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BUCHAUTOR JOHN BOYNE IM GESPRÄCH: Freundschaft siegt über die Gewalt der Verhältnisse

Mr. Boyne, Sie sind 38.

Mr. Boyne, Sie sind 38. Was hat Sie zu einem Holocaust-Roman inspiriert?



Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal eine Geschichte erzählen würde, die in dieser Zeit angesiedelt ist. Aber schon als Jugendlicher habe ich die Bücher von Primo Levi gelesen. Seine Lebensgeschichte hat mich tief berührt. Danach habe ich viele Romane, Biografien und Dokumentationen gelesen, weil ich verstehen wollte, was passiert ist.

Ihr Roman blickt auf den Holocaust aus der Sicht eines Achtjährigen. Warum war Ihnen diese Perspektive so wichtig?


Bei der großen Zahl von Büchern und Filmen zu diesem Thema war mir klar: Ich brauchte einen neuen, originellen Zugang. Bisher war die Geschichte noch nie aus der Sicht eines deutschen Kindes erzählt worden, der als Sohn des Lagerkommandanten fest in das Geschehen eingebunden ist, aber nicht versteht, was dort vor sich geht. Der Leser weiß genau, was vor sich geht, und die Hauptfigur ist vollkommen ahnungslos. Bruno sollte naiv sein, aber nicht dumm.

Wie kann das Medium Film eine so radikal subjektive Sicht umsetzen?

Das war sehr viel schwieriger, als wir dachten. Regisseur Mark Herman hat die Geschichte deshalb weiter in Richtung Familie geöffnet. Die Eltern sind im Roman nur Schattenfiguren. Der Film dagegen beschreibt eine glückliche Familie, die Stück für Stück zerfällt.

Die visuellen Symbole von Auschwitz sind fest im öffentlichen Gedächtnis verankert. Wie kann ein Film die unschuldige Perspektive des Buchs beibehalten?


Viele der Bilder, die wir von Konzentrationslagern im Kopf haben, kommen aus Filmen. Ich wollte eine Distanz zum Lager wahren, die erst am Ende aufgehoben wird. Ich war froh, dass die Filmemacher sich nicht entschieden haben, das Leben des jüdischen Jungen im Lager zu zeigen. Denn dies ist Brunos Geschichte, der nichts von alledem weiß.

Wie realistisch ist es, dass sich zwei Jungen täglich am Zaun eines KZs treffen?


Sicher, einige Dinge waren so in der historischen Realität nicht möglich. Aber diese Geschichte versteht sich als Fabel. In George Orwells „Farm der Tiere“ können die Tiere sprechen. Das ist auch nicht realistisch.

Hollywood liebt Happy Ends. Haben die Filmemacher versucht, der Geschichte ein versöhnlicheres Ende abzugewinnen?


Ich selbst habe nie einen anderen Schluss in Betracht gezogen. Bei einem Happy End hätte das Buch alle Kraft verloren. Der Erfolg des Romans liegt darin, dass der Leser, dem die Jungen ans Herz gewachsen sind, mit einem produktiven Gefühl der Leere entlassen wird. Zum Glück waren auch die Filmemacher an einem Happy End nicht interessiert. Dass Bruno und Schmuel sich an der Hand halten, ist auch eine Art Sieg über die Gewalt der Verhältnisse.

Das Gespräch führte Martin Schwickert.

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