Herr Hiob sitzt heute vor Computerschirmen und Skalen mit Fieberzacken, deren große Linie jeden neuen bösen Börsentag nur weiter nach unten weist. Das äußere Bild der Krise (am Rand der Katastrophe) ist erst mal so abstrakt wie die ihr zugrunde liegenden Finanzgeschäfte. Nur wenige blicken wirklich durch, und auch die sehen noch längst nicht den Grund des Abgrunds.

Das macht das Geschehen zum Verhängnis, also nicht ohne Weiteres mehr beherrschbar durch schier intelligente Funktionäre der Politik und Wirtschaft. Wer verantwortungslos riskante oder auch sonst sozial anstößige Geschäfte von Banken und Investoren künftig kontrollieren, regulieren oder gar kriminalisieren will, braucht neben komplexem Wissen noch so etwas wie Fantasie. Braucht, wie in der ökonomisch-kybernetischen Spieltheorie, Gegenfantasien, die den Kräften einer ungeheuren, transnational operierenden finanziellen Schattenwirtschaft bereits vorausdenkend begegnen.

Denn Fantasie steckt allemal in dem, was Investmentbanker, Hedge-Fonds, Private-Equity-Manager an globalen Gewinnmöglichkeiten in immer neuen Spekulationsformen, Transaktionen, Derivaten ausgeheckt haben, unterstützt von bilanzverschleiernden und steuerflüchtigen Raff-Finessen. Für Fantasien aber ist auch die Kunst zuständig. Die Dämonen der Gier geistern vom Midas-Mythos über ShakespeareTragödien, Molière-Komödien bis zur antizipierenden Moderne von Emile Zolas frühem Börsen- und Globalisierungs-Roman „Das Geld“ (von 1891) bis zu den New Yorker Geldgesellschaftsbildern in Tom Wolfes „Fegefeuer der Eitelkeiten“, Bret Easton Ellis’ „American Psycho“ oder im „Wall Street“-Film.

Wagenhofer erzählt seine Money-Maker-Geschichte vor diesem fiebrigen Hintergrund wie einen Beitrag zur Entschleunigung. Auch wenn es viele Fahrten in Autos, Bahnen, Flugzeugen gibt. Doch „Let’s make Money“ entfacht seinen Sog in langen, meist unkommentierten Sequenzen, die von selbstredenden Bildern oder den Aussagen seiner Protagonisten leben. Riesige Gesteinsmassen werden in einer Mine in Ghana gesprengt, zerhauen, gemahlen, geschmolzen, die kostbarsten Körner werden in der Schweiz dann zu Goldbarren. Mit Unterstützung der Weltbank verbleiben 3 Prozent Wertschöpfung in Afrika, 97 Prozent sind der Gewinn der Ersten Welt.

Bald darauf erklärt der kahlhäuptige Dr. Mark Mobius, der 50 Milliarden Dollar von Singapur aus „arbeiten“ lässt und als „Finanzguru“ den Spitznamen „the bald eagle“ trägt, welche Vorteile es hat, dass Teile der Dritten Welt jetzt „Emerging Markets“ heißen und renditestarke, steuerfreie Entwicklungsmärkte für die internationalen Kapitalströme sind. Für moralische Fragen, sagt der bare Adler, sei er „nicht zuständig“.

Später kreisen die leibhaftigem Geier im Himmel über Afrika oder Asien. Kreisen über vergifteten oder verwüsteten Landschaften, wo die globalisierte Wirtschaft, oft mit finanz- und handelspolitischem Druck westlicher Regierungen, des Internationalen Währungsfonds oder der Weltbank statt einheimischer Profite oder gar der „Hilfe zur Selbsthilfe“ nur verstärkte Abhängigkeit, neue Armut und postkoloniale Ausbeutung hinterlässt. Wagenhofers Facetten sind immer wieder: kühn und klug. Von Burkina Faso, wo es im global drittärmsten Land um die beste und billigste Baumwolle der Welt geht, wechselt er in die Wiener Straßenbahn, deren Verkehrsbetriebe wie viele andere aus der öffentlichen Hand in die eines US-Investors gewandert und über ein „Cross Border Leasing“ doch wieder bei der Stadt Wien gelandet sind, der die Bahnen nun nicht mehr gehören, während der Verkaufspreis von einer Milliarde Dollar nicht im Wiener Stadtsäckel gelandet ist, sondern bei englischen Banken und Leasingfirmen.

Mehrere Investmentbanker beschreiben im Film bereits Szenarien der jetzt tatsächlich eingetretenen Finanzkrise. Wie luxuriöse Lemminge.Oder das: John Perkins, der amerikanische Bestsellerautor und Chef eines alternativen Energieunternehmens in Florida, berichtet von seinem Vorleben als „Economic Hit Man“ („Wirtschaftskiller“) der US-Regierung und seiner indirekten Beteiligung an der Ermordung des panamesischen Präsidenten Omar Torrijos. Bis heute schickten die USA zur Sicherung wirtschaftlicher Interessen in bestimmte Regionen erst ihre Hit Men, die dortige Regierungen mit Druck oder Bestechung gefügig machen sollen. Hilft das nicht, „kommen die Schakale“. Das sind Leute, die Politiker umbringen. „Erst wenn das nicht gelingt, kommt das Militär.“ So „war es auch bei Saddam Hussein“, dessen wahrer Fehler es gewesen sei, Öl nicht mehr allein gegen Dollar zu verkaufen – die wichtigste Deckung der Währung einer überschuldeten, ausgehöhlt aufgeblähten Weltmacht. Im Kern erzählt Wagenhofer, unaufgeregter als ein Michael Moore, auch die Tragödie Amerikas.

Und die Geschichte des seit Reagan- und Thatcher-Zeiten selbstzerstörerisch triumphierenden, nunmehr explodierten Neoliberalismus. Manches erscheint dabei wie ein Alptraum: Bilder etwa von spanischen Geisterlandschaften aus Zement lassen Europas größte Immobilienblase wie eine Science-Fiction-Szenerie erscheinen. Doch „Der globale Countdown“ (so heißt Harald Schumanns und Christiane Grefes bestes Buch zum Thema) ist die Realität. Und die herz- und hirnerschütternde Versinnlichung ist das Momentum der Kunst. Hier schauen wir dem so oft maskierten „Raubtierkapitalismus“ (Helmut Schmidt) direkt ins Gesicht.

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