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Kino: Alles so schön grau hier

Kindheit in Berlin: „Die Tränen meiner Mutter“

Als Argentinien gegen Deutschland 2:0 in Führung geht, läuft die 55. Spielminute. Es ist jener Sonntag im Juni 1986, an dem die Südamerikaner Fußballweltmeister werden. Ein Dutzend Menschen verfolgt das Geschehen vor einem West-Berliner Fernseher. Nur einer von ihnen springt jubelnd auf. Ungehemmt schreit der Argentinier Carlos seine Freude hinaus.

Um Fußball geht es hier nicht, jedenfalls nicht primär. In diesem Schrei rechnet Carlos (Rafael Ferro) viel grundlegender ab: mit der Welt, in der er sich so fremd wie überflüssig fühlt, mit deren Kultur er nie warm geworden ist und die schließlich seine Ehe und Familie zerstört.

„Die Tränen meiner Mutter“ erzählt die Geschichte der Familie in Rückblenden. Der 30-jährige Alex (Fabian Busch), Carlos’ Sohn, ist auf dem Weg zum Sterbebett des Vaters und erinnert sich an seine ungewöhnliche Kindheit. Er ist zwölf, als er mit seinen Eltern vor der Militärjunta fliehen muss. Nach Irrfahrten landen sie in West-Berlin. Für Alex (Adrian Goessel) ist hier alles fremd: Mitten in der Stadt steht eine merkwürdige Mauer, und die Sprache der Ortsansässigen ist so unmelodisch wie das Bellen ihrer Hunde.

Der Blick des 1977 geborenen Regisseurs Alejandro Cardenas Amelio lässt das vertraute Deutschland aufregend fremd erscheinen. Ein Übriges tut die WG, in der die Familie unterkommt. Dort leben ein Frauenheld, ein Fotograf, ein stilles Punkmädchen und ein alt gewordener Trickbetrüger zusammen. In diesem nicht ganz klischeefrei dargestellten Sozialmix findet Alex sich bald zurecht, die Eltern aber driften auseinander. Die Katastrophe, die das bedeutet, leuchtet der Film in Zeitsprüngen aus. Eine zusätzliche fiktionale Erzählebene wäre da nicht zwingend gewesen. Und dennoch: „Die Tränen meiner Mutter“ berührt – durch seine starken Hauptdarsteller und den intimen Ton der Erzählung. Auch die Farben fügen sich glänzend in das subtile Drama ein: weil sie selber so überzeugend glanzlos sind. Daniel Wixforth

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Daniel Wixforth

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