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CITY Lights: Außenseiter, Spitzenreiter

Frank Noack hat ein Herz für Grenzgänger

Die Zusammenarbeit mit dem Großproduzenten Bernd Eichinger ist weder Oskar Roehler noch Tom Tykwer ernsthaft verübelt worden. Im Gegenteil: Wenn Vertreter eines sperrigen, unabhängigen Kinos in den Multiplexen gastieren, werden sie als risikofreudige Grenzgänger zwischen Kunst und Kommerz bewundert. Für die „Parfüm“-Gegner ist Tykwer kein Mittäter, sondern ein Eichinger-Opfer, dem man den Ausrutscher nachsieht. Vor 30 Jahren wäre er nicht so glimpflich davongekommen; damals grenzten sich die jungen Filmemacher und -kritiker scharf von der Altbranche ab. So war das Entsetzen groß, als ein vielversprechender Vertreter des Neuen deutschen Films wie Roland Klick sich 1976 für die Simmel-Verfilmung Lieb Vaterland, magst ruhig sein hergab (Freitag im Zeughauskino). Johannes Mario Simmel mag eindeutig linksliberal und Pazifist gewesen sein, aber er war auch 52 Jahre alt und Bestsellerautor. Während er selbst Klicks Film als die beste Adaption eines seiner Werke bezeichnete, verfasste die Filmkritik Nachrufe auf das Talent. Es dürfte Klick getröstet haben, dass er von links und von rechts angegriffen wurde. Linke Kritiker warfen ihm Propaganda gegen die DDR vor: Der Protagonist Bruno, eine Franz-Biberkopf-Figur, wird 1964 von der Stasi auf eine westdeutsche Fluchthilfeorganisation angesetzt, deren Anführer unschädlich gemacht werden sollen. Von der Springer-Presse wurde Klick angegriffen, da die westlichen Geheimdienste ebenfalls aus Schurken bestanden.

Von allen Seiten bekämpft zu werden, ist langfristig gut fürs Image. Der FreudoMarxist Wilhelm Reich wurde aus der Psychoanalytischen Vereinigung und aus der KPD ausgeschlossen, weil er kompromisslos an seinem Traum von einer proletarischen Sexpolitik festhielt. Die eine Organisation forderte ihn auf, sich vom Kommunismus zu distanzieren; die andere lehnte die Psychoanalyse ab. Im US-Exil wurde er trotz seines Anti-Stalinismus als Kommunist verfolgt und ein Großteil seiner Schriften verbrannt; er starb 1957 im Gefängnis. Zehn Jahre später war er ein Kultautor, ein Prophet der sexuellen Revolution. Der Belgrader Regisseur Dusan Makavejev arbeitete von 1969 bis 1971 an seinem Agitpropfilm W.R. – Mysterien des Organismus, der sich mit Reichs Schaffen und seiner Relevanz für die Gegenwart befasst (im fsk-Kino). In seinen stärksten Momenten kritisiert der Film humorvoll die sozialistische Gesellschaft. Er konfrontiert eine lebenslustige Sex-Aktivistin (Milena Dravic) mit einem verklemmten sowjetischen Eiskunstläufer, der sie mit seinem Schlittschuh köpft, als er ihre Parolen nicht mehr erträgt. Ihr Kopf aber redet weiter.

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