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Afghanistan: Ausnahme als Zustand

Filmfestival Kabul: Wie afghanische Regisseure vom Alltag in ihrem geschundenen Land erzählen.

Afghanistans Kulturminister Abdul Karim Khurram ist dieser Tage nicht zu beneiden. Eine Hand liegt im Gips, die andere steckt bis zum Oberarm in Mullbinden. Auch die Schrammen an der Stirn sind Spuren eines Anschlags, dem der Minister in Kandahar knapp entgangen ist. Die Eröffnung des internationalen Filmfestivals in Kabul lässt sich er sich gleichwohl nicht nehmen.

Ihm folgt der deutsche Botschafter, der die erstaunliche Kreativität junger afghanischer Künstler preist und hinzufügt: „Nur wenn die Filmemacher ihre Lebensverhältnisse selbst darstellen, gibt es eine Chance, dass die afghanische Wirklichkeit auch richtig abgebildet wird.“ Fast ein Schlusswort – und eine offene Kritik an der stereotypen Bildsprache, mit der internationale Filmemacher Afghanistan gewöhnlich zeigen. Burka, edle Wildheit, Exotik: Das ist der Kanon vermeintlicher Andersartigkeit.

Die afghanischen Autoren sind unter dem Schleier groß geworden. Dil Afroz Zirak etwa, deren Lebenslauf von der Mathematikerin zur Filmemacherin das Klischee durchbricht. In „Young Wishes“ porträtiert sie eine 13-Jährige, die auf den Berghängen von Kabul Wasser in schweren Kanistern schleppt und sich damit ein paar Rupien verdient. Elend und Würde sind eins; nie verliert sie ihr Lachen. Ein irritierender Anblick: Alltag am Hindukusch. Romantik liegt den afghanischen Filmemachern fern. Schnitt und Dramaturgie mögen nicht perfekt sein, was bewegt, sind die Sujets: Zwangsheirat, der blutige Kampf um bessere Schulbildung, fehlender Strom und das Versprechen auf Solar-Energie. Happy-Ends sind die Ausnahme. Und wenn doch, lassen sie lange auf sich warten.

„Afghanistan ist ein Land, in dem zu jedem Zeitpunkt an jedem Ort alles Mögliche passieren kann“, erläutert der Autor Samay Hamed. Am zweiten Morgen des Festivals zerstört eine Bombe einen Polizeibus im Zentrum von Kabul. Es gibt über 30 Tote – etwa 400 Meter Luftlinie vom Französischen Kulturzentrum entfernt, wo die Filme gezeigt werden. Extra-Sicherheitsvorkehrungen werden nicht getroffen. Bisher, so sagt ein Mitarbeiter des Goethe-Instituts, seien kulturelle Veranstaltungen nicht das Ziel von Anschlägen gewesen. Eine Garantie ist das freilich nicht. Erstaunlicherweise spielen der Krieg gegen die Taliban und die Heerscharen internationaler Helfer in den Filmen kaum eine Rolle. Dabei ist das Stadtbild geprägt vom Anblick internationaler Hilfskräfte, die in weiß lackierten Landrovern durch die Straßen brausen. Eine angespannte Lage. Und doch sei es „nicht die Zeit, sich die Regierung oder die Nato zum Feind zu machen“, erklärt Ali Karimi, der Afghanistans einziges Filmmagazin herausgibt. „Außerdem profitieren unsere Filmemacher von Aufträgen aus den Geberländern.“ So lässt die internationale Sicherheitsunterstützungstruppe ISAF Werbefilme drehen, die sie Schulter an Schulter mit der afghanischen Polizei zeigt. Nicht immer beschreibt das die Wirklichkeit. Viele Filme werden erst durch das Geld der Geberländer ermöglicht. Das Beispiel der Internationalen Menschenrechtskommission zeigt allerdings auch die Kehrseite dieser Praxis: „Bei einem der Filme gab es die Auflage, mindestens drei Artikel der internationalen Menschenrechtskonvention im Skript unterzubringen und den Schauspielern in den Mund zu legen. Das beschneidet die künstlerische Freiheit enorm“, klagt Ali Karimi.

Besser gefördert wird die Filmkunst durch eine französische Initiative für den Dokumentarfilm in Entwicklungsländern, kofinanziert vom Goethe-Institut: Afghanische Nachwuchsfilmer erhalten eine zweimonatige Ausbildung für Kamera und Schnitt. Einige der dabei entstandenen Dokumentarfilme sind in Kabul zu sehen, demnächst sollen sie auch in Europa auf Festivals und im Fernsehen gezeigt werden.

Einer der wenigen Filme, der die Präsenz der Ausländer thematisiert, zeigt übrigens einen unbarmherzigen Deutschen. In weitem Mantel und mit hanseatischer Mütze wird er Zeuge eines Mords und nähert sich dem Opfer – um es zu fotografieren und sich davonzumachen.

Auch das ist Afghanistan: Das Festival findet nicht in Kinosälen statt, sondern in einer Schulaula und einem Vorführraum der Universität. Eine Sicherheitsmaßnahme: Anders als früher, als das Kino ein Ort für gebildete Familien war, tummeln sich heute junge Arbeitslose, Drogenabhängige oder Kriminelle vor den Leinwänden. Immerhin: Kabul hat wieder ein halbes Dutzend Kinos – in Herat, der zweitgrößten Stadt des Landes, gibt es keins mehr. „Die Taliban hatten das Kino in Herat als Moschee zweckentfremdet, während des Bürgerkriegs liefen dort nie Filme“, sagt der 27-jährige Filmemacher Fahim Hashisi. In seiner Heimatstadt war er noch nie im Kino. Martin Gerner

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