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Helene hegemann

© Mike Wolff

Kino: Rote Rosen für Neurosen

Helene Hegemann wird gefeiert. Sie hat mit 16 einen umjubelten Film gedreht. Ihr Drehbuch schrieb sie binnen einen Monats. Doch in Wirklichkeit ist die junge Filmemacherin auf der Suche nach Heimat.

In der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz wird eine Homestory gedreht. In einem Moment steht Helene Hegemann auf dem Theaterdach, im nächsten unten in der Kantine, die Fernsehleute mit der Kamera folgen ihr. Das Wasser am Tresen bestellt sie sich leider zu temporeich, folgsam ordert sie noch ein zweites, drosselt ihre übliche Lebensgeschwindigkeit, damit die Kamera mithalten kann. Dann ist der Dreh vorbei, und Helene Hegemann in ihrer Welt wieder für sich.

Üblicherweise ist der Theater ein Ort, der der Welt den Spiegel vorhält. Und mit einem Mal kommt da ein Mädchen und hält der Theaterwelt den Spiegel vor, und die Theaterwelt mag, was sie da sieht, obwohl es eine ziemlich hässliche Fratze ist: „Torpedo“, Helene Hegemanns 42-minütiger Film – mit dem „Max Ophüls Preis 2009“ ausgezeichnet und am Donnerstag in drei Berliner Kinos angelaufen – erzählt vom Umzug der 15-jährigen Mia in die Hauptstadt. Dort wohnt ihre Tante Cleo, gespielt von Jule Böwe. Bei ihr sucht Mia Zuflucht, nachdem sich die drogensüchtige Mutter umgebracht hat. Doch Cleo ist hauptberuflich neurotisch und nebenbei Schauspielerin. Da bleibt zwischen den Exzessen zu Hause und auf der Bühne kein Platz für die Bedürfnisse eines halben Kindes.

Fast so erstaunlich wie dieser rasante, einfallsreiche Film ist die Verbandelung von Regisseurin und Sujet: Zum einen ist Helene Hegemann, Tochter des ehemaligen Volksbühnen-Dramaturgen Carl Hegemann, mit „Torpedo“ zu einer Art Maskottchen eben jener Berliner Kulturszene geworden, die sie im Film mit all ihren Schattenseiten darstellt. Dass Helene Hegemann „den Blick der Jungen auf uns wiedergibt“, gefalle ihm sehr, sagte etwa Christoph Schlingensief. Zum anderen beteuert Hegemann stets, dass der Film keine Kritik sei, sie ihre Figuren, so egoman und verantwortungslos sie auch seien, „sexier“ finde als andere Erwachsene. Ihre „beste Zeit“ sei der Abend der „Torpedo“-Premiere in der Volksbühne gewesen. So viele Menschen kamen, dass die Ränge aufgemacht werden mussten.

In der Kurzbiographie Helene Hegemanns kommen vor allem Zahlen vor: Mit 14 das Drehbuch zu „Torpedo“ geschrieben, es mit 15 verfilmt, mit 16 eine Hauptrolle in Nicolette Krebitz’ Beitrag zum Episodenfilm „Deutschland 09“, jetzt, mit 17, Buchvertrag von Ullstein, noch keine Autobiographie, aber fast: ein Tagebuch. Lässt man all diese Zahlen weg, ist Helene Hegemanns Leben vor allem die Geschichte eines Mädchens auf der Suche nach Heimat – ungewöhnlich erst durch die große Widerständigkeit Hegemanns und die Tatsache, dass sie gerade die Volksbühne, dieses wildeste Berliner Theater, als ihr Zuhause erwählte.

Helene Hegemann sitzt im müden Licht der Theaterkantine, ihre Worte rasen voran, immer auf der Suche nach einer Pointe, stets bereit, die Metaebene mitzudenken. Dass das Mädchen zum Medienliebling wurde, liegt auch an dieser Art zu reden, den gedrechselten und doch frechen Sätzen, die sich jeder Interviewnorm entziehen. „Normalerweise arbeiten renommierte Regisseure mit verhaltensgestörten Teenagern. Bei ,Torpedo‘ arbeitet ein gestörter Teenager mit renommierten Schauspielern“, sagt sie etwa. Oder: „Natürlich kokettiere ich mit meinem Jugendbonus. Und kokettiere sogar damit, dass ich mit ihm kokettiere.“

Wer sich fragt, woher diese Reife im Kopf kommt, der muss nur wissen, was geschieht, wenn eine Mutter dem Kind nicht gerecht werden kann. Weil niemand bedingungsloser liebt als ein Kind, wird es alles tun, um stattdessen der Mutter gerecht zu werden. Helene Hegemann musste schon früh erwachsene Verzweiflung verstehen, ihre Mutter, eine Grafikerin und Theatermalerin, war alkoholsüchtig und starb, als die Tochter dreizehn war.  „Der Zustand meiner Mutter war ein Tabubruch in der Bochumer Welt.“ Sechs Monate nach dem Tod der Mutter stieg Helene Hegemann in den Zug und zog zum Vater nach Berlin.  „Ich wusste sofort, als ich ankam: Berlin ist die einzige Stadt, in der ich zur Zeit leben kann.“

Es gibt einen Gassenhauer, in dem anklingt, was Helene Hegemann so für Berlin einnahm. „Du bist verrückt, mein Kind, du musst nach Berlin, wo die Verrückten sind, da gehörst du hin“, heißt es darin, es ist ein Loblied auf eine Stadt, die keine Schablone über die in ihr befindlichen Menschenleben legt, ein Einsehen mit gebrochenen Biographien und gestauchten Herzen hat. In Hegemanns Worten klingt das so: „Durch Berlin wurde mir klar, dass man es als ernsthaften Lebensinhalt ansehen kann, knallneurotisch durch die Gegend zu hüpfen.“ Die festen Größen ihres Berliner Lebens wurden der Vater und sein Arbeitsplatz, die Volksbühne. Fünfmal die Woche ging Helene Hegemann im ersten halben Jahr ins Theater, und am Ende fand sie mit Carl Hegemann, mit dem es an den normalen Vater-Tochter-Schnittstellen hakte, zumindest eine Gesprächsebene, was das Theater angeht. Mit großem Selbstbewusstsein tut sie heute ihre Ansichten zum Stand der Künste kund: „Film hat Theater abgelöst, wie die Fotografie die Bildende Kunst abgelöst hat.“

Ihr eigenes Drehbuch hat Helene Hegemann binnen eines Monats geschrieben. Sie schickte es an etliche Regisseure, darunter Tom Tykwer, sie alle machten ihr Mut. Ihre eigenen Wünsche an den Film haben sich fast erfüllt. Jetzt, sagt sie, müsse der Film nur noch in Bochum anlaufen. Das wäre der Erfüllungsmoment.

„Torpedo“ läuft in den Kinos Central, Lichtblick und Moviemento.

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