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Kino: Vorletzte Dinge

Francis Ford Coppola versucht mit der Literaturverfilmung "Jugend ohne Jugend“ sein Comback zu inszenieren. Er wollte wieder einmal Filmgeschichte schreiben. Die Zukunft sieht aber anders aus.

Warum, bitteschön, dieses Buch? Schon die literarische Vorlage von Francis Ford Coppolas lang ersehntem neuen Film muss jedem Bewunderer des Regisseurs den Angstschweiß auf die Stirn treiben. Der rumänische Religionshistoriker und Teilzeitpoet Mircea Eliade zwingt in seinem kurzen Roman "Jugend ohne Jugend“ (1976) Bewusstseinsphilosophie und Psychoanalyse mit Kolportage und Esoterik zusammen, um dabei ein paar letzte und vorletzte Dinge zu erörtern. Das liest sich, als hätten der Dalai Lama und der Neurowissenschaftler Oliver Sacks eine Geschichte erfunden und diese von Dan Brown aufschreiben lassen: Apokalypse, GAU.

Der gealterte Wissenschaftler Dominic Matei (Tim Roth) wird mitten in der Stadt vom Blitz getroffen. Statt als verkohlter Klumpen von der Straße gekehrt zu werden, wacht er im Krankenhaus unter den freundlichen Blicken von Professor Stanciulescu (Bruno Ganz) auf und verjüngt sich von Tag zu Tag. Mehr noch: Seine kognitiven Fähigkeiten scheinen schier zu explodieren. Der Schlag hat ihn auf eine künftige Evolutionsstufe katapultiert: voilà, der "post-historische Mensch“. Da wir das Jahr 1938 schreiben, werden auch die stets an neuen Menschentypen interessierten Nazis hellhörig, darunter Doktor Rudolf (André Hennicke). Doch irgendwie entkommt Matei ihnen, überlebt den Krieg und landet in Indien, wo er einer Frau (Alexandra Maria Lara) begegnet, die kurze Zeit später in fremden Zungen zu sprechen beginnt. Weil auch sie von Wissenschaftlern und der Presse gejagt wird, fliehen beide nach Malta.

Erstaunlicherweise nimmt Coppola diesen Humbug weitgehend beim Wort und fügt außerdem hinzu, was am allerwenigsten gefehlt hatte: Kitsch. Der Zuschauer wird in die Rolle des Zeugen einer Liebesgeschichte zwischen Tim Roth und Alexandra Maria Lara genötigt – und das ist alles andere als ein romantisches Vergnügen. Auffällig viele Regisseure mit katholischem Hintergrund haben im Alter einen Drang zum Exotisch-Esoterischen: Jean Renoir mit "The River“, Bernardo Bertolucci mit "Little Buddha“, Martin Scorsese mit "Kundun“. Coppola treibt diese Tendenz nun auf die Spitze .

Elf Jahre sind vergangen seit seinem „Rainmaker“. In der Zwischenzeit hatte er einige frustrierende Begegnungen mit dem inneren Schweinehund. In Interviews berichtete der Regisseur offen von seinen Ängsten als Künstler, auch weil sein Langzeitprojekt "Megalopolis“ nicht vorankam. Die autobiografischen Zusammenhänge liegen daher auf der Hand: "Jugend ohne Jugend“ ist Coppolas Versuch, wie sein Protagonist in den Jungbrunnen zu hüpfen. Einen Film "in jugendlicher Guerillamanier“ habe er drehen wollen, schreibt er im Nachwort zum Eliade-Roman. Doch mit revolutionärer Leichtigkeit haben seine funkelnden, gelegentlich auf den Kopf gestellten Cinemascope-Bilder so viel zu tun wie "Herr der Ringe“ mit cinema verité. Bereits die Titelsequenz ist eine Hommage an das klassische Hollywoodkino. Und auch die vielen Schattenspiele, schrägen Kamerawinkel und Spiegelszenen weisen eher in die Vergangenheit als in die Zukunft des Kinos.

Aber Pastiche war Coppola bei seinem Comeback vermutlich zu wenig. Deshalb riskiert er alles – und verliert. Wenn Tim Roths Figur sich in Diskussionen mit sich selbst verwickelt oder Alexandra Maria Lara in einer Höhle "Om Shanti“ summt, möchte man vor Fremdscham im Kinoboden versinken.

Aber man sollte den 69-Jährigen nicht abschreiben. Er hat in seiner Karriere zwischen "Der Pate“, "Apocalypse Now“ und "One From the Heart“ unzählige Extremsituationen erlebt. Mag sein, dass ihn dieses Mal ein falscher Geistesblitz versengt hat. Aber wer würde sich wundern, wenn Coppola beim nächsten Film wie Phönix aus der eigenen Asche stiege?

Ab Donnerstag in sechs Berliner Kinos; OmU: Cinestar Sony-Center, Moviemento

Julian Hanich

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