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© dpa

„Animals in Love“: Nomaden der Lüste

Schnäbeln und schwänzeln: Laurent Charbonniers Dokumentation „Animals in Love“ zeigt das Liebesleben von 82 Tierarten aus allen Kontinenten.

Man müsste die Namen kennen. Müsste wissen, wie die winzigen Vögel heißen, die bei der Balz das Schaukeln anfangen. Das Männchen sitzt auf einem dünnen, schwankenden Ast in der Nähe des Weibchens, bringt ihn mit seinem Körpergewicht in Schwingung – und das Weibchen in Stimmung. Oder die Kolibri-kleinen Piepmätze, die zum Vorspiel immer abwechselnd hochspringen, eine flinke Choreografie der guten Laune. Oder die Akrobatik seines halb schwarz gefiederten Kollegen (eine Paradiesvogel-Art?), der es mit Felgumschwung probiert. Liebeslust, gehüpft wie gesungen.

Laurent Charbonnier – bekannt wurde er als Chefkameramann von „Nomaden der Lüfte“ – hat für „Animals in Love“ tierische Liebesszenen gesammelt: den Flirt, den Kampf der Nebenbuhler und den Tanz der Geschlechter bis zur Familiengründung von 82 Spezies aus allen Kontinenten. Die Affen küssen und kuscheln gerne. Die Winterkrabben verschränken zärtlich die Scheren ineinander. Die Libellen formen mit ihren schlanken Körpern ein Herz. Der Gelbhosenpipra will als Tanzkreisel und Moonwalker imponieren, das Beifußhuhn pumpt seine Brust voller Luft und erobert das Weibchen mit lautstarken Rülpsern, die Waldtauben bauen Waldtauben-Pyramiden, die Seepferdchen lassen sich von den Stuten begatten, Giraffen schlackern mit den Hälsen. Und das Känguru mag Orgien.

Nach „Mikrokosmos“, den „Nomaden der Lüfte“, der „Reise der Pinguine“ oder der umweltaktivistischen Doku „Von Haien und Menschen“ nun also die Liebe in den Gefilden der Fauna: Der Tierfilm hat Dauerkonjunktur. Wieder gibt es einen moralisch-poetischen Off-Kommentar, der zur Ehrfurcht vor der Schöpfung mahnt – spätestens seit alle Welt um die Gefahren der Klimakatastrophe weiß, versteht sich jeder Tierfilm als Artenschutzmaßnahme. Wieder menschelt es heftig – als ob Tiere einzig dazu da wären, dass unsereins sich in ihnen wiederfindet. Und wieder macht der Sound die Musik. Zum Schauspiel der Brunst webt Philip Glass einen Klangteppich aus Tierstimmengewirr und Naturlaut.

Symphonie der Verführung? Eher ein Dauerstakkato: Der französische Dokumentarist hat sein Material brav chronologisch sortiert (das Putzen, der Revierkampf, das Werben, die Paarung, der Nachwuchs) und die sekundenkurzen Szenen zu den jeweiligen Themen im Affenzahn aneinander montiert. Das schnäbelt und züngelt, schwänzelt und flattert, circt und zaust, dass einem schwindlig wird vor lauter fantastischen, seltenen Momenten. Allein für den Balztanz des Viktoria-Paradiesvogels lag Charbonnier vier Tage lang in Australien auf einem 14 Meter hohen Turm auf der Lauer. Und wie machen es eigentlich die Tintenfische? Oder der Graspalast des Laubenvogels, ist er nicht hinreißend in seiner fragilen Vergeblichkeit?

Der Löwe fällt nach dem Sex, flapp, einfach um. Post coitum omne animal triste? Nein, bloß zu Tode erschöpft. Da stimmt es dann doch: Manchmal sind Tiere auch nur Menschen.

Die zweite Hälfte von „Animals in Love“ ist mehr was für Kinder. Piepmätze sperren hungrig die Schnäbel auf; die Geburt des Kükens aus der Eierschale, das stolpernde Elefantenbaby, das staksende Kitz – sie alle bedienen den Bambi-Effekt. Da Charbonniers Tiersoftporno durchweg die Hollywoodregel beherzigt, die den Anblick primärer Geschlechtsmerkmale verbietet, ist auch der erste Teil des Films garantiert jugendfrei. Nur wenn die Hirsche im mörderischen Krieg der Rivalen ihre majestätischen Geweihe ineinander verkeilen, ahnt man die Gewalt auch tierischer Triebe. Alles so niedlich hier? Die Liebe ist kein Streichelzoo.

Broadway, Cinemaxx Potsdamer Platz, Titania Palast, Kulturbrauerei, OV im Cinestar SonyCenter.

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