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CITY Lights: Du Bauer, ich Spießer

Ein bisschen erstaunt ist man schon über die Aufregung um Analogkäse und Mosaik-Schinken auf der Billigpizza. Sind die bösen Schimmelpilze und Sägespäne schon vergessen, die im Erdbeerjoghurt für den richtigen Schmackes sorgen?

Ein bisschen erstaunt ist man schon über die Aufregung um Analogkäse und Mosaik-Schinken auf der Billigpizza. Sind die bösen Schimmelpilze und Sägespäne schon vergessen, die im Erdbeerjoghurt für den richtigen Schmackes sorgen? Wer glaubt denn an die Bilder von glücklichen Kühen auf der Packung im Supermarkt? Nicht, dass es die nicht gäbe. Eine Reise in eines dieser europäischen Rindviech-Refugien tritt Hans Haldimann in seinem Film Bergauf, Bergab an: Bei Familie Kempf im zentralschweizerischen Schächental werden Flora und Conny noch mit Weidengras gefüttert, bei den Auf- und Abtrieben bimmeln die Schellen um den Hals, und wenn eine trotzdem verloren geht, wandern die Bauern mit dem Fernglas hinterher. Ein Jahr hat Haldimann die traditionell wirtschaftenden Kempfs und ihre Nachbarn mit der Kamera begleitet, vom Schneetreiben bis zur Heuverhäckselung. Erwartungsgemäß ist das alpenbäuerliche Leben arbeits- und entbehrungsreich, erwartungsgemäß sind es neben der Natur und dem Wissen, etwas Selbstbestimmtes und Sinnvolles zu tun, familiärer Zusammenhalt und nachbarschaftliche Hilfe, die das harte Leben bereichern. Die bei solcher Nähe entstehenden Konflikte tauchen im Film zwar nicht auf. Doch ansonsten romantisiert Haldimann das bäuerliche Leben nicht: Die Tiere werden mit dem LKW auf die Alm gebracht, wegen des gesunkenen Milchpreises hilft man sich mit „Vertragskälbern“ über die Runden. Kempfs Schwester bedient unten im Tal im Supermarkt mit dem Verkauf von Alm-Joghurt und Farmer-Stangen schon die andere Seite der Verwertungskette. Haldimanns Film ist im Rahmen eines Schweiz-Fokus diese Woche in der Brotfabrik zu sehen.

„Er weiß, wofür er das macht“, sagt Großvater Kempf über seinen Sohn. Als moderner Großstadtbewohner muss man sich solche Sinnzusammenhänge meist selber schaffen, als Schwuler erst recht. So hat auch der Berliner Filmemacher Lothar Lambert sich sein großfamiliäres Universum aus Freunden und Mitarbeitern aufgebaut: Seine Low-Low-Budget-Filme waren seit den Anfängen in den frühen Siebzigern bei allem Einzelkämpfertum immer Ergebnis kollektiver Produktionsweisen mit viel personeller Kontinuität vor und hinter der Kamera; mittendrin selbstverständlich immer LoLa selbst als Allrounder von A wie Aufnahmeleitung bis S wie Schnitt. Seine drei liebsten Filme – selbst ausgewählt – sind jetzt anlässlich von Lamberts 65. Geburtstag im Brotfabrik-Kino zu sehen, von 1 Berlin Harlem (1974, Sonnabend bis Montag) über die Die Alptraumfrau (1989, Dienstag und Mittwoch) bis zu Du Elvis, ich Monroe (1989, heute und morgen).

„Du Elvis, ich Monroe“ bietet für nur 10 000 DM produzierte Impressionen aus einer Kreuzberger Hausgemeinschaft, die ohne jede Prätention und mit viel Zärtlichkeit sexuelles Rollenverständnis und interkulturelles Zusammenleben zwischen Homo- und Heterosexuellen, Arabern, Deutschen und Türken erkunden. „Und Sie wollen Ausländer sein, die sind doch alle so hilfsbereit“, macht Erika Rabau – auch eine aus Lamberts Filmfamilie – als einsame Kreuzbergerin den arabischen Nachbarn im Treppenhaus an. Sich selbst hat Lambert als tuntigen Spießer in den Film geschrieben, der sich mangels Eigenleben lauschend ins Intimste seiner nicht gerade diskreten Nachbarn einmischt; eine Rolle, die er mit sichtlicher Lust ausfüllt. „Du Elvis, ich Monroe“ ist mit atmosphärischen Außenaufnahmen auch eines der letzten Filmdokumente aus der Gegend um das Schlesische Tor vor dem Mauerfall. In der Verzahnung von dokumentarisch Vorgefundenem und spielerischer Improvisation war Lambert ein Pionier. 33 Filme hat er gedreht, Nummer 34 soll fast fertig sein. Zur Ruhe wird sich LoLa noch lange nicht setzen.

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