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Pitt Clooney

© AFP

"Burn after Reading": Fit mit Brad Pitt

Filmfest Venedig: Die Coens lassen schöne Männer turnen. Christian Petzold kommt mit "Jerichow".

Die Löwen brechen durch die Wand vor dem Palazzo del Cinema, ein großer und zwei kleine. Das Ganze hat wieder Star-Designer Dante Ferretti entworfen, wie die gewaltige Weltkugel vor einem Jahr, wie die Löwenparade in den Jahren zuvor. Und doch hat das Ganze etwas von Talmi-Glanz – die Wand ist vorgeschoben und ohnehin nur aus Plastik. Da machen sie schon mehr her, die beiden coolen Partylöwen im Smoking. George Clooney und Brad Pitt werden von den Fans, die seit Mittag ausharren, mit minutenlangem Kreischen empfangen – und lassen es sich nicht nehmen, den Roten Teppich in ganzer Länge abzuschreiten.

Auch Tilda Swinton erscheint zur Eröffnung der 65. Filmfestspiele von Venedig, in ihrem goldglänzenden Gewand ähnelt sie der Toga-Lady im Logo von Columbia Pictures. Und die russische Schauspielerin Ksenia Rappoport legt der Stadt Venedig bei der Gala-Premiere von „Burn after Reading“ ihr Herz zu Füßen: Für viele ihrer Landsleute, von Anna Achmatowa bis Joseph Brodsky, sei sie das Traumziel schlechthin gewesen.

Im neuen Film der Gebrüder Coen kommen Clooney und Pitt weniger glamourös daher. Clooney – Dreitagebart, Achselschweißflecken – versucht, seinen etwas fülligen Körper durch Joggen in Form zu bringen. „In dem Maß, in dem George älter wird, werden auch seine Figuren älter, aber nicht unbedingt klüger“, sagen Joel und Ethan Coen über ihren Lieblingsschauspieler. Clooney selbst spricht vom Abschluss seiner „Trilogie der Trottel“ mit den Coens (nach „O Brother, Where Art Thou?“ and „Intolerable Cruelty“). Sein „Oceans“-Buddy Brad Pitt, das erste Mal in einem Film der Gebrüder, spielt einene Fitnesstrainer, der auch nicht gerade der hellste ist. So richtig fit ist keiner in dieser rabenschwarzen CIA-Komödie, die die Coens nach ihrem epischen Wurf „No Country for Old Men“ schnell und billig gedreht haben – das Satyrspiel zur großen Tragödie. Und gleichzeitig ein bissiger Kommentar auf ihr Land, das sich viel auf seine Organisation zugute hält und längst keine Peilung mehr hat.

Chaos also bei der CIA: Veteran Osborne „Ozzie“ Cox (John Malkovich) wird wegen eines Alkoholproblems kaltgestellt. Denkwürdiger Dialog: „Sie haben ein Alkoholproblem“, sagt der Chef. „Sie sind Mormone, neben Ihnen hat jeder ein Alkoholproblem“, kontert Ozzie. Nun will er sich rächen, indem er seine Memoiren schreibt, als Enthüllungsstory. Pech nur, dass seine Frau (großartig verhärmt: Tilda Swinton), die eine Affäre mit dem Regierungsbeamten (Clooney) hat, die Diskette im Fitnessstudio liegen lässt. Noch mehr Pech, dass die auf eine Schönheitsoperation sparende Angestellte Linda (noch großartiger: Frances McDormand) sie mit ihrem Kollegen (Brad Pitt) findet und beschließt, das große Geschäft zu machen. Dass alle irgendwie eine Affäre miteinander haben, macht die Sache auch nicht einfacher. „Versteht irgend jemand noch, was hier abläuft?“, fragt entnervt der CIA-Chef.

Ein Problem mit seinen Angestellten hat auch der türkische Kleinunternehmer Ali (Hilmi Sözer) in Christian Petzolds Wettbewerbsbeitrag „Jerichow“. Acht Jahre nach „Die innere Sicherheit“ ist Petzold zurück an der Lagune. Während draußen am Lido fröhliches Strandleben tobt, sieht man auf der Leinwand am Ostseestrand ganz andere Gestalten. Es wirkt fast wie ein Déjà-Vue aus „Wolfsburg“, dieses Picknick, das Laura (Nina Hoss) und Thomas (Benno Fürmann) veranstalten. Wieder gibt es eine verquere Liebesgeschichte, keiner sagt dem anderen die Wahrheit – nur ist aus dem Zweier ein Dreier geworden. Und im Zentrum des Films steht Lauras Mann Ali, der gerade selbstvergessen zu den Liedern der türkischen Sängerin Sezen Aksu tanzt – und bald alles verlieren wird.

Ein Petzold-Film wie eine Zwischenbilanz aller Petzold-Filme: etliche Elemente aus früheren Werken hat der Berliner Regisseur weiterentwickelt und sie in einer noch hoffnungsloseren Geschichte verwebt. Wieder landet, wie in „Yella“, ein Auto im Wasser, wieder liegt ein Mensch im Gras, wieder ist die ostdeutsche Landschaft von Wasser, Wiesen und Himmel geprägt, wunderschön und menschenleer. Da steht ein verwittertes Haus an der Straße, ab und zu fährt ein Regionalzug durchs Bild, und wenn du ganz lange liegen bleibst, läuft auch ein Reh durch den Garten. Das einzige Lebenszeichen sind die türkischen oder chinesischen Imbissbuden, die Ali besitzt und mit denen er sich ein Vermögen, wenn auch keine Heimat geschaffen hat.

Vordergründig gibt es eine echte Krimihandlung, angelehnt an Viscontis „Ossessione“ und das US-Remake „Wenn der Postmann zweimal klingelt“: die Geschichte des Soldaten Thomas, der unehrenhaft entlassen wurde, ins Haus seiner Großmutter zurückkehrt und den Imbissbesitzer und seine schöne, traurige Frau kennenlernt. Eine Geschichte voller Leerstellen. Schweigsam und athletisch füllt Benno Fürmann seine Rolle aus; auch bei Nina Hoss – wieder mit Engelsblondhaar, aber dunkel geschminktem, schmalem Mund – kann man erneut alles vermuten, von Hilflosigkeit bis zu mörderischer Berechnung. Und Hilmi Sözer spielt seine Rolle des erfolgreichen, aber einsamen Kleinunternehmers mit so viel Selbstverständlichkeit wie Tiefe, fernab von allen Deutschtürkenklischees. „Ich lebe in einem Land, das mich nicht will, und mit einer Frau, die ich mir gekauft habe“, lautet sein trauriges Fazit. Konsequent setzt Petzold seine Erforschung der prekär-hoffnungslosen Lebensverhältnisse in (Ost)Deutschland fort, in denen sich Existenzen nur noch über Geld definiert. „Man kann sich nicht lieben, wenn man kein Geld hat“, sagt Nina Hoss einmal.

Das gleiche Problem hat der Künstler Machisu in Takeshi Kitanos melancholisch-heiterem Film „Achill und die Schildkröte“. Zwar kopiert Machisu fleißig alle Kunststile, von Picasso bis zum Action Painting, doch niemand will seine Kunst kaufen. Wäre nicht seine Frau, die durch alle Experimente treu zu ihm steht, er hätte wahrscheinlich längst aufgegeben. Am Ende kickt sie eine angerostete Coladose, die er als Readymade für 200 Dollar verkaufen wollte, beherzt in den Fluss.

Ein Plädoyer für die unbeirrte Liebe zur Kunst, und dafür, dass die wahre Liebe noch stärker ist. Doch, man kann sich lieben, auch ohne Geld. Der japanische Kultregisseur Takeshi ist Stammgast in Venedig, ebenso wie der inzwischen 99-jährige Portugiese Manoel de Oliveira. Er eröffnete das Festival noch vor den Coens mit einem Kürzestfilm, dem Siebenminüter „Do Visivel ao Invisivel“ (Vom Sichtbaren zum Unsichtbaren). Zwei alte Freunde treffen sich auf der Hauptstraße von Sao Paulo, doch es kommt nicht zum Gespräch, weil ihre Handys ständig klingeln. Am Ende rufen sie sich gegenseitig an, um ungestört reden zu können.

Noch ein Stammgast: Der iranische Altmeister Abbas Kiarostami (der 1999 einen Goldenen Löwen für „Der Wind wird uns tragen“ gewann), filmt in „Shirin“ 90 Minuten lang ein hauptsächlich aus bildschönen Frauen bestehendes Publikum, das sich in Teheran eine Rezitation des persischen Liebesklassikers „Shirin und Chosrou“ anhört. Tränen, Bangen, Wiedererkennen: Das Unsichtbare wird sichtbar in den Gesichtern. Für das Festival wünscht man sich viele solcher Glücksmomente.

Christina Tilmann

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