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© Universal

Christoph Waltz: "Ich bin das Trüffelschwein"

"Jede Uniform ist kleidsam, wenn sie gut geschneidert ist. Auch eine SS-Uniform." Christoph Waltz über seine Rolle als sadistischer Nazi in Tarantinos "Inglourious Basterds".

Herr Waltz, Sie sagen, die Rolle des SS-Manns Hans Landa sei eine Jahrhundertrolle. Was macht so viel Spaß an diesem zynischen Judenjäger?



Vor allem die Fülle an Details. Ich bin wie ein grunzendes Trüffelschwein, das an die Leine gelegt wird und sich auf die Suche begibt. Dieser Film ist ein Schweineparadies. Die Trüffeln, die man als Schauspieler in „Inglourious Basterds“ ausbuddeln kann, sind grandios. Man kann Details sammeln wie selten, und das beziehe ich durchaus auf alle Rollen in der dramatischen Literatur.

Hans Landa ist polyglott, gebildet, elegant, höflich, zynisch, genau. Wie sind Sie Landa geworden?

Es gibt Schauspieler, die führen Korrespondenzen mit ihrer Figur. Ich tue das nicht. Ich habe etwas gegen die Mystifizierung der Schauspielerei. Der deutsche Begriff Schauspieler ist unglücklich, denn er bezieht sich zu sehr auf Schau, auf das Ergebnis. Im Englischen bin ich ein actor, ein Tuer, das bezieht sich auf den Vorgang der Arbeit selbst. Das Ergebnis überlasse ich dem Regisseur, denn was ich tue, geht noch durch viele Prozesse, zum Beispiel durch Schnitt, Musik und Lichtbestimmung.

Landa ist der Inbegriff der Eleganz in seiner SS-Uniform. Was macht so eine Uniform mit einem?

Kleidung ist ja nicht nur dafür da, seine Blöße zu bedecken, sie ist immer Präsentation dessen, was man von sich hält, es ist eine bewusste Wahl. Wenn Sie bei diesem Interview Schwarzweiß tragen, ist das Ihre Art, sich mitzuteilen. Bei einer Uniform verhält es sich etwas anders, weil sie weniger Ausdruck dessen ist, was man von sich hält, als davon, wie man wahrgenommen wird. Sie präsentiert alles, was mit der Institution Militär verbunden ist.

Es ist oft die Rede von der Erotik der Uniform, speziell bei NS-Uniformen. Gefallen Sie sich in Uniform?

Jede Uniform ist kleidsam, wenn sie gut geschneidert ist. Die SS-Uniformen machen da keine Ausnahme. Die k.u.k.-Uniformen waren noch etwas kleidsamer. Aber eine Uniform erfüllt auch eine banale Funktion. Warum waren die Engländer in den Napoleonischen Kriegen rot und die Franzosen blau? Damit sie einander in der Schlacht auseinanderhalten konnten.

Sprache spielt in „Inglourious Basterds“ eine zentrale Rolle, es werden viele Sprachen gesprochen. Was bedeutet die Vielsprachigkeit von Hans Landa?

Beim Turmbau zu Babel war die Vielsprachigkeit eine Strafe. Hans Landa ist einer, der sich dieser Strafe widersetzt; so gelingt es ihm vielleicht doch, in den oberen Etagen des Turmgebäudes zu tanzen. Quentin Tarantino hat Landa als „linguistisches Genie“ bezeichnet. Aber Vielsprachigkeit ist erst ab zwanzig Sprachen genial. Bis dahin ist es Fleiß. Ich habe vor Jahren in der Tutanchamun-Ausstellung eine junge Frau beobachtet, die einem älteren Herrn Hieroglyphen vorlas, als wäre es Deutsch. Das war genial. Man kann auch mit einer einzigen Sprache genial umgehen, wenn man weiß, dass Sprache nicht nur Kommunikation ermöglicht, sondern performativen Charakter hat. Das Entstehen einer Wirklichkeit ist untrennbar mit Sprache verbunden. Verschiedene Sprachen dienen dazu, sich verschiedene Ebenen einer Realität zur Verfügung zu halten. Das ist Landas Kunst.

Auch Dialekte sind wichtig im Film. Hans Landa erkennt am Idiom der SS-Offiziere, woher sie kommen. Haben Sie noch viel an Ihrem Text korrigiert?

Ich habe am Text kein Komma verändert. Wenn ich schon mal so einen Text bekomme, wäre ich saublöd, wenn ich ihn verändern würde. Was das Deutsche angeht, habe ich mir die Lizenz gegeben, den Text leicht nach Österreich zu verschieben. Es gibt da einen Hinweis, ganz am Anfang: „Was glauben Sie, warum Hitler mich aus meinen österreichischen Alpen geholt hat?“ Das österreichische Idiom ist ja grammatikalisch oft etwas eigenwillig, und diese Eigenartigkeit kommt Tarantinos Originaltext sehr nahe – über eine gewisse Imperfektion. Der Österreicher verwendet eine leicht verschobene Syntax, und Quentins Englisch ist ähnlich, oft nicht ganz in der logischen Folge.

Wie war das Arbeiten mit ihm? Wurde viel geprobt?

Jeder ist anders, zu jeder Minute, und Tarantino kann sich auf jeden einstellen. Er weiß für jeden die richtige Stimmung, die richtigen Gründe, die richtige Kommunikation. Darin ist er ein linguistisches und kommunikatives Genie.

Und, was wusste er für Sie?

Das sage ich Ihnen ganz sicher nicht. Das sind persönliche Dinge zwischen mir und ihm – deswegen sind sie so effektiv. Tarantino ist eine unerschöpfliche Quelle an Inspiration. Es hat etwas mit dem Energielevel zu tun, auf dem er agiert.

Sie haben während des Drehs mit dem Team in Babelsberg Filme gesehen, wie lief das ab?

Tarantino hat eine ansehnliche Sammlung alter 35-Millimeter-Kopien, jede Woche ließ er einen Film einfliegen, weniger als Illustration oder Anleitung, sondern zum gemeinsamen Vergnügen. Er hat schon Filme ausgewählt, die uns inspirieren konnten – „Das dreckige Dutzend“, „The Good, the Bad and the Ugly“ oder ein paar Hongkong-Polizeifilme. Aber das war nur lose assoziiert. Er wollte, dass man gemeinsam Spaß hat bei der Arbeit, und weil er ein enzyklopädisches Filmwissen hat, waren seine Einführungen kleine Performances, kleine Kunstwerke.

Was bewahrt denn seine Filme davor, langweiliges Zitatenkino zu werden?

Tarantino bietet uns eine neue Möglichkeit, die sogenannte Wirklichkeit zu betrachten, und eröffnet eine neue Perspektive auf die Welt – es ist der künstlerische Prozess schlechthin. Die Forschung bestätigt ja zunehmend, dass erst die Perspektive die Wirklichkeit bestimmt. Das ist die Quintessenz dessen, was Kino kann.

Andere Filme über die Nazi-Zeit versuchen, Wirklichkeit über authentische Requisiten zu schaffen. „Operation Walküre“ mit Tom Cruise musste unbedingt im Bendler-Block gedreht werden …

Das ist das Gegenteil von dem, das ich meine. Solche Filme sind nicht nur kein Kunstwerk, sie sind auch keine Geschichtsbetrachtung. Sie sind, im besten Fall, Unterhaltung. Dadurch entsteht keine Wahrheit, sondern Selbstgerechtigkeit. Wir erklären unsere Geschichte für erledigt, indem wir uns mithilfe solcher Authentizitätsversicherungen auf der richtigen Seite wähnen. Wir lassen die Wunde nicht mehr aufreißen.

Im deutschen Film wird Geschichte derzeit gerne gerade so gezeigt, vom „Untergang“ über die Doku-Fictions im Fernsehen bis zum „Baader-Meinhof-Komplex“. Sind Sie für solche Filmen auch angefragt worden?

Interessanterweise nicht. Ich bin oft beleidigt, wenn man mich bei interessanten Projekten nicht fragt. In diesen Fällen bin ich aber nicht böse darüber.

Im TV-Zweiteiler „Tanz mit dem Teufel“ spielten Sie den Oetker-Entführer, eine reale Figur. War Authentizität da Thema?

Beim Oetker-Dreh gab es Momente, in denen ich meinte: Als Szene funktioniert das nicht richtig. Die Antwort lautete dann immer: Aber so war es wirklich. Bitte, es ist doch scheißegal, wie es war; wenn es vor der Kamera nicht funktioniert, hat es in einem Spielfilm nichts zu suchen. Als ich 1997 in „Du bist nicht allein“ Roy Black spielte, habe ich zunächst einen irren Aufwand betrieben, um meine Visage dem Gesicht von Roy Black anzupassen, mit Zähnen, Haarextensions etc. Am ersten Drehtag sagte der Regisseur Peter Keglevic: Alles Humbug, weg damit. Es ging nicht darum, so auszusehen wie Roy Black, sondern um einen speziellen Aspekt seiner Persönlichkeit.

Sie spielen oft Bösewichte, Mörder, SS-Leute. Bruno Ganz hat, als er Hitler darstellte, gesagt, es fiele ihm leichter, Täter zu spielen. Vor KZ-Opfern hätte er viel zu großen Respekt.

Das ehrt Bruno Ganz sehr. Respekt muss allerdings nicht zwingend eine Darstellung verhindern. Aber es gibt einen anderen Grund, warum er recht hat: Die Worte actor und Täter sind verwandt, es ist einfach lohnender, einen Täter zu spielen. Opfersein beruht nicht auf einer Aktion, es ist ein Resultat der Aktionen anderer. Täter ist Tun, Opfer ist Sein. Das Sein kann man nicht spielen, das Tun schon.

Sie hatten sechs Wochen Zeit, sich auf Hans Landa vorzubereiten. Was haben Sie da getan?

Wissen Sie was:Ich hatte dreißig Jahre Zeit, mich vorzubereiten. Alles, was ich dreißig Jahre versucht habe, konnte ich zur Anwendung bringen. Deshalb bedeutet mir der Darstellerpreis so viel, den ich beim Filmfestival in Cannes erhielt. Ich war immer etwas schofelig Preisen gegenüber, aber diesmal hat es gestimmt.

Ein Traum aus Ihren Anfangszeiten ging in Erfüllung?

Der Entschluss, Schauspieler zu werden, hat mit der Mühsal, ein Schauspielerleben zu führen, ebenso wenig zu tun wie der Entschluss, Tischler zu werden, mit der Mühe, einen Tischlereibetrieb aufrechtzuerhalten. Aber wenn es ausgerechnet in dem Moment, in dem man einen guten, abschätzenden Blick auf die Wünsche und Hoffnungen von damals werfen kann, zur Einlösung dessen kommt, was man anfangs kaum ahnen konnte, ist das schon grandios.

Ein Tischler im Land von Baumärkten hat es schwer. Sie haben den deutschen Film als mittelmäßig und verlogen beschimpft. Gibt es hier überhaupt Regisseure, mit denen Sie arbeiten wollen?

Ich bin nicht der einzige Tischler in Deutschland, der sein Handwerk schätzt. Hierzulande existiert ein riesiges Potenzial, aber es verkümmert. Das ist eine Tragödie für das deutsche Kino.

Das Gespräch führten Christiane Peitz und Christina Tilmann.

ZUR PERSON

Christoph Waltz, geboren 1956 in Wien als Sohn des Bühnenbildnerpaars Johannes Waltz und Elisabeth Urbanic, studierte am Max-Reinhardt-Seminar in Wien und am LeeStrasberg-Theater in New York. Nach Anfängen beim Theater trat er als Filmschauspieler u.a. in Krzystztof Zanussis „Leben für Leben“ auf, zudem in vielen TV-Produktionen. So spielte er Roy Black in „Du bist nicht allein“ und den Oetker-Entführer in „Tanz mit dem Teufel“. Für seine Rolle in „Inglourious Basterds“ erhielt er in Cannes den Darstellerpreis. Waltz lebt in London und Berlin.

„Inglourious Basterds“ läuft am Donnerstag in voraussichtlich 17 Berliner Kinos an. Die besonders empfehlenswerte Originalversion des viersprachigen Films läuft in vier Kinos: englisch untertitelt im Cinestar Sony-Center, deutsch untertitelt im International, Odeon und in den Hackeschen Höfen. Die anderen Kinos zeigen eine Version, in der alle im Original englischen Passagen deutsch synchronisiert sind.

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