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Berlin-Film: Tanzen, um zu bleiben

Knallhart: „Neukölln unlimited“ porträtiert eine libanesische Familie in Berlin

Den 2. April 2003 wird die Familie Akkouch wohl nie vergessen. Im Morgengrauen klingelt ein Trupp Berliner Polizisten an ihrer Tür und verfrachtet sie schnurstracks in ein Flugzeug mit dem Ziel Beirut. Es ist außerdem der Tag, an dem die Mutter ihren ersten epileptischen Anfall hat und der 9. Geburtstag von Maradona, dem drittältesten Kind.

Die Abschiebung hat die alleinerziehende Mutter und ihre inzwischen sechs Kinder traumatisiert, doch sie hat sie nicht kleingekriegt. Die Akkouchs sind Kämpfer. Nach wenigen Wochen sind sie zurück im heimatlichen Neukölln – und fest entschlossen zu bleiben. Ihre Geschichte erzählt der Dokumentarfilm „Neukölln unlimited“, der bei der diesjährigen Berlinale mit dem Gläsernen Bären der Jugendfilmsektion 14 plus ausgezeichnet wurde.

Die Regisseure Agostino Imondi und Dietmar Ratsch haben die drei ältesten Kinder Lial (19), Hassan (18) und Maradona (14) ein Jahr lang begleitet. Ins Ausländeramt, wo ihre Duldung immer nur monatsweise verlängert wird, zu ihren Jobs bei einem Boxpromoter, in einem Sozialprojekt und immer wieder zu Tanzwettbewerben und -auftritten, denn tanzend (und singend) haben sich alle drei eine Perspektive erstritten. Hassan ist deutscher Breakdance-Meister, Lial hat in Constanza Macras Dorky Park-Ensemble mitgewirkt und der äußerst talentierte Maradona nimmt an einer Castingshow teil.

Vor allem Hassan und Lial, die die Familie auch finanziell unterstützen, haben ihre viel beschworene Integrationsleistung erbracht. Sie arbeiten härter als viele Gleichaltrige, und dennoch gibt ihnen dieses Land immer wieder zu verstehen: Ihr gehört nicht dazu. Einen permanenten Aufenthaltsstatus hat niemand in der Familie – es droht sogar die Ausweisung der Mutter und der jüngsten Geschwister.

Man kommt nicht umhin, Hassan dafür zu bewundern, dass er trotz allem darauf besteht, Deutscher zu sein, und sich als Tanzlehrer um die Integration anderer Neuköllner Kids bemüht. Er ist ein echtes Vorbild und sollte sich eigentlich vor Talkshow-Einladungen nicht retten können. Man versteht aber auch seinen jüngeren Bruder Maradona, der sich frustriert abwendet von der Mehrheitsgesellschaft und seinen Platz in der arabischen Community sucht. Leider scheint er sich gerade in Richtung des Klischeebildes vom Neukölln-Halbstarken zu entwickeln.

Imodi und Ratsch haben ein lebhaftes, optisch ambitioniertes Porträt des wohl berüchtigsten Berliner Kiezes geschaffen. Die häusliche Enge der Akkouchs kontrastieren sie immer wieder mit sehr urban wirkenden Bildern der Gegend um den S-Bahnhof Neukölln. Die Libanonepisode visualisieren sie mit Zeichnungen in „Waltz with Bashir“-Ästhetik. Vor allem aber ist „Neukölln unlimited“ ein kluger Beitrag zur oft hitzig geführten Debatte über Migrantenkinder. Hoffentlich trägt er dazu bei, dass Schicksale von Familien wie den Akkouchs zukünftig stärker nach menschlichen als nach bürokratischen Aspekten beurteilt werden.Nadine Lange

In acht Berliner Kinos

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